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Nach der „Tribute von Panem“-Trilogie und dem Roman „Das Lied von Vogel und Schlange“ verfasste Suzanne Collins einen weiteren Roman zur dystopischen Nation Panem, in der 12 Distrikte einst im Krieg gegen das Kapitol unterlagen und seitdem jährlich Tribute zu den Hungerspielen entsenden müssen, die sich in einer Arena zwecks Unterhaltung der Kapitol-Bürger gegenseitig töten bis nur noch einer übrig ist. Die ursprüngliche Trilogie beschrieb die 74. und 75. Hungerspiele (und was inoffiziell als 76. Hungerspiele bezeichnet wurde). In „Das Lied von Vogel und Schlange“ ging es um die 10. Hungerspiele, die eine große Trendwende darstellte, wie die Hungerspiele inszeniert wurden. „Der Tag bricht an“ ist 40 Jahre später angesiedelt und beschreibt jene Spiele, aus denen Haymitch Abernathy als „Sieger“ hervorging.
Haymitch‘ Geburtstag fällt auf den jährlichen Tag der Ernte, an dem die Tribute ausgelost werden. Dies ist sein 16. Geburtstag und er macht sich keine Illusionen darüber, dass seine Chancen bei der Auslosung gut stünden – zumal anlässlich des Jubeljubiläums doppelt so viele Tribute wie sonst gezogen werden. Also genießt er wie jedes Jahr den Vormittag seines Geburtstags, verbringt ihn mit seiner Familie und seiner geliebten Lenore Dove. Als dann die Ernte stattfindet, ist Haymitch zuerst erleichtert, dass der Kelch an ihm vorüber geht. Doch als einer der männlichen Tribute einen Fluchtversucht startet – der für diesen tödlich endet – gerät Haymitch im folgenden Durcheinander mit einem Friedenswächter in Streit. Zur Strafe wird ein Zettel mit seinem Namen ganz oben in den Lostopf gelegt und bei der Ziehung eines Ersatztributs erwischt es Haymitch.
Zusammen mit den drei anderen Tributen aus Distrikt 12 wird er unzeremoniell ins Kapitol verfrachtet und von einem Termin zum anderen gekarrt. Aufmüpfig wie es für ihn typisch ist, eckt Haymitch dabei natürlich ordentlich an und auch wenn es dem Publikum zu gefallen scheint, zieht er sich doch den Ärger von Präsident Snow zu, weshalb Haymitch sich schon vor Beginn der eigentlichen Hungerspiele auf der Abschussliste der Spielmacher sieht. Da er sich keine Siegchance ausrechnet und unerwartete Verbündete findet, die darauf aus sind, die Hungerspiele in Form der Arena zu sabotieren, lässt sich Haymitch auf diese besondere Mission ein.
Fazit: „Das Lied von Vogel und Schlange“ hat mir als Prequel wesentlich besser gefallen (und tut dies retrospektiv in zunehmendem Ausmaß). Der Roman zur Vorgeschichte von Coriolanus Snow hat sich doch recht deutlich von den anderen Trilogie-Romanen unterschieden, obwohl es zumindest in der ersten Hälfte des Romans auch „nur“ um eine weitere Auflage der Hungerspiele ging. Aber der zeitliche Abstand war so groß, dass die 10. Hungerspiele doch sehr anders abliefen als man es aus der Trilogie kannte und mit Snow hatte man eine andere Perspektive auf die Geschehnisse als durch die Augen eines Tributs.
„Der Tag bricht an“ ist im Vergleich eine relativ „normale“ Erzählung der Hungerspiele. Die 50. Hungerspiele unterscheiden sich vom allgemeinen Ablauf nicht besonders von denen, an denen Katniss Everdeen teilgenommen hat. Suzanne Collins hat sich inhaltlich auch selbst ziemlich eingeschränkt, denn der Ablauf der 50. Hungerspiele wurde bereits im Roman „Gefährliche Liebe“ (Originaltitel „Catching Fire“) recht detailliert beschrieben in Form einer Zusammenfassung, die sich Katniss und Peeta zur Vorbereitung auf ihr eigenes Jubeljubiläum angesehen haben. Da Panem von Präsident Snow autoritär regiert wird, eröffnete sich für Collins natürlich die Möglichkeit, Dinge zu Haymitch‘ Jubeljubiläum hinzuzufügen, die das Kapitol ihren Bürgern vorenthalten würde.
So betrachtet war die Idee gar nicht mal so schlecht, Haymitch auf eine Nebenmission zu schicken und die Hungerspiele selbst zu bekämpfen. Seine Verbündeten sind daher hauptsächlich außerhalb statt innerhalb der Arena zu finden und hier hat Collins es wieder ein bisschen mit Anspielungen übertrieben. Der überwiegende Teil der Personen, denen Haymitch im Kapitol begegnet, kennen die Leser der Trilogie bereits. Es ist zwar ganz nett, sie dabei zu haben, aber es gab schon 49 Sieger: Dass man dem Distrikt 12 gleich zwei Mentoren aus anderen Distrikten zugewiesen hat und beide dem Leser schon bekannt sind und dass die Sabotage weiters vorangetrieben durch zwei weitere Charaktere wird, die die Fäden ziehen – das ist schon ziemlich viel. Als sehr nett wiederum empfand ich aber Haymitch‘ erste Begegnung mit Effie Trinket. Diese Interaktion ist sehr zurückhaltend und gerade deshalb funktioniert sie mit dem Vorwissen um spätere Entwicklungen sehr gut.
Mit den vielen Gastauftritten bekannter Charaktere oder deren Verwandten hatte ich aber gar kein so großes Problem. Hauptproblem für mich war, dass Haymitch‘ Nebenmission nicht funktioniert.
Die bekannte Beschreibung der 50. Hungerspiele hat eigentlich schon vorweggenommen, dass Haymitch‘ Erfolg überschaubar bleiben würde und das war er schlussendlich auch. Man hatte nie das Gefühl, dass nach dem Sabotageakt die Arena großartig außer Kontrolle geraten wäre. Es hätte mir besser gefallen, wenn der Schuss nach hinten losgegangen wäre und die Arena durch Fehlfunktionen gefährlicher geworden wäre als zuvor. Das hätte die Tragödie vergrößert. Und das Finale lief dann wirklich genau so ab, wie in „Gefährliche Liebe“ beschrieben. Leider hatte ich den Ausgang, wie Haymitch den letzten Gegner besiegte, noch gut in Erinnerung. Und auch bei Haymitch‘ Rückkehr ins Distrikt 12 hält sich die Überraschung in Grenzen. Am Ende tritt genau der Worst-Case ein, den sich Haymitch vorgestellt hat. Begleitet von – für meinen Geschmack – zu viel Poesie.
Bewertung: Solide 3 von 6 Sterne sind noch drinnen. Es mag wie eine gutes Konzept geklungen haben, Haymitch‘ Vorgeschichte zu erzählen. Aber anders als bei der Vorgeschichte zu Coriolanus Snow fehlt dem Roman das Alleinstellungsmerkmal, dass man etwas Neues erzählt bekommt. Die Welt, in der der jungen Coriolanus Snow lebte, war noch nicht besonders ausformuliert und bot erzählerisch mehr Möglichkeiten. Die Nebenmission hätte Haymitch‘ Vorgeschichte ebenfalls diese Möglichkeiten geben können, aber Collins hat leider nur die Lücken zwischen dem, was schon bekannt war, gefüllt. Interessanter wäre es gewesen, den Kontext des Bekannten zu ändern. Das ist ihr leider nicht gelungen.
Die Charakterisierung des jungen Haymitch fand ich in Ordnung und seine Entwicklung zum Trinker angesichts der Ereignisse nachvollziehbar geschrieben – aber ebenfalls frei von Überraschungen.
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Diese und weitere Rezensionen - wie auch meine eigenen Star Trek-Romane zum kostenlosen Download - findet ihr wie gewohnt auch auf meinem Blog:
https://rumschreiber.wordpress.com
Nach der „Tribute von Panem“-Trilogie und dem Roman „Das Lied von Vogel und Schlange“ verfasste Suzanne Collins einen weiteren Roman zur dystopischen Nation Panem, in der 12 Distrikte einst im Krieg gegen das Kapitol unterlagen und seitdem jährlich Tribute zu den Hungerspielen entsenden müssen, die sich in einer Arena zwecks Unterhaltung der Kapitol-Bürger gegenseitig töten bis nur noch einer übrig ist. Die ursprüngliche Trilogie beschrieb die 74. und 75. Hungerspiele (und was inoffiziell als 76. Hungerspiele bezeichnet wurde). In „Das Lied von Vogel und Schlange“ ging es um die 10. Hungerspiele, die eine große Trendwende darstellte, wie die Hungerspiele inszeniert wurden. „Der Tag bricht an“ ist 40 Jahre später angesiedelt und beschreibt jene Spiele, aus denen Haymitch Abernathy als „Sieger“ hervorging.
Haymitch‘ Geburtstag fällt auf den jährlichen Tag der Ernte, an dem die Tribute ausgelost werden. Dies ist sein 16. Geburtstag und er macht sich keine Illusionen darüber, dass seine Chancen bei der Auslosung gut stünden – zumal anlässlich des Jubeljubiläums doppelt so viele Tribute wie sonst gezogen werden. Also genießt er wie jedes Jahr den Vormittag seines Geburtstags, verbringt ihn mit seiner Familie und seiner geliebten Lenore Dove. Als dann die Ernte stattfindet, ist Haymitch zuerst erleichtert, dass der Kelch an ihm vorüber geht. Doch als einer der männlichen Tribute einen Fluchtversucht startet – der für diesen tödlich endet – gerät Haymitch im folgenden Durcheinander mit einem Friedenswächter in Streit. Zur Strafe wird ein Zettel mit seinem Namen ganz oben in den Lostopf gelegt und bei der Ziehung eines Ersatztributs erwischt es Haymitch.
Zusammen mit den drei anderen Tributen aus Distrikt 12 wird er unzeremoniell ins Kapitol verfrachtet und von einem Termin zum anderen gekarrt. Aufmüpfig wie es für ihn typisch ist, eckt Haymitch dabei natürlich ordentlich an und auch wenn es dem Publikum zu gefallen scheint, zieht er sich doch den Ärger von Präsident Snow zu, weshalb Haymitch sich schon vor Beginn der eigentlichen Hungerspiele auf der Abschussliste der Spielmacher sieht. Da er sich keine Siegchance ausrechnet und unerwartete Verbündete findet, die darauf aus sind, die Hungerspiele in Form der Arena zu sabotieren, lässt sich Haymitch auf diese besondere Mission ein.
Fazit: „Das Lied von Vogel und Schlange“ hat mir als Prequel wesentlich besser gefallen (und tut dies retrospektiv in zunehmendem Ausmaß). Der Roman zur Vorgeschichte von Coriolanus Snow hat sich doch recht deutlich von den anderen Trilogie-Romanen unterschieden, obwohl es zumindest in der ersten Hälfte des Romans auch „nur“ um eine weitere Auflage der Hungerspiele ging. Aber der zeitliche Abstand war so groß, dass die 10. Hungerspiele doch sehr anders abliefen als man es aus der Trilogie kannte und mit Snow hatte man eine andere Perspektive auf die Geschehnisse als durch die Augen eines Tributs.
„Der Tag bricht an“ ist im Vergleich eine relativ „normale“ Erzählung der Hungerspiele. Die 50. Hungerspiele unterscheiden sich vom allgemeinen Ablauf nicht besonders von denen, an denen Katniss Everdeen teilgenommen hat. Suzanne Collins hat sich inhaltlich auch selbst ziemlich eingeschränkt, denn der Ablauf der 50. Hungerspiele wurde bereits im Roman „Gefährliche Liebe“ (Originaltitel „Catching Fire“) recht detailliert beschrieben in Form einer Zusammenfassung, die sich Katniss und Peeta zur Vorbereitung auf ihr eigenes Jubeljubiläum angesehen haben. Da Panem von Präsident Snow autoritär regiert wird, eröffnete sich für Collins natürlich die Möglichkeit, Dinge zu Haymitch‘ Jubeljubiläum hinzuzufügen, die das Kapitol ihren Bürgern vorenthalten würde.
So betrachtet war die Idee gar nicht mal so schlecht, Haymitch auf eine Nebenmission zu schicken und die Hungerspiele selbst zu bekämpfen. Seine Verbündeten sind daher hauptsächlich außerhalb statt innerhalb der Arena zu finden und hier hat Collins es wieder ein bisschen mit Anspielungen übertrieben. Der überwiegende Teil der Personen, denen Haymitch im Kapitol begegnet, kennen die Leser der Trilogie bereits. Es ist zwar ganz nett, sie dabei zu haben, aber es gab schon 49 Sieger: Dass man dem Distrikt 12 gleich zwei Mentoren aus anderen Distrikten zugewiesen hat und beide dem Leser schon bekannt sind und dass die Sabotage weiters vorangetrieben durch zwei weitere Charaktere wird, die die Fäden ziehen – das ist schon ziemlich viel. Als sehr nett wiederum empfand ich aber Haymitch‘ erste Begegnung mit Effie Trinket. Diese Interaktion ist sehr zurückhaltend und gerade deshalb funktioniert sie mit dem Vorwissen um spätere Entwicklungen sehr gut.
Mit den vielen Gastauftritten bekannter Charaktere oder deren Verwandten hatte ich aber gar kein so großes Problem. Hauptproblem für mich war, dass Haymitch‘ Nebenmission nicht funktioniert.
Die bekannte Beschreibung der 50. Hungerspiele hat eigentlich schon vorweggenommen, dass Haymitch‘ Erfolg überschaubar bleiben würde und das war er schlussendlich auch. Man hatte nie das Gefühl, dass nach dem Sabotageakt die Arena großartig außer Kontrolle geraten wäre. Es hätte mir besser gefallen, wenn der Schuss nach hinten losgegangen wäre und die Arena durch Fehlfunktionen gefährlicher geworden wäre als zuvor. Das hätte die Tragödie vergrößert. Und das Finale lief dann wirklich genau so ab, wie in „Gefährliche Liebe“ beschrieben. Leider hatte ich den Ausgang, wie Haymitch den letzten Gegner besiegte, noch gut in Erinnerung. Und auch bei Haymitch‘ Rückkehr ins Distrikt 12 hält sich die Überraschung in Grenzen. Am Ende tritt genau der Worst-Case ein, den sich Haymitch vorgestellt hat. Begleitet von – für meinen Geschmack – zu viel Poesie.
Bewertung: Solide 3 von 6 Sterne sind noch drinnen. Es mag wie eine gutes Konzept geklungen haben, Haymitch‘ Vorgeschichte zu erzählen. Aber anders als bei der Vorgeschichte zu Coriolanus Snow fehlt dem Roman das Alleinstellungsmerkmal, dass man etwas Neues erzählt bekommt. Die Welt, in der der jungen Coriolanus Snow lebte, war noch nicht besonders ausformuliert und bot erzählerisch mehr Möglichkeiten. Die Nebenmission hätte Haymitch‘ Vorgeschichte ebenfalls diese Möglichkeiten geben können, aber Collins hat leider nur die Lücken zwischen dem, was schon bekannt war, gefüllt. Interessanter wäre es gewesen, den Kontext des Bekannten zu ändern. Das ist ihr leider nicht gelungen.
Die Charakterisierung des jungen Haymitch fand ich in Ordnung und seine Entwicklung zum Trinker angesichts der Ereignisse nachvollziehbar geschrieben – aber ebenfalls frei von Überraschungen.
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Diese und weitere Rezensionen - wie auch meine eigenen Star Trek-Romane zum kostenlosen Download - findet ihr wie gewohnt auch auf meinem Blog:
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