Passagierfähren, die wie Ausflugsdampfer im Zweistundentakt zur Unglücksstelle pendeln, jovial plaudernde russische Militärs, ein ausrangierter Eisbrecher, der für die einfallenden Fernsehteams in ein Pressezentrum verwandelt wurde - bei den Anfang letzter Woche angelaufenen Bergungsarbeiten an der Untergangsstelle der "Kursk" demonstriert die russische Führung Publikumsnähe wie schon lange nicht mehr.
Das Militär scheint bemüht, sich von seiner besten Seite zu zeigen: "Wir betrachten es als unsere heilige Aufgabe", erklärte der Leiter der Bergungsarbeiten, Vizeadmiral Michail Mozak, "die U-Boot-Fahrer zu finden und menschlich zu begraben."
Hinter den Kulissen jedoch haben die Marineoberen längst alle Verdunklungsregister gezogen. Die Bergung der "Kursk" sei "eine militärische, keine zivile Operation", betonte der Sprecher der Nordmeerflotte, die Geheimhaltungsregeln würden bei den Aktionen "strikt eingehalten". Norwegische Strahlenschutzexperten etwa, die die Bergungsarbeiten an dem in 108 Meter Tiefe liegenden U-Boot-Riesen zu genau verfolgen wollten, wurden systematisch vergrault.
Einen entscheidenden Grund für die Geheimniskrämerei glauben westliche Experten schon seit der Havarie des russischen Atom-U-Boots im vergangenen Jahr zu kennen: An Bord der "Kursk" sollen bis zu 28 Torpedos eines neuartigen Typs lagern. Mit ihnen, so fürchten westliche Rüstungsexperten, ist den russischen Marineingenieuren ein Quantensprung in der modernen Unterwasser-Kriegsführung gelungen.
Der russische Wundertorpedo "Shkval" ("Sturmböe") schießt mit Geschwindigkeiten durchs Wasser, von denen westliche Rüstungsingenieure bisher kaum zu träumen wagten.
Schon die ersten Prototypen der Unterwasserwaffe waren mit 200 Knoten (370 Stundenkilometern) drei- bis viermal so schnell wie die leistungsstärksten Nato-Torpedos. Eine 1999 bei einer internationalen Waffenschau in Abu Dhabi vorgestellte Exportversion ("Shkval-E") soll es nach Angaben ihrer Konstrukteure sogar auf bis zu 500 Stundenkilometer bringen.
Die anfangs skeptischen westlichen Marineexperten erschaudern inzwischen angesichts dieser Geschwindigkeitsrevolution unter Wasser. Von dem "Shkval" angegriffene U-Boote, so fürchten sie, hätten gegen die heranfauchenden Geschosse kaum eine Chance. Mit taktischen Atomsprengköpfen ausgerüstete Raketentorpedos könnten zudem ganze US-Trägerkampfgruppen vernichten, ohne dass diesen Zeit zur Gegenwehr bliebe.
"Wir waren geschockt, als dieser Torpedo auftauchte", erklärt der US-Marineexperte Norman Polmar. Der "Shkval", räumte auch das britische Fachblatt "Jane's Intelligence Review" ein, sei "eine der verheerendsten Unterwasserwaffen" der letzten Jahre.
Der Trick, mit dem die östlichen Marineingenieure die modernsten West-Torpedos aussehen lassen, als blieben sie im Wasser stehen, heißt Superkavitation.
Schon Isaac Newton hatte in seinen "Principia Mathematica" von 1687 erkannt, dass sich bei Unterwassergeschwindigkeiten von rund 180 Stundenkilometern Kavitationsblasen bilden. Denn der Druck an der Außenhaut jedes bewegten Schwimmkörpers sinkt. Fällt er unter den Dampfdruck des Wassers, so bildet sich Wasserdampf: Statt in Flüssigkeit bewegen sich die Unterwasserläufer in einer Gasblase.
Im Gegensatz zu voll umströmten Körpern werden solche superkavitierenden Geschosse vom Wasser kaum gebremst, weil sie mit ihm so gut wie nicht mehr in Berührung kommen. Eingehüllt in einen Kokon aus Wasserdampf, bleiben sie bei der Reise in der Gasblase - mit Ausnahme der Spitze - trocken.
Den russischen Waffeningenieuren ist es offenbar gelungen, die Nase ihrer Projektile so zu gestalten, dass der gesamte Laufkörper bis zum Heck von einer Superkavitationsblase wie von einem dünnen Gaspräservativ umgeben ist. Angetrieben wird das Geschoss von einem leistungsstarken Raketenantrieb - Schiffsschrauben würden in der Kavitationsblase leer durchdrehen.
Bereits Anfang der neunziger Jahre, vermutet Mark Galeotti, Rüstungsexperte an der Keele University in Staffordshire, hatte die russische Flotte die ersten zuverlässig arbeitenden Versionen dieser mitten im Wasser durch Gas fliegenden Wundertorpedos einsatzbereit.
Westliche Militärexperten rechnen damit, dass die Superkavitationstechnik die Seekriegsszenarien verändern wird. "Wir sind an einem ähnlichen Punkt angelangt wie nach dem ersten erfolgreichen Flug der Gebrüder Wright", erklärt US-Experte Robert Kuklinski vom amerikanischen Naval Undersea Warfare Center (NUWC) in Newport, Rhode Island. "Nur dass wir eine Menge mehr über die zugrunde liegenden physikalischen und technischen Einzelheiten wissen als diese frühen Pioniere."
Statt den Gegner wie bisher lautlos auszumanövrieren, um sich selbst in eine günstige Schussposition zu bringen, werden die künftigen Unterwasserduelle Luftkämpfen ähneln, wie sie sich bei der Luftschlacht um England britische Spitfires und deutsche Messerschmitts lieferten.
Die Rolle der "Spitfires der See" werden in diesem Fall nicht die riesigen Mutter-U-Boote selbst übernehmen, sondern von ihnen ausgestoßene superkavitierende Kleinstfahrzeuge, die mit heulenden Raketentriebwerken durchs Wasser kurven. Selbst Besatzungen könnten die Mini-U-Boote an Bord nehmen: "Es gibt keinen Grund", glaubt der NUWC-Forscher John Castano, "warum die Superkavitations-Technik nicht auf bemannte Fahrzeuge übertragen werden könnte."
Westliche Nachrichtendienste sammeln seit spätestens 1995 Informationen über den russischen Supertorpedo. Edmond Pope, ein pensionierter Mitarbeiter des US-Marinegeheimdienstes, wurde im Dezember letzten Jahres in Moskau zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er hatte angeblich versucht, einem russischen "Shkval"-Ingenieur Blaupausen für 30 000 Dollar abzukaufen.
Trotz Präsentationen auf internationalen Waffenmessen ist der russische Hochgeschwindigkeitstorpedo laut Ottfried Nassauer, Militärexperte am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, ein Waffensystem, "von dem wir im Westen so gut wie nichts wissen".
Dass dies auch bei der Bergung der "Kursk" so bleiben wird, hat sich die russische Marineführung fest vorgenommen: Ungebetene Gäste, ließ ein Flottensprecher wissen, würden notfalls mit Wasserbomben von der Unglücksstelle vertrieben.
GÜNTHER STOCKINGER
Das Militär scheint bemüht, sich von seiner besten Seite zu zeigen: "Wir betrachten es als unsere heilige Aufgabe", erklärte der Leiter der Bergungsarbeiten, Vizeadmiral Michail Mozak, "die U-Boot-Fahrer zu finden und menschlich zu begraben."
Hinter den Kulissen jedoch haben die Marineoberen längst alle Verdunklungsregister gezogen. Die Bergung der "Kursk" sei "eine militärische, keine zivile Operation", betonte der Sprecher der Nordmeerflotte, die Geheimhaltungsregeln würden bei den Aktionen "strikt eingehalten". Norwegische Strahlenschutzexperten etwa, die die Bergungsarbeiten an dem in 108 Meter Tiefe liegenden U-Boot-Riesen zu genau verfolgen wollten, wurden systematisch vergrault.
Einen entscheidenden Grund für die Geheimniskrämerei glauben westliche Experten schon seit der Havarie des russischen Atom-U-Boots im vergangenen Jahr zu kennen: An Bord der "Kursk" sollen bis zu 28 Torpedos eines neuartigen Typs lagern. Mit ihnen, so fürchten westliche Rüstungsexperten, ist den russischen Marineingenieuren ein Quantensprung in der modernen Unterwasser-Kriegsführung gelungen.
Der russische Wundertorpedo "Shkval" ("Sturmböe") schießt mit Geschwindigkeiten durchs Wasser, von denen westliche Rüstungsingenieure bisher kaum zu träumen wagten.
Schon die ersten Prototypen der Unterwasserwaffe waren mit 200 Knoten (370 Stundenkilometern) drei- bis viermal so schnell wie die leistungsstärksten Nato-Torpedos. Eine 1999 bei einer internationalen Waffenschau in Abu Dhabi vorgestellte Exportversion ("Shkval-E") soll es nach Angaben ihrer Konstrukteure sogar auf bis zu 500 Stundenkilometer bringen.
Die anfangs skeptischen westlichen Marineexperten erschaudern inzwischen angesichts dieser Geschwindigkeitsrevolution unter Wasser. Von dem "Shkval" angegriffene U-Boote, so fürchten sie, hätten gegen die heranfauchenden Geschosse kaum eine Chance. Mit taktischen Atomsprengköpfen ausgerüstete Raketentorpedos könnten zudem ganze US-Trägerkampfgruppen vernichten, ohne dass diesen Zeit zur Gegenwehr bliebe.
"Wir waren geschockt, als dieser Torpedo auftauchte", erklärt der US-Marineexperte Norman Polmar. Der "Shkval", räumte auch das britische Fachblatt "Jane's Intelligence Review" ein, sei "eine der verheerendsten Unterwasserwaffen" der letzten Jahre.
Der Trick, mit dem die östlichen Marineingenieure die modernsten West-Torpedos aussehen lassen, als blieben sie im Wasser stehen, heißt Superkavitation.
Schon Isaac Newton hatte in seinen "Principia Mathematica" von 1687 erkannt, dass sich bei Unterwassergeschwindigkeiten von rund 180 Stundenkilometern Kavitationsblasen bilden. Denn der Druck an der Außenhaut jedes bewegten Schwimmkörpers sinkt. Fällt er unter den Dampfdruck des Wassers, so bildet sich Wasserdampf: Statt in Flüssigkeit bewegen sich die Unterwasserläufer in einer Gasblase.
Im Gegensatz zu voll umströmten Körpern werden solche superkavitierenden Geschosse vom Wasser kaum gebremst, weil sie mit ihm so gut wie nicht mehr in Berührung kommen. Eingehüllt in einen Kokon aus Wasserdampf, bleiben sie bei der Reise in der Gasblase - mit Ausnahme der Spitze - trocken.
Den russischen Waffeningenieuren ist es offenbar gelungen, die Nase ihrer Projektile so zu gestalten, dass der gesamte Laufkörper bis zum Heck von einer Superkavitationsblase wie von einem dünnen Gaspräservativ umgeben ist. Angetrieben wird das Geschoss von einem leistungsstarken Raketenantrieb - Schiffsschrauben würden in der Kavitationsblase leer durchdrehen.
Bereits Anfang der neunziger Jahre, vermutet Mark Galeotti, Rüstungsexperte an der Keele University in Staffordshire, hatte die russische Flotte die ersten zuverlässig arbeitenden Versionen dieser mitten im Wasser durch Gas fliegenden Wundertorpedos einsatzbereit.
Westliche Militärexperten rechnen damit, dass die Superkavitationstechnik die Seekriegsszenarien verändern wird. "Wir sind an einem ähnlichen Punkt angelangt wie nach dem ersten erfolgreichen Flug der Gebrüder Wright", erklärt US-Experte Robert Kuklinski vom amerikanischen Naval Undersea Warfare Center (NUWC) in Newport, Rhode Island. "Nur dass wir eine Menge mehr über die zugrunde liegenden physikalischen und technischen Einzelheiten wissen als diese frühen Pioniere."
Statt den Gegner wie bisher lautlos auszumanövrieren, um sich selbst in eine günstige Schussposition zu bringen, werden die künftigen Unterwasserduelle Luftkämpfen ähneln, wie sie sich bei der Luftschlacht um England britische Spitfires und deutsche Messerschmitts lieferten.
Die Rolle der "Spitfires der See" werden in diesem Fall nicht die riesigen Mutter-U-Boote selbst übernehmen, sondern von ihnen ausgestoßene superkavitierende Kleinstfahrzeuge, die mit heulenden Raketentriebwerken durchs Wasser kurven. Selbst Besatzungen könnten die Mini-U-Boote an Bord nehmen: "Es gibt keinen Grund", glaubt der NUWC-Forscher John Castano, "warum die Superkavitations-Technik nicht auf bemannte Fahrzeuge übertragen werden könnte."
Westliche Nachrichtendienste sammeln seit spätestens 1995 Informationen über den russischen Supertorpedo. Edmond Pope, ein pensionierter Mitarbeiter des US-Marinegeheimdienstes, wurde im Dezember letzten Jahres in Moskau zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er hatte angeblich versucht, einem russischen "Shkval"-Ingenieur Blaupausen für 30 000 Dollar abzukaufen.
Trotz Präsentationen auf internationalen Waffenmessen ist der russische Hochgeschwindigkeitstorpedo laut Ottfried Nassauer, Militärexperte am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, ein Waffensystem, "von dem wir im Westen so gut wie nichts wissen".
Dass dies auch bei der Bergung der "Kursk" so bleiben wird, hat sich die russische Marineführung fest vorgenommen: Ungebetene Gäste, ließ ein Flottensprecher wissen, würden notfalls mit Wasserbomben von der Unglücksstelle vertrieben.
GÜNTHER STOCKINGER
Bitte keine witzigen Bemerkungen!
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