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Die bürgerlichen Parteien und ihre Vergangenheit

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    #31
    Zitat von newman Beitrag anzeigen
    Jeder Deutscher, der irgendwann mal politisch den Mund aufmacht oder aufmachen wird, wird wahrscheinlich auf kurz oder lang von irgendwem, dem die Meinung nicht passt, mit Hitler oder Nazis verglichen werden. Traurig aber Realität.
    Na ja, Chavez hat Merkel vorgeworfen in einer Partei zu sein, die Hitler und den Faschimus unterstützt hat. Das stimmt ja auch vollkommen. Die Vorläufer der Union haben für das Ermächtigungsgesetz und damit für die faschistische Terrorherrschaft gestimmt. Die Union hat dies auch bis heute nicht aufgearbeitet (genauso wenig, dass sie es war, die haufenweise Nazi-Täter in den Staatsapparat in hohe Positionen gehievt hat und auch nicht ihre Rolle als Blockflötenpartei der DDR).

    Das hat nichts mit Vorwürfen gegen Deutsche allgemein zu tun. Schliesslich sind nicht alle Deutschen Mitglieder der Union.

    Es war im Endeffekt eine Retourkutsche für Behauptungen von Merkel - die ignoriert hat, wie sich die von ihr vertretene Politik katastrophal auf den Lebensstandard in Lateinamerika ausgewirkt hat, weshalb ja Parteien, die diese Politik immer noch vertreten, in den meisten lateinamerikanischen Staaten bei den Wahlen klar verloren haben.

    Natürlich kann man die Aussage von Chavez auch so verstehen, dass er Merkel indirekt als Faschistin bezeichnet hat. Und das wäre trotz der ganzen Grundrechtsverletzungen der Regierung Merkel (s. z.B. G8-Gipfel) in letzter Zeit falsch. Merkel ist eine Konservative, die für eine neoliberale Wirtschaftspolitik eintritt (aber keineswegs für eine liberale Politik), die Stasi-Schäuble & Co sowie rassistische Ausfälle von Leuten wie Koch gedeckt hat. Aber das ist bei Konservativen ja normal.
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      #32
      Rein sachlich ist das schon korrekt, allerdings doch eher nur auf den ersten Blick. Moralische Vorwürfe und Beurteilungen sind wichtig, aber sie versperren den Blick auf die tatsächlichen historischen Bedingungen bzw. Möglichkeiten.

      Zunächst mal vorweg: Nach dem zweiten Weltkrieg hat es sehr wohl Veränderungen im konservativen Lager gegeben, vor allem drei:
      - die konfessionelle Spaltung verlor an Gewicht und spielte im Laufe der Zeit keine Rolle mehr. Katholiken waren in der BRD keine Minderheit mehr.
      - durch den Verlust der ostelbischen Gebiete gab es keine Junker mehr, so dass dieser demokratiefeindliche Einfluss keine Rolle mehr spielte.
      - die Niederlage im zweiten Weltkrieg war so total, dass sich demokratisches Denken auch bei den bürgerlich-konservativen verankern konnte (auch wenn man manchmal daran zweifel mag ).

      Oft wird bei dem Vorwurf an die bürgerlichen Parteien, sie hätten für Hitler gestimmt, vergessen, dass die Kroll-Oper von der SA umstellt war und hier ein gehöriges Drohpotential herrschte. In meinen Augen war hier der Zug schon längst abgefahren, da waren die wirklich kritikwürdigen Fehler bereits passiert.
      Darüber kann man allerdings streiten (was ich nicht tun will ). Ich persönlich weiß nicht, wieviel Zivilcourage man von Menschen erwarten darf.
      Selbst die heldenhafte SPD hat meines Wissens nach in vorauseilendem Gehorsam jüdische Funktionäre ihrer Ämter enthoben.

      Was Adenauer anbetrifft, so muss man das schon nüchtern sehen. Es ist natürlich moralisch gesehen unmöglich und skandalös, Leute wie Globke oder Werner Best zu beschäftigen. Globke war allerdings kein Einzelfall. Juristen, Lehrer, Polizisten und andere Staatsbedienstete hatten sich im "Dritten Reich" durch die Bank weg diskreditiert. Aber es gab niemanden anders.
      Nach 12 Jahren NS-Herrschaft hatte so gut wie jeder Dreck am Stecken, wenn man nicht gerade wie Kurt Schumacher die zwölf Jahre im Konzentrationslager verbracht hat. Mit wem, wenn nicht mit den alten Beamten, hätte man eine neue Bürokratie aufbauen sollen? Die Ausbildung einer neuen demokratischen Generation hätte wohl bis in die sechziger gedauert (wenn nicht noch länger, da es ja auch an unbelasteten Professoren mangelte; bzw. noch noch länger, weil keine unbelasteten Lehrer gab). War ja letztendlich auch so. Nur wie hätte man diese 20 Jahre füllen sollen?

      Und was hätte man mit den alten Staatsbediensteten machen sollen? Diese Fragen werden beim moralischen Vorwurf immer vergessen. Nach frühen Entnazifizierungsregelungen hätten Belastete zum Teil nichtmal Rente bekommen. Das waren aber nicht zwei, drei Leutchen, das hätte Millionen Menschen betroffen. Wenn man die alle auf die Straße gestellt hätte, hätte es kaum eine erfolgreiche demokratische Entwicklung bzw. eine stabile Demokratie in Westdeutschland gegeben.

      Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Es war gar nicht möglich, die Spreu vom Weizen zu trennen. Heutige wissenschaftliche "Teilnahmekritierien", die sich zwischen begeisterter Teilnahme, Opportunismus, innerer Resistenz und heimlicher Sabotage bewegen, lassen sich nur in der akademischen Rückschau anwenden. Das mischt sich nämlich im Einzelfall. Dasselbe gilt auch für die Kriterien, die Jaspers aufgestellt hat: politisches, kriminelles, moralisches und metaphysisches Fehlverhalten bildeten ein Schuldkonglomerat, das gar nicht auflösbar war. Im Reagenzglas sehr hübsch, vor Gericht völlig ungeeigent.

      Insgesamt war das Erbe des "Dritten Reiches" zu uferlos, zu verbrecherisch und zu umfassend, als dass es ernsthaft hätte aufgearbeitet werden können.
      Christopher Browning hat schon Anfang der 90er nachgewiesen, dass es "ganz normale Männer" waren, die im zweiten Weltkrieg zu Massenmördern an polnischen Juden wurden. Götz Aly hat ja jüngst gezeigt, wie umfassend sich das deutsche Volk sich mit Raubgut der ermordeten Juden eingedeckt hat. Und man kommt auch nicht um den Befund Adornos herum: es gibt kein richtiges Leben im falschen: selbst wer schuldlos im "Dritten Reich" lebte, unterstützte durch sein bloßes Leben das verbrecherische Regime. Hätte man das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 konsequent angewendet, hätte z.B. jeder Bahnbeamte, der irgendwie mit den Zügen in die Vernichtungslager zu tun hatte, ins Gefängnis gehört. Und das wäre nicht praktikabel gewesen.

      Deswegen konnten Leute wie Globke auch wieder in Amt und Würden kommen: moralisch unbefriedigend, aber letztendlich ohne tragfähige Alternative. Adenauer brachte das auf die pragmatische Formel "wenn man kein sauberes Wasser zum Kochen hat, kocht man halt mit schmutzigen". Wir profitieren noch heute davon.
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        #33
        Tja, leider geht neben Chavez's Hitler-Vergleich die eigentliche Kritik unter, nämlich dass Merkel und die EU allgemein in Lateinamerika Politik gegen die Bevölkerung macht.
        Desweiteren muss beachtet werden, dass Lateinamerika insgesamt schon sehr negative Erfahrungen mit dem Einfluss von USA und Europa auf die jeweilige Innenpolitik gemacht haben (man denke an die Unterstützung der USA von gewalttätigen Unterdrückern wie Batista in Kuba oder General Pinochet in Chile.

        Die Angst vor einem zu starken Einfluss durch Europa rührt noch sehr stark von der Zeit vor den Unabhängigkeitskriegen von vor 200 Jahren her. Aber auch danach hat sich Industrie-Europa nicht gerade vorbildlich verhalten.
        Die Lateinamerikaner in Venezuela, Bolivien & Co. befürchten, dass die Resourcen der Länder von den Industrienationen ausgebeutet werden und für die Bewohner der Länder nichts mehr übrigbleibt. Keine ganz unbegründete Sorge, denkt man an die Umstände die etwa in Bolivien vor der Amtszeit von Evo Morales denkt.
        Waldorf: "Say, this Thread ain't half bad."
        Stalter: "Nope, it's all bad."

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          #34
          Hätte man das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 konsequent angewendet, hätte z.B. jeder Bahnbeamte, der irgendwie mit den Zügen in die Vernichtungslager zu tun hatte, ins Gefängnis gehört.
          Da wär in der Tat interessant gewesen ab wann man Täter ist.
          Littell hat das in diesem Auszug aus seinem Roman "Die Wohlgesinnten" ähnlich wie du veranschaulicht:

          die Vernichtung Schwerbehinderter und psychisch Kranker deutscher Staatsangehörigkeit bei der so genannten »Aktion Gnadentod«, die zwei Jahre vor der »Endlösung« eingeleitet wurde. Hier wurden die im Rahmen einer Rechtsordnung ausgewählten Kranken in einem Gebäude von regulären Krankenschwestern in Empfang genommen, registriert und entkleidet; Ärzte untersuchten sie und führten sie in eine Kammer, die hermetisch verschlossen wurde; ein Arbeiter öffnete die Gaszufuhr, andere reinigten die Kammern; ein Polizist stellte die Sterbeurkunde aus. Nach dem Krieg befragt, antwortete ein jeder von ihnen: Ich, schuldig? Die Krankenschwester hat niemanden getötet, sie hat die Kranken lediglich entkleidet und beruhigt, die üblichen Handreichungen ihrer Zunft. Auch der Arzt hat nicht getötet, sondern lediglich eine Diagnose nach Kriterien bestätigt, die von anderen Instanzen vorgegeben waren. Der Hilfsarbeiter, der den Gashahn aufdreht, der Mann also, der in Zeit und Raum dem Mord am nächsten kommt, führt unter der Aufsicht seiner Vorgesetzten und der Ärzte eine bestimmte Verrichtung aus. Die Arbeiter, welche die Kammer säubern, genügen damit einer hygienischen Pflicht, einer höchst abstoßenden noch dazu. Der Polizist nimmt eine Amtshandlung vor, wenn er den Tod beurkundet und anmerkt, dass er ohne Verstoß gegen geltendes Recht eingetreten ist. Wer ist also schuldig? Alle oder niemand? Warum sollte der an den Gashahn gestellte Arbeiter größere Schuld auf sich laden als der Arbeiter, der für die Heizung, den Garten oder die Fahrzeuge zuständig ist? Das gilt für alle Aspekte dieses ungeheuren Unternehmens.Ist beispielsweise der Weichensteller bei der Eisenbahn schuld am Tod der Juden, die er über seine Weichen zum Lager geleitet hat? Dieser Weichensteller ist ein Bahnbeamter, seit zwanzig Jahren macht er die gleiche Arbeit, er stellt seine Weichen nach festen Plänen, er muss nicht wissen, was in den Zügen ist. Es ist nicht seine Schuld, wenn diese Juden durch sein Weichenstellen von einem Punkt A zu einem Punkt B befördert werden, wo man sie tötet. Trotzdem spielt dieser Weichensteller eine entscheidende Rolle im Vernichtungswerk[/SPOILER]
          Kann man hier nachlesen: Folge 4: Ich ahne, was ihr denkt - Jonathan Littell "Die Wohlgesinnten" - Lesesaal - FAZ.NET

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            #35
            Zitat von endar Beitrag anzeigen
            - durch den Verlust der ostelbischen Gebiete gab es keine Junker mehr, so dass dieser demokratiefeindliche Einfluss keine Rolle mehr spielte.
            Der wurde durch den Einfluss der Industriellen ersetzt, die es auch gerne haben, wenn Gewerkschaften in ihren Möglichkeiten beschränkt werden und gegen jeden "Druck von der Strasse" "durchregiert wird". Passend dazu will die CSU in Bayern das Versammlungsrecht massiv einschränken, was u.a. die Gewerkschaften trifft.
            Zitat von endar Beitrag anzeigen
            - die Niederlage im zweiten Weltkrieg war so total, dass sich demokratisches Denken auch bei den bürgerlich-konservativen verankern konnte (auch wenn man manchmal daran zweifel mag ).
            Angesichts dessen, dass diese Partei nie über ihre Vergangenheit nachgedacht hat - siehe z.B. Öttinger - ist es fraglich, wie weit sich dies wirklich verankern konnte. Ich halte es vielmehr für eine opportunistische Haltung.
            Zitat von endar Beitrag anzeigen
            Oft wird bei dem Vorwurf an die bürgerlichen Parteien, sie hätten für Hitler gestimmt, vergessen, dass die Kroll-Oper von der SA umstellt war und hier ein gehöriges Drohpotential herrschte. In meinen Augen war hier der Zug schon längst abgefahren, da waren die wirklich kritikwürdigen Fehler bereits passiert.
            Was aber diese Parteien nicht entschuldigt, da ihre Zustimmung zur faschistischen Herrschaft sich in ihre Handlungen in den Jahren zuvor einreihte. Man muss daran erinnern, dass die Demokratie im Endeffekt schon 1930 mit der Regierung Brüning vernichtet wurde.
            Zitat von endar Beitrag anzeigen
            Was Adenauer anbetrifft, so muss man das schon nüchtern sehen. Es ist natürlich moralisch gesehen unmöglich und skandalös, Leute wie Globke oder Werner Best zu beschäftigen. Globke war allerdings kein Einzelfall. Juristen, Lehrer, Polizisten und andere Staatsbedienstete hatten sich im "Dritten Reich" durch die Bank weg diskreditiert.
            Es wurden in den Staatsapparat ja nicht nur kleine Mitläufer oder gar nur Leute, die keinen Widerstand geleistet haben, sondern auch haufenweise unmittelbare Entscheidungsträger des Terrorapparats übernommen. U.a. Verantwortliche der Einsatzgruppen in hohe Positionen des BKA, der LKAs und des BND.

            Ich denke, dass es immer besser gewesen wäre, wenn man Leute neuausgebildet hätte - als diese Nazis zu übernehmen, die dann ihre Mittäter bis quasi zum ihrem Tod deckten und zumindest in den ersten Jahrzehnten die Nazis (inkl. rechter Terroristen) ignorierten (wenn nicht selbst aufbauten, siehe Spitzel in der Führung der NPD) und die Linke schikanierte wo sie nur konnten.

            Ich denke nicht, dass wir heute noch davon profitieren. Ich denke, dass dies ein Element ist, was dafür gesorgt hat, dass verhindert wurde, dass notwendige Schlussfolgerungen gezogen werden und dass es gesellschaftlichen Fortschritt gab. Diese Entwicklung also eine schwere Hypothek ist, die nur dadurch überlagert wurde, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Nachkriegsjahrzehnten aussergewöhnlich war (nicht nur in BRD).
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              #36
              @max: Dass du das nicht akzeptieren kannst, war mir ja klar. Du gibt hier wieder die übliche moralische Sicht wieder.
              Dass die Demokratie von Weimar bereits vor 1933 am Ende war, bestreite ich nicht, ebensowenig dass es heute bei der CDU/CSU autoritäre "Geister" gibt. Da gehe ich nicht im einzelnen drauf ein, weil ich das zerquoten auch nicht mag. Es bliebt auch so genug:

              Es geht bei einer historischen Beurteilung nicht um eine Entschuldigung und auch nicht darum, dass am Ende in der Zusammenfassung ein "Bravo!" oder "Buh!" steht. Leute, die feststellen, man hätte anders handeln müssen, vergessen darüber gerne die Frage, ob man überhaupt hätte anders handeln können. Natürlich ist die Weiterverwendung der Funktionsträger aus der NS-Zeit eine schwere Hypothek. Das sehe ich auch so. Aber wenn ich feststelle, dass man nicht anders handeln konnte, bedeutet das nicht, dass ich dem ganzen gleichzeitig auch zustimmend applaudiere. Bitte nimm das zur Kenntnis.

              Moral allein steht der Erkenntnis im Weg. Moralische "Tipps", die heute erhoben werden (die Literatur ist voll davon), müssen sich nämlich einer Prüfung unterziehen lassen, wie wirklichkeitstauglich sie sind. Dieser Prüfung entzieht man sich aber gerne.
              Ich überzeichne es absichtlich: Ein Volk, das sich bis 1945 in sog. "Judenmöbeln" bequem gemacht hat, soll sich also unmittelbar nach 1945 uneingeschränkt dem eigenen Versagen stellen und die Konsequenzen ziehen, selbst wenn kein Stein auf dem anderen bleibt? Das soll mir mal ein Psychologe erklären, wie das gehen soll.

              Du sagst, es wäre besser gewesen, wenn man sich einen neuen Apparat aufgebaut hätte. Na klar wäre das "besser" gewesen. Noch besser wäre es gewesen, man hätte Hitler 1933 erst gar nicht an die Macht gelassen. Das führt zu nichts und das erklärt auch nicht, warum der Globke da saß, wo er saß. Die historische Fragestellung muss lauten: Wie verhält man sich in einer solchen Situation, nach dem Untergang eines verbrecherischen Systems? Welche Möglichkeiten hat man? Was macht man mit den sog. "personalen Hülsen eines verbrecherischen Systems"? Wo zieht man die Grenze?

              Zur wohlmeinenden Luftliteratur will ich mal ein Beispiel nennen: Es gibt eine Veröffentlichung zum Wiederaufbau der Justiz in NRW von 1996. Da mutmaßt dann ein wohlmeinender Jurist in einem historischen Artikel darüber, warum die neuen OLG-Präsidenten nach 1945 so viele alte Parteigenossen wieder in den Dienst geholt hätten (mein Lieblingsbeispiel, ich hoffe, ich habe das noch nicht angeführt ). Er kommt zu der etwas psychologisierenden Schlussfolgerung, dass die neuen Präsidenten, die ja 1933 aus dem Justizdienst entfernt worden waren (bzw. ihre Zulassung verloren hatten), nun froh gewesen wären, wieder "dazu" gehören zu dürfen.
              Die Wahrheit ist viel banaler: Es gab so gut wie keine Juristen, die nicht der NSDAP angehört hatten. Hätten die Präsidenten also keine "Nazis" verwendet, hätten die Gerichte geschlossen bleiben müssen. Diese ganz simple Schlussfolgerung geht allerdings bei der moralischen Kritik an der Wiederverwendung einfach unter.
              Mal ganz konkret: Im niedersächsischen LG-Bezirk Aurich gab es 1938 37 Richterstellen (nur Amts- und Landgericht(e)). 1945 standen fünf (!) Richter zur Verfügung, die nicht der NSDAP angehört hatten. Die waren alle über 70. Auch mit Ostflüchtlingen sah es nicht besser aus. Ich kann das noch lange weiterführen und könnte auch amüsante bzw. traurige Beispiele dafür aufzählen, wie "Nichtparteimitglieder" ihren Aufgaben nicht gewachsen waren. Und dass die in der HJ groß gewordene Jugend zudem nicht das ideale Ausgangsmaterial für die neue demokratische Nachwuchsgeneration mitbrachte, brauche ich hoffentlich nicht näher zu erläutern. Das sind Tatsachen. Das stellt man fest, wenn man in die Akten schaut und sich abseits des moralisch wünschenswerten mit den tatsächlichen Problemen auseinandersetzt.

              Und selbstverständlich profitieren wir noch heute davon. Unsere gesamte gesellschaftliche Stabilität basiert darauf! Westdeutschland hätte sich nicht in eine "normale" Demokratie verwandeln können, wenn man nicht auf die alten "Parteigenossen" zurückgegriffen bzw. sie von der Teilnahme ausgeschlossen hätte. Die Politiker der Adenauerzeit haben die Funktionsträger des "Dritten Reiches" integriert. Hätte man das nicht getan, hätte die Bundesrepublik 1. auf längere Sicht mit einem großen staatsfeindlichen Bevölkerungsteil zu kämpfen gehabt. Man kann nicht Hunderttausende von Leuten, die zuvor Spitzen- bzw. wichtige Positionen im Staat innehatten, dauerhaft z.B. in der Landwirtschaft einsetzen und behaupten, dies würde keine Auswirkung auf die Stabilität des Staatswesens haben. Die BRD wäre damit ebenso instabil gewesen wie die Weimarer Republik. Es waren einfach zuviele Personen, die von einer ernsthaften Aufarbeitung betroffen gewesen wären. 2. braucht jedes moderne Staatswesen Experten. Es gab keine anderen. Wie z.B. fünf 70jährige Richter 16 Amtsgerichte und ein Landgericht besetzen sollen, soll man mir mal jemand erklären. Die Ausbildung einer neuen Generation hätte mindestens 20 Jahre in Anspruch genommen (das ist übrigens auch der Zeitraum, mit dem die britische Administration rechnete). Dasselbe gilt ja in grün für die Schulen, die Universitäten, die sonstigen Ämter und Verwaltungen – also den ganzen Staat!
              Natürlich waren das in den 50er Jahren in erster Linie opportunistische Dickbauchdemokraten. Nicht ohne Grund spricht man ja auch von einem demokratischen Schub in den 60er Jahren. Das habe ich ja auch schon mal ausgeführt. Es ändert aber nichts am Befund. Und das betrifft natürlich auch die Bundeswehr bzw. den Geheimdienst oder das BKA.

              @Imperialist:

              Ach ja, "Die Wohlgesinnten". Das wollte und werde ich jetzt auch noch mal lesen, habe aber wenig Gutes darüber gehört. Der Roman ist leider auf längere Sicht noch vorbestellt und kaufen möchte ich ihn mir nicht. Die Ausschnitte haben mich auch nicht überzeugt. Auch dieser nur zu einem kleinen Teil.

              Kritik: Die Ausschnitte, die ich gelesen habe, scheinen mir etwas unsauber (schlampig) recherchiert zu sein! In dem Ausschnitt stecken einige sachliche Fehler (eigentlich wimmelt er davon). Die Aktion hieß nicht "Aktion Gnadentod", sondern "Aktion T4", benannt nach der Tiergartenstraße 4. Dort lag die Zentrale. Die Aktion, die mehrere 100 Mitarbeiter umfasste, fand reichsweit in verschiedenen Anstalten statt. Die Sterbeurkunden wurden von Standesämtern ausgestellt, nicht von Polizisten. Der größte Schnitzer ist aber der, dass sie nicht im "Rahmen einer Rechtsordnung" vollzogen wurde. Eine "Rechtsordnung" ist normalerweise das, was per Gesetz festgeschrieben wurde - zumindest im kontinentalen Recht. Es gab jedoch keine gesetzlich festgeschriebenen Vorgaben bzw. gesetzlichen Listen von Krankheiten, bei denen die Morde durchgeführt werden sollten. Man könnte hier höchstens von einer "materiellen Unrechtsordnung" sprechen, aber auch das gaukelt eine Einheitlichkeit vor, die es meines Wissens so nicht gegeben hat. Ebenfalls unstimmig ist die Bemerkung, dass der "Polizist" festgestellt habe, dass der Tod "ohne Verstoß gegen geltendes Recht eingetreten ist". Tatsächlich standen auf den Todesurkunden falsche Angaben zur Todesursache wie z.B. Lungenentzündung u.ä. Dies erweckte dann in der Bevölkerung Misstrauen. Nach Protesten wurde die "Aktion" 1941 offiziell eingestellt, aber heimlich weitergeführt.

              Wenn man sich der anspruchsvollen Aufgabe widmet, die Tätermentalität literatisch aufzuarbeiten, ist historische Präzision notwendig. Sonst landet man hier wieder bei oberflächlichen Aussagen a la Goldhagen "die Deutschen haben die Juden ermordet, weil sie sie ermorden wollten". Das ist aber zu kurz gegriffen.
              Wie gesagt, ich habe das Buch noch nicht gelesen (und werde es wohl nur in Teilen tun). Die Berichterstattung zum Buch und die Ausschnitte sind leider nicht sehr erhellend.

              Die angebliche Grundaussage, nach der jeder Mensch unter den entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen zum Massenmörder werden kann, teile ich. Ich bezweifle allerdings, dass beim Holocaust ein "kollektiver Wahn" am Wirken war. Das ist eine nachträgliche Entschuldigung, die von der Verantwortung ablenken sollte und der Entschuldung diente. Die These vom "kollektiven Wahn" in Gerichtsakten übrigens bereits (oder erst) 1949 auf. Das Beispiel mit dem Bahnarbeiter habe ich übrigens aus einer Akte des Jahres 1947, als das Kontrollratsgesetz (KRG) 10 neu war.
              Liest man Götz Alys "Volksstaat", dann sieht man, wie sehr dem Massenmord an den europäischen Juden nicht Hass und Wahn, sondern reine Zweckmäßigkeitsüberlegungen zugrunde lagen. Das ging es um Geld. Die "Arier" haben sich auch nicht nur am Eigentum der Juden bereichert, weil sie die Juden hassten, sondern weil sie gierig waren und sich billig bereichern konnten. Der Bahnbeamte hat sicherlich tatsächlich seinen Dienst verrichtet und nicht aus Judenhass die Weichen gestellt.
              Der Organisator des Holocaust Eichmann war z.B. gar kein überzeugter Antisemit, sondern ein reiner Karrierist, der nicht aus ideellen oder ideologischen Gründen zum Massenmörder wurde, sondern aus ganz banalen Gründen, wie Karriere und Wohlstand. Hannah Ahrendt sprach hier nicht ohne Grund von der "Banalität des Bösen".
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                #37
                Ach ja, "Die Wohlgesinnten". Das wollte und werde ich jetzt auch noch mal lesen, habe aber wenig Gutes darüber gehört.
                Naja, in Deutschland haben die Feuilletons es tatsächlich zum Teil zerrissen.
                In Frankreich hat das Buch den Prix Goncourt erhalten und hat sich über
                800.000 mal verkauft. Aber ich denke mal auch einige schlechte Bücher haben
                sich schon Schlecht verkauft.
                Mehr dazu hab ich hier geschrieben: http://www.scifi-forum.de/off-topic/...gesinnten.html

                Der Roman ist leider auf längere Sicht noch vorbestellt und kaufen möchte ich ihn mir nicht. Die Ausschnitte haben mich auch nicht überzeugt. Auch dieser nur zu einem kleinen Teil.
                Ja, zum kaufen ist es mir auch zu teuer.

                Kritik: Die Ausschnitte, die ich gelesen habe, scheinen mir etwas unsauber (schlampig) recherchiert zu sein!
                Das ist gut möglich.
                Aber immerhin hat er einige Jahre Recherchiert und hunderte von Bücher gelesen. Möglich das es wohl nicht ausgereicht hat.
                Aber gerade gegen Ende des Buches soll es ja sowieso sehr Grotesk
                zu gehen. So beißt er Hitler in die Nase und ähnliches historisch unkorrektes.

                Ich bezweifle allerdings, dass beim Holocaust ein "kollektiver Wahn" am Wirken war.
                Durch das über mehrer Jahre lang durchgeführte ausgrenzen der Juden und die
                antisemitische Propaganda wurden die Juden vielleicht auch für viele Deutsche
                immer weniger als "richtige" Menschen sondern mehr als Problem betrachtet.
                Dadurch fängt man natürlich noch nicht an willkürlich Juden zu ermorden,
                es senkt aber die Hemmschwelle.

                Das ging es um Geld.
                Das mag ja größtenteils richtig sein,aber waren die Juden in den Ostgebieten
                wirklich so reich? Wurden in der Schlucht Babi Jar 1941 33.771 Menschen
                in 36 Stunden aus reiner Geldgier erschossen?

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                  #38
                  Eigentlich gehört die ganze Diskussion in ein gesondertes Thema:

                  Zitat von Imperialist Beitrag anzeigen
                  Naja, in Deutschland haben die Feuilletons es tatsächlich zum Teil zerrissen.
                  In Frankreich hat das Buch den Prix Goncourt erhalten und hat sich über
                  800.000 mal verkauft. Aber ich denke mal auch einige schlechte Bücher haben
                  sich schon Schlecht verkauft.
                  Mehr dazu hab ich hier geschrieben: http://www.scifi-forum.de/off-topic/...gesinnten.html
                  Die Franzosen denken ja auch, dass es sie nicht betrifft, weil sie ja keine Deutschen sind. Zumindest denken das die dummen Franzosen und die sind (wie überall) in der Überzahl. So als ginge es um die Geschichte der Fußballnationalmannschaften.
                  Der Holocaust ist allerdings eine Warnung an die Menschheit, nicht nur an die Deutschen.

                  Das ist gut möglich.
                  Aber immerhin hat er einige Jahre Recherchiert und hunderte von Bücher gelesen.
                  Dafür sind die Fehler aber sehr auffällig und zahlreich. Es mag eventuell sein, dass der Begriff "Aktion Gnadentod" irgendwo auftaucht. Bei wikipedia steht er jedenfalls (was aber nichts heißen muss). Ich habe ihn aber noch nie gehört und er ist auch nicht gebräuchlich. Ich habe ihn gerade extra in einigen Fachlexika nachgeschlagen und nicht gefunden. Ich werde dem mal näher nachgehen. Prinzipiell zweifle ich deshalb: Diese Begrifflichkeiten wie "Sonderbehandlung" etc. sollten ja den Tatbestand des Mords verschleiern. "jemanden der 'Sonderbehandlung' zuführen", das ist für den, der den Begriff nicht kennt, rätselhaft. "jemanden dem 'Gnadentod' zuführen", ist allerdings nun nur wenig rätselhaft.
                  Der Rest des kurzen Abschnitts ist ja auch nicht einwandfrei.

                  Möglich das es wohl nicht ausgereicht hat.
                  Aber gerade gegen Ende des Buches soll es ja sowieso sehr Grotesk
                  zu gehen. So beißt er Hitler in die Nase und ähnliches historisch unkorrektes.
                  Ich muss da schon mehr lesen, um mir da ein abschließendes Urteil bilden zu können. Vielleicht hat die hiesige Stadtbibliothek mehr Exemplare davon, da war ich noch nicht.
                  Dass er Hitler in die Nase beißt, kann man als Schriftsteller durchaus einbauen. Ich meine mehr die groben historischen Bedingungen bzw. die Wiedergabe der Sozialstruktur, des Alltags etc. Da muss man sich in sehr engen Grenzen bewegen, ansonsten ist das Buch nur noch klischeehafte fabelhafte Spekulation. Das Ergebnis wären wie gesagt Klischees.

                  Durch das über mehrer Jahre lang durchgeführte ausgrenzen der Juden und die antisemitische Propaganda wurden die Juden vielleicht auch für viele Deutsche immer weniger als "richtige" Menschen sondern mehr als Problem betrachtet. Dadurch fängt man natürlich noch nicht an willkürlich Juden zu ermorden, es senkt aber die Hemmschwelle.
                  Juden wurden in der Zeit nach 1933 schrittweise justiziell entrechtet, bis sie faktisch rechtlos waren. Früher hätte man das "vogelfrei" genannt. Man konnte sie ausplündern und ausrauben, wie man lustig war. Und wer schon immer was haben wollte, was einem Juden gehörte, der konnte es sich leicht beschaffen. Wer schon immer Streit mit seinem jüdischen Nachbarn oder Konkurrent hatte, konnte nun voll auf seine Kosten kommen. Insofern würde ich weniger "Problem" sagen, "Selbstbedienungsladen" passt das sicherlich besser.

                  Das mag ja größtenteils richtig sein,aber waren die Juden in den Ostgebieten wirklich so reich? Wurden in der Schlucht Babi Jar 1941 33.771 Menschen in 36 Stunden aus reiner Geldgier erschossen?
                  Da spielen natürlich verschiedene Faktoren hinein. Die nationalsozialistischen Überzeugungstäter dachten, dass sie mit den Juden den Liberalismus und die Demokratie ausrotten könnten. Das war ja in ihren Augen alles "jüdisch". Und ohne Juden - so die irrsinnige Folgerung - gäbe das halt auch nicht mehr. Das ist natürlich ein derart wahnhafter Irrsinn, dass man das aus heutiger Sicht leicht vergisst bzw. nicht ernstnehmen kann, aber so wurde das betrachtet.

                  Was ich sagen wollte war: Nicht jeder, der sich an der Judenverfolgung beteiligt hat, war der wahnhaften NS-Ideologie erlegen. Viele taten es einfach, weil sich ihnen die Möglichkeit bot. Aus reiner Profitgier.

                  Der Morde in Babi Jar wurden von der Wehrmacht ausgeführt. Umso mehr Juden ermordet wurden, umso mehr Waren, Güter und Lebensmittel konnten nach Deutschland gebracht werden.
                  Wie die Ausplünderung der Juden in ganz Europa der Kriegsfinanzierung diente, findest du in dem besagten Buch von Götz Aly, "Hitlers Volksstaat". Das unterlag auch der Regie der Wehrmacht.
                  Republicans hate ducklings!

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                    #39
                    Die Franzosen denken ja auch, dass es sie nicht betrifft, weil sie ja keine Deutschen sind. Zumindest denken das die dummen Franzosen und die sind (wie überall) in der Überzahl.
                    Ja, sowas wie das Vichy-Regime gab es ja auch in Frankreich nie.


                    Der Holocaust ist allerdings eine Warnung an die Menschheit, nicht nur an die Deutschen.
                    Richtig, sagt selbst Littell:
                    Aber der Holocaust ist nicht allein ein Problem der Juden, weil sie die Opfer sind, und der Deutschen, weil sie die Täter sind,sondern das Problem aller Menschen.
                    Der Rest des kurzen Abschnitts ist ja auch nicht einwandfrei.
                    Eventuell hast du auch nur ein schlechtrecherchierten Abschnitt
                    erwischt. Kannst wenn du lust hast dich ja mal hier umschauen:
                    Folge 1: Toccata - Jonathan Littell "Die Wohlgesinnten" - Lesesaal - FAZ.NET
                    Dort sind die ersten Seiten des Buches zum nachlesen.

                    Ich meine mehr die groben historischen Bedingungen bzw. die Wiedergabe der Sozialstruktur, des Alltags etc. Da muss man sich in sehr engen Grenzen bewegen, ansonsten ist das Buch nur noch klischeehafte fabelhafte Spekulation. Das Ergebnis wären wie gesagt Klischees.
                    Littell hat soweit ich glaub ich mal irgendwo gelesen habe,
                    sehr genau die Bürokratie hinter dem Holocaust beschrieben.
                    Er hat sich glaub ich doch sehr viel Mühe gegeben das historisch
                    korrekt wieder zu geben.

                    Juden wurden in der Zeit nach 1933 schrittweise justiziell entrechtet, bis sie faktisch rechtlos waren. Früher hätte man das "vogelfrei" genannt. Man konnte sie ausplündern und ausrauben, wie man lustig war. Und wer schon immer was haben wollte, was einem Juden gehörte, der konnte es sich leicht beschaffen. Wer schon immer Streit mit seinem jüdischen Nachbarn oder Konkurrent hatte, konnte nun voll auf seine Kosten kommen. Insofern würde ich weniger "Problem" sagen, "Selbstbedienungsladen" passt das sicherlich besser.
                    Das Stimmt schon und wird wahrscheinlich auch auf einige Teile der Bevölkerung zugetroffen haben, aber für viele Menschen waren die Juden
                    sicher ein "Problem",den würdest du nur weil du es darfst jemanden ausrauben oder gar töten? Soll heißen die Hemmschwelle, so etwas zu tun ist bei einem
                    Mensch 2ter Klasse natürlich deutlich niedriger als bei einem "normalen" Menschen.

                    Was ich sagen wollte war: Nicht jeder, der sich an der Judenverfolgung beteiligt hat, war der wahnhaften NS-Ideologie erlegen. Viele taten es einfach, weil sich ihnen die Möglichkeit bot. Aus reiner Profitgier.
                    Ok, da sind uns im Prinzip ja einig.

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                      #40
                      Zitat von Imperialist Beitrag anzeigen
                      Das Stimmt schon und wird wahrscheinlich auch auf einige Teile der Bevölkerung zugetroffen haben, aber für viele Menschen waren die Juden sicher ein "Problem",den würdest du nur weil du es darfst jemanden ausrauben oder gar töten? Soll heißen die Hemmschwelle, so etwas zu tun ist bei einem Mensch 2ter Klasse natürlich deutlich niedriger als bei einem "normalen" Menschen.
                      Na klar. Wenn sich die Gelegenheit bietet, jemanden auszurauben, habe ich noch nie nein sagen können.

                      Aber ernsthaft: Du glaubst gar nicht, wozu die Leute imstande sind, wenn sich die Möglichkeit bietet. Die deutschen Juden bzw. jüdischen Deutschen waren ja nicht die einzigen Opfer. Besonders interessant ist hier das Denunziantentum, also eine Anzeige wegen "defätistischer Äußerungen" ("Der Krieg ist verloren") oder Witzen über Hitler z.B. nach dem "Heimtückegesetz" oder wegen "Feindsenderhörens" nach der sog. "Kriegssonderstrafrechtsverordnung". Wenn man sich die Fälle anschaut, bei denen solche Anzeigen erstattet wurden, ging es fast immer um persönliche Streitigkeiten und Reibereien. Man hat da seine privaten Rechnungen beglichen. Ich nenne da mal eingei Beispiele. Der verwundete Sohn kehrte aus dem Krieg zurück, sein Zimmer war vermietet und die Mieter wollten nicht ausziehen. Da gab es eine Anzeige und die Gestapo hat das Problem gelöst, die Räumlichkeiten waren wieder frei. Die Frau eines Gastwirtes und ihr Liebhaber wollten den Gastwirt gerne aus dem Weg haben. Eine Anzeige wegen "Feindsenderhörens" hat das dann erledigt. Der Mann kam ins Konzentrationslager und die Frau hatte freie Bahn. Das lässt sich ja nicht mit "kollektiven Wahn" erklären. Das sind nun alles Fälle, in denen Menschen aus ganz privaten und schäbigen Motiven andere Menschen und Angehörige dem Konzentrationslager und ggf. dem Tod ausgeliefert haben. Der Nationalsozialismus hat eine Gesellschaftsordnung geschaffen, die nicht gerade die besten menschlichen Eigenschaften zum Vorschein brachte.
                      Der Antisemitismus spielt dabei eine große Rolle, aber wenn man schaut, dass es gerade die "deutschen" Anwälte waren, die ihre "jüdischen" Kollegen aus dem Amt drängten, dann wird offenbar, dass hier eben Geld eine gewichtige Rolle spielte, in vielen Fällen sicherlich eine größere als der Antisemitismus.
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                        #41
                        Na klar. Wenn sich die Gelegenheit bietet, jemanden auszurauben, habe ich noch nie nein sagen können.
                        So einer bist du also, da muss ich ja richtig aufpassen wenn ich nächstes mal
                        in Oldenburg bin.

                        Der Nationalsozialismus hat eine Gesellschaftsordnung geschaffen, die nicht gerade die besten menschlichen Eigenschaften zum Vorschein brachte.
                        Das stimmt natürlich.
                        Das ist es glaub ich auch das auf was Littell hinaus will.
                        Auch wenn an der Spitze des Staates Antisemiten (Hitler,Himmler usw.)
                        standen und die Bevölkerung auch zu größenteils antiemetisch war und
                        wie du auch geschrieben hast aus Habgier gehandelt und anderen
                        niederen Beweggründen gehandelt haben so erklärt das nicht unbedingt,
                        wie man jemanden einfach so ins Genick schießen kann.
                        Es war ja nicht so, das alle am Judenmord beteiligten Sadisten waren,
                        im gegenteil es waren gerade mal ca. 10%.
                        Auch interessant in dem Zusammenhang das es keinen bekannten Fall
                        gibt in dem es wegen Befehlsverweigerung Schaden an Leib oder Leben gab.
                        Nun ist die Frage wie man als beispielsweise Mitglied eines Polizeibataillons,
                        also nicht mal jemanden der durch den Krieg abgestumpft ist,
                        in der Lage ist an Massenexekution teilzunehmen.
                        Bestimmt nicht nur um sich zu bereichern das wäre glaub ich zu kurz gegriffen.
                        Es waren ja nicht mal alle überzeugte Nazis oder Antisemiten aber
                        sie taten es trotzdem. Auch ist es kein "deutsches" Phänomen,wie
                        du glaub ich weiter oben auch schon geschrieben hattest.
                        Immerhin war der Täterkreis auch von vielen Ausländern gespickt (Österreicher,Ukrainer,Letten usw.).
                        Selbstverständlich war es aber Deutschland die dieses Verbrechen schon
                        beinahe als Staatsziel betrieben und es in diesen grausamen Ausmaß in der Geschichte wohl einzigartig ist und die deutsche Schuld absolut ist.
                        Soll heißen praktisch jeder Mensch kann zum Täter werden wenn die
                        Umstände stimmen.
                        Zuletzt geändert von Imperialist; 15.05.2008, 00:23.

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                          #42
                          Zitat von endar Beitrag anzeigen
                          Moral allein steht der Erkenntnis im Weg.
                          Es geht nicht um Moral. Der Grossteil der Verantwortlichen für den NS-Gewalt- und -Justizapparat haben sich nicht nur disqualifiziert, weil sie selbst massive Verbrechen zu verantworten haben, sondern auch fachlich. Was will man den mit einem Richter, der solches Unrecht umsetzt, eine solche Rechtsauslegung akzeptiert?

                          Da wären Leute, die nach dem Krieg dies neu gelernt hätten, sogar ein klarer Vorteil gewesen, weil diese eben auch nicht in einer Tradition der Rechtssprechung gelernt und gearbeitet hätten, die die Basis für dieses Terrorregime war. Es wäre ein klarer Bruch möglich gewesen, z.B. eine klare Rechtssprechung auf der Basis der Menschenrechte.

                          Das ist nicht nur ein theoretisches und moralische Problem. Die reale Rechtssprechung der BRD in der Nachkriegszeit hat ja gerade gezeigt, dass diese ehemaligen Funktionäre des Nazis-Regimes zumindest im grossen Umfang ihre Arbeit nicht gut gemacht haben - weil sie ja ihres gleichen gedeckt und damit selbst nach den damaligen Gesetzten der BRD sich eigentlich strafbar gemacht haben. Nur war dies kein Problem, weil ja grosse Teile des Staatsapparats mit solchen ehemaligen Nazi-Tätern besetzt waren!

                          Adam Tooze hat nach meiner Meinung übrigens sehr eindrucksvoll Aly widerlegt und gezeigt, dass die grosse Mehrheit eben nicht von dem Nazi-Regime materiell profitiert hat, sondern auch materiell gewaltige Opfer bringen musste, um die Aufrüstung, die Angriffskriege und den Reichtum der Bonzen (inkl. der hohen Nazis) zu finanzieren. Aly

                          Zitat von endar Beitrag anzeigen
                          Und selbstverständlich profitieren wir noch heute davon. Unsere gesamte gesellschaftliche Stabilität basiert darauf! Westdeutschland hätte sich nicht in eine "normale" Demokratie verwandeln können, wenn man nicht auf die alten "Parteigenossen" zurückgegriffen bzw. sie von der Teilnahme ausgeschlossen hätte.
                          Die BRD der Nachkriegszeit war keine "normale" Demokratie. Es gibt bis heute keine demokratisch legitimierte Verfassung, grundlegende Entscheidungen wurden autoritär durchgesetzt. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten waren die politischen Freiheiten auch stark eingeschränkt, nicht zufällig kam es von Seiten der Polizei 1968 zu diesen Gewaltexzessen.

                          Viele dieser politischen Freiheiten konnten dann Ende der 60er/Anfang der 70er erkämpft werden - aber zu grundlegenden Fragen wird bis heute der Souverän nicht gefragt (s. z.B. auch die EU-Verfassung bzw. deren Ersatz).
                          Resistance is fertile
                          Für die AGENDA 3010! 30-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich und 10 Euro gesetzlichem Mindestlohn!
                          The only general I like is called strike

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                            #43
                            Mich interessiert, wie ein Neuanfang oder ein Bruch 1945 hätte aussehen sollen. Und zwar ganz konkret. Du zählt jetzt wieder die Defizite auf, die ich ja gar nicht bestreite, obwohl ich dazu einiges anmerken könnte. Ich habe niemals behauptet, dass es eine "Stunde Null" oder etwas ähnliches gab. Ganz im Gegenteil, man machte weitgehend da weiter, wo man aufgehört hatte.
                            Ich möchte aber wissen, wie die Alternative hätte konkret aussehen sollen. Du bist nicht auf eine einzige(!) der von mir aufgeworfenen Fragen eingegangen.

                            Zitat von max Beitrag anzeigen
                            Adam Tooze hat nach meiner Meinung übrigens sehr eindrucksvoll Aly widerlegt und gezeigt, dass die grosse Mehrheit eben nicht von dem Nazi-Regime materiell profitiert hat, sondern auch materiell gewaltige Opfer bringen musste, um die Aufrüstung, die Angriffskriege und den Reichtum der Bonzen (inkl. der hohen Nazis) zu finanzieren. Aly
                            Ich hatte in der Tat gehofft, bei Aly mehr zu den Auktionen, der Normalbevölkerung und "Judenmöbeln" zu finden. Er verlässt ja die obere Verwaltungsebene kaum. Bei ihm geht es in der Tat in 3/4 des Buches um die Wehrmacht. Der Streit, den es um Alys These gibt, ist ja ein "entweder-oder" Streit. Mobilisierungs- contra Gefälligkeitsdiktatur. Für beides gibt es Belege.

                            Dass es Bereicherung im großen Stil gegeben hat, ist unbestreitbar. Ich habe mal eine Zeitlang Wiedergutmachungsverfahren verzeichnet. Da ging es oft um die Lebensgeschichten von kommunistischen Widerständlern, aber auch um die materiellen Ansprüche von überlebenden Juden, die ausgeplündert wurden und mit nix im Februar 1939 das Konzentrationslager Sachsenhausen gen die neue Welt verlassen "durften".
                            Wenn man diese "ganz unten"-Perspektive anlegt und wenn man das halt detailliert anguckt, wie dem Wohnungsmobiliar des jüdischen Arztes Dr. Sowieso hinterhergeforscht wurde, dann ist die Vorstellung des gewissenlosen Materialisten nicht so weit hergeholt. Ich bin da, egal wo ich geguckt habe, vor allem auf eine leider ganz normale Schäbigkeit gestoßen.
                            Und wenn man sich mit Entnazifizierungs- und Gerichtsakten beschäftigt, dann zeigt sich hier ganz klar, dass für es für einen "Neuanfang" keinen Spielraum gab. Das ist eine rückdatierte moralische Forderung, die auf Empörung gründet, aber leider nicht mit historischen Fakten aufweisen kann.
                            Republicans hate ducklings!

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                              #44
                              Zitat von endar
                              Der Streit, den es um Alys These gibt, ist ja ein "entweder-oder" Streit. Mobilisierungs- contra Gefälligkeitsdiktatur. Für beides gibt es Belege.
                              Nun der wichtigste Beleg dürfte der eklatante Unterschied in der grundlegenden Rüstungspolitik des dritten Reichs und Nationen wie GB und der Sowietunion sein.
                              Wenn ich mich richtig entsinne, lag der Höhepunkt der deutschen Rüstung Ende 44, während GB und SU von Anfang an den totalen Krieg forcierten.
                              (Es wäre ja auch unplausibel anzunehmen, dass z.B. die deutschen besetzten Gebiete Ende 1941 weniger Rüstungsgüter produzieren konnten als das Restreich Ende 44, das deutet schon auf eine gewisse Rücksichtnahme auf zivile Belange von seiten der deutschen Führung)
                              können wir nicht?

                              macht nix! wir tun einfach so als ob!

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                                #45
                                Ich verstehe nicht so recht, was du damit sagen willst. Mit "Mobilisierungsdiktatur" ist nach meinem bescheidenen Verständnis nicht die Rüstung gemeint, sondern die Dynamik, die der Nationalsozialismus entfaltet hat.
                                Republicans hate ducklings!

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