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    Ein Loblied auf Jack Vance

    John Holbrook Vance (* 28.08.1916 in San Francisco,† 26.05.2013 in Oakland) ist einer meiner Lieblingsautoren. Er schrieb unter seinem Namen mehr als fünfzig Science-Fiction Romane in ebenso vielen Jahren, von Kurzgeschichten, Stories unter Pseudonymen und Kriminalgeschichten einmal abgesehen. Nachfolgend beschränke ich mich auf die dreiunddreißig Romane, die ich im Laufe der Zeit gelesen (und mit „Schulnoten“ von 0,7 sehr gut plus bis 6,0 ungenügend benotet) habe:

    Deutscher - /englischer Titel Jahr Sammelbandname Zyklus Note
    Die sterbende Erde/The dying earth 1950 1
    Das Weltraummonopol/The Five Gold Bands 1950 1
    Der Baum des Lebens/Son of the tree 1951 Drachenbrut 1
    Freibeuter des Alls/Vandals of the Void 1953 1,7
    Planet der Ausgestoßenen/The big planet 1957 0,7
    Die Kriegssprachen von Pao/The languages of pao 1958 Kriegssprachen 1
    Die Drachenreiter/The dragon masters 1962 Drachenbrut 1
    Die Häuser von Iszm/The house of iszm 1964 Drachenbrut 1
    Die letzte Festung/The last castle 1966 Drachenbrut 1
    Krieg der Gehirne/Nopalgarth 1966 Kriegssprachen 1,3
    Die blaue Welt/The blue world 1966 1,7
    Die Stadt der Khasch/City of the khasch 1968 Planet der Abenteuer Tschai I 1
    Gestrandet auf Tschai/Servants of the wankh 1969 Planet der Abenteuer Tschai II 1
    Emphyrio// 1969 0,7
    Im Reich der Dirdir/The dirdir 1970 Planet der Abenteuer Tschai III 1
    Im Banne der Pnume/The pnume 1970 Planet der Abenteuer Tschai IV 1
    Der Mann ohne Gesicht/The Anome 1971 Durdane Durdane I 1
    Der Kampf um Durdane/The brave free man 1972 Durdane Durdane II 1,3
    Die Asutra/The Asutra 1973 Durdane Durdane III 2
    Trullion: Alastor 2262// 1973 Alastor Alastor I 1
    Der graue Prinz/The grey prince 1974 1,3
    Marune: Alastor 933// 1975 Alastor Alastor II 1
    Maske: Thaery// 1976 Chroniken der Zuk. 11 1,3
    Wyst: Alastor 1716// 1978 Alastor Alastor III 1
    Der galaktische Spürhund/The galactic effectuator 1980 1
    Herrscher von Lyonesse/Lyonesse 1983 Lyonesse Zyklus I 1
    Die grüne Perle/The green pearl 1985 Lyonesse Zyklus II 0,7
    Station Araminta/Araminta Station 1988 Cadwal Chronik I 0,7
    Madouc/Madouc 1990 Lyonesse Zyklus III 1
    Ecce und die alte Erde/Ecce and old earth 1991 Cadwal Chronik II 0,7
    Throy// 1992 Cadwal Chronik III 1
    Nachtlicht/Night lamp 1996 1,7
    Jenseits der Leere/Ports of Call 1998 1,5
    Myrons Reisen/Lurulu 2004 2,3

    Seine Romane fesseln mich schon seit Jahrzehnten mit ihrer gleichbleibenden Qualität; ich kann sie stundenlang ohne Ermüden lesen. Doch was genau fasziniert mich? Ein Erklärungsversuch:

    Mich überzeugt vor allem die dichte Atmosphäre, die exotische Vielfalt an in sich schlüssigen Weltentwürfen und die Originalität seiner Geschichten, in die ich nur zu gern eintauche und dem spannenden Ende entgegen fiebere. Bei Science-Fiction keineswegs selbstverständlich steht nicht die Raumfahrt an sich im Vordergrund, technische Details sind ihm augenscheinlich nicht wichtig. Sie bilden maximal einen verschwommenen Rahmen im Hintergrund. Es geht ihm mehr um die Auswirkungen auf den Menschen, bzw. auf deren Beziehungen zueinander.

    Seine Menschen besiedeln seit tausenden von Jahren fremdartige Planeten und teilen sie manchmal mit halbintelligenten Ureinwohnern, z.B. die hundeähnlichen Ahulphs (Durdane), die telepathischen Erjinen (Der graue Prinz) oder Merlinge, Amphibienwesen auf Trullion (Alastor 2262). Ihre Gesellschaften verändern sich stark bis zur Degeneration, die Ursprünge verschwimmen genauso wie der eigentliche Grund der Auswanderung.
    Obwohl er dabei Gesellschaften beschreibt, die exotischer kaum sein können, ähneln gewisse Charakteristiken -wenig erstaunlich- unserer heutigen Welt: die Auflehnung Einzelner/der Jugend gegen das herrschende System, der Wunsch einiger über andere zu herrschen, der Drang, materielle Bedürfnisse auch auf Kosten anderer zu stillen, unglückliche Liebe, ungleiche Partner, „Liebe“ als Mittel zum Zweck ... Genauso vielfältig sind die von ihm postulierten Herrschaftsformen: abstruse Theokratien, anarchische Systeme, utopische Demokratien, autoritäre Diktatoren, degenerierte Monarchien, Kastensysteme, uralte Aristokratien, weise und wohlwollende Alleinherrscher, starre Polykratien, ... die Herrschertitel nicht minder exotisch wie die „Faktoren von Ys“ (Lyonesse), der „Panarch von Pergolai“ (Die Kriegssprachen von Pao) oder der „Connat“ (Alastor).

    Bei der Handlung gibt es einige häufig wiederkehrende Themen: Das Vorherrschen einer Ungerechtigkeit und der Drang des Titelhelden, wieder Gerechtigkeit herzustellen bzw. das Erstarren scheinbar perfekter Systeme und ihre Unfähigkeit, auf Veränderungen angemessen zu reagieren. Letzteres erinnert mich heute sogar ein wenig an Deutschland, wo jede mögliche noch so kleine Veränderung gleich als Bedrohung des „christlichen Abendlandes“ wahrgenommen wird, da (fast) alle mit dem Status Quo zufrieden sind und glauben, es kann ja bestenfalls nur noch schlechter werden.

    Typischer Charakter des Titelhelden: zunächst jung, mit geheimnisvoller Herkunft, der sich seinen ganz eigenen Weg durch eine erstaunliche Welt sucht, lehnt sich gegen das erstarrte Establishment auf, intelligent wenn auch mit einem Schuss Naivität, furchtlos, sparsam und aufmerksam gegen Beutelschneiderei und Betrugsversuchen.

    Vance ist immer ein Meister des Ungewohnten:
    • Die Namen der Personen sind nicht minder exotisch: Der Jurist Mialambre:Octagon (Durdane), Ghyl Tarvoke (Emphyrio), Glinnes Hulden (Trullion) ...
    • Exotik schafft Vance unter anderem durch außergewöhnliche Berufsbezeichnungen wie „Effektuator“ statt Detektiv (Der galaktische Spürhund) oder „Diskriminatoren“ statt Polizei (Durdane). Myron Tany studiert in „Jenseits der Leere“ u.a. Raumdynamik und Gaean-Ökonomie.
    • Auch der Kleidung wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Man achte hier wieder auf die Farbkombinationen, die kaum je einer real existierenden Mode entsprechen. „Eine weiße Tunika mit einem hoch ausschwingenden Kragen, dunkelgrüne Reithosen, an den Fußgelenken zusammengeschnallt, schwarze Stiefel aus Ahulphleder mit silbernen Schnallen und eine kecke Mütze mit einem Medaillon aus farbigem Glas“ (Der Mann ohne Gesicht).
    • Vance spricht alle Sinne an, einschließlich des Geschmacks: Die (natürlich) exotische Mahlzeiten werden häufig ausgiebig beschrieben, mit bis zu 48 Gängen (Durdane).
    • Farben spielen häufig eine besondere Rolle. Die Spitze sind die Durdane-Romane, wo z.B. Titelheld Gastel Etzwane als „Rosaschwarztiefblauer Grüner“ Musiker auftritt. Auf diesem Planeten werden Farben für uns ungewohnte Charaktereigenschaften zugeordnet, z.B. rot für Unsichtbarkeit; konsequenterweise tragen Diebe rot! Aber eigentlich benutzt er eher Purpur oder Magenta statt Rot, Cyan statt Blau, Lavendel statt Violett.
    • Ähnlich verhält es sich mit ausführlich beschriebener Musik und seiner Tonarten (wieder insbesondere bei den Durdane-Romanen): „Frolitz und Mielke, der die Trompete spielte, lieferten die Grundnoten und achteten darauf, der Harmonie nicht in den Weg zu kommen, während Guizol und die Gastaing unauffällige Akzente setzte“.
    • Die wörtliche Rede der Figuren ist häufig durch eine altertümlich wirkende, gewählte Sprache ausgedrückt: „Deine Anmerkungen treffen genau ins Ziel“ statt einfach stimmt oder Aussprüche wie „Deshalb entspricht es schlichter Logik, die Golse zu preisen und zu verherrlichen.“
    • Erstaunlich: Schon in seinen frühen Romanen, lange bevor Gentechnik zum allgegenwärtigen Reizwort wurde, ersetzen biologische Entwicklungsprozesse bzw. Evolution rein physikalisch-technische Innovationen. Extrem wird das in den Drachenbrut-Romanen deutlich, wo Menschen derart gezüchtet werden, dass sie den herrschenden (intelligenten) Drachen gar als Reittiere dienen können. Auch in „Kampf um Durdane“ züchten die Palasedraner Menschen als Zugtiere von Kutschen - gänzlich ohne Gewissensbisse.
    • Bei Flora und Fauna nutzt er das bei SF übliche Stilmittel, neben frei erfundenen Namen bekannte Gattungsbezeichnungen wie „Gras“ mit außergewöhnlichen Bezeichnungen zu verbinden: z.B. zu Schlangengras, ein anderes Beispiele ist der Henkerbaum (Durdane).


    Die Grenze zur Fantasy ist bei Vance fließend, Technik wirkt wie Zauberei; einige sprechen von Science Fantasy. Eher selten wie bei dem Lyonesse-Zyklus kann eindeutig „nur“ von Fantasy gesprochen werden. Aber selbst hier wirkt die Zauberei wie uralte, längst vergessene Technik, deren Ursprünge verloren gegangen sind. Während wirklich zukunftsträchtige Technik (z.B. Raketentechnik) nur vage angedeutet wird, beschreibt er alternative Techniken sehr ausführlich, ähnlich dem Steampunk, z.B. der „Ballonweg“ in Durdane.

    Das meiner Meinung nach beste Buch ist Emphyrio, geschrieben als ich fünf Jahre alt war. Ein typischer Vance eben: Ein junger Mann wird schlecht behandelt und zeigt es der herrschenden Klasse auf seine Weise, indem er die allgegenwärtige Passivität durchbricht - gegen alle Widrigkeiten.


    Frank Mause, Bad Arolsen Oktober 2016

    Hinweis: Eine komplette Tabelle mit mehr als 500 von mir bewerteten SF-Klassikern von Poul Anderson bis Roger Zelazny ist auf http://www.frankmause.de/erwerb/sf-r...iken/?logout=1
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