AWAKEN (Erweckung)
Timeline nach „Ritter der Dämonen“: Die durch die Diaspora personell ausgedünnten Mohar planen, den bösen Geist Beelzebub zu erwecken, um ihn in ihre Dienste zu nehmen
Timy saß am Medobett und starrte gedankenverloren auf die Anzeigen. Zum wiederholten Male fragte er sich, wieso er als Sky Vogt hier einen auf Krankenpfleger machen musste. Auch wenn JTG ein kleines Haus ist, bedeutete das, dass es trotzdem tausende von Mitgliedern und Bediensteten gab—menschliche, menschenähnliche, Nichtmenschen und sogar Maschinenmenschen standen auf einen Wink seiner Hand bereit, um alle möglichen Aufträge zu erfüllen. Am Ende, was nützte es? Jetzt saß er hier und überwachte Lebenszeichen und Kraftfelder, welche den Klon (wobei die Bezeichnung nur zur Hälfte stimmte) umgaben. Der Vorgang war allerdings auch komplex und würde sicher nichts werden, worauf er später mit Stolz zurückblicken würde.
Dabei war das, was sie hier taten, nicht weniger als eine magisch-wissenschaftliche Revolution. Sie wollten einen Geist aus einer Zwischenwelt holen und in diesen vorbereiteten Körper transportieren. Jeantron hatte sich zu diesem Zweck in eine Trance begeben, welche ihn teilweise aus dieser Realität entfernt hatte. Seine Gestalt leuchtete blau und wirkte irgendwie unscharf—ein Zustand, in dem Timy ihn schon lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Tani hatte seinerzeit viele Experimente mit und an Jeantron gemacht, um seine Studien voranzutreiben. Aber erst jetzt als Mensch konnte Timy erfassen, was das Jean abverlangen musste. Timy seufzte. Jeantron hatte in seiner belehrenden Art allen klar gemacht, dass es bei der Erschaffung dieses Mohar keine zweite Chance und keinen Spielraum für Fehler gab.
ZacVanDoom war die besondere Ehre zuteilgeworden, nach der hoffentlich erfolgreichen Erweckung Lee als seine AENA zu formen und auszubilden. Beim Gedanken an Zacs Gesicht, als Jeantron das verkündete, musste Timy dann doch schmunzeln. Dem allzeit coolen, überlegenen Skyduke waren sämtliche Gesichtszüge entgleist. Er hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt, hatte aber gegen Jeantrons Überzeugungskraft verloren. Ja, sie hatten einen hohen personellen Zoll zahlen müssen, der selbst düsterste Prognosen bei weitem übertroffen hatte. Der Großteil der Skylords und Barone hatte sich mit ihren Highlinern auf und davon gemacht. Ein anderer Teil war zwar noch im Imperium, hatte sich aber anderen Familien angeschlossen oder gleich sein eigenes Ding aufgezogen. Tausende von Skycitizen waren ihnen gefolgt, und die JTG war zur Unkenntlichkeit geschrumpft.
ZacVanDoom hatte einen beträchtlichen Teil der Gewinne für Reparationen und den Umzug nach Wrongside (Timy spürte bei dem Namen einen Kloß im Hals) sowie den Kauf von Waaterkant aufgewendet. Glücklicherweise florierte das Geschäft in der EXO-DOMÄNE weit entfernt von den Augen der Imperialen Steuerbehörden nach wie vor recht gut. Die dortigen Sky Barone waren allerdings in den Dingen, welche das Imperium betrafen, nicht so involviert und das Groh der Besatzungen waren Maschinenmenschen, die politisch eher desinteressiert waren. Sie waren eher mit ihren Schiffen, bestenfalls noch mit den Baronen, welchen sie folgten, verbunden. Die Sky Barone wiederum benötigten auch Führung und Anleitung, was wiederum dazu führte, dass Timy hier die Hebamme für einen potenziellen Sky Konsul spielte.
Jetzt, in diesem Augenblick, tat sich etwas. Der Ring über dem Medobett, der nicht zufällig wie ein Miniatursprungtor aussah, aktivierte sich. Ein superkompaktes Wormhole öffnete sich, und lila Schwaden aus einer Welt hinter der Realität begannen zu fließen. Timy dachte an die endlosen Diskussionen, die darüber geführt wurden, was alles aus solch einem Realitätsriss herauskommen könnte und welche Folgen das für das Imperium im Allgemeinen und das Haus im Besondern haben würde. Wenn sie der Imperatrix noch mehr Scherereien machten, würde der Laden hier dicht gemacht werden. Das hatte sie ZacVanDoom bei seinem Abdankungsgespräch deutlich klargemacht.
Timy seufzte erneut. Jetzt war es sowieso zu spät. Der Vorgang war eingeleitet und sein Job war es, tausende an Parametern zu überwachen und Abweichungen auszutarieren.
Als die lila Schemen den Körper erreichten, begann sich dieser trotz der Fesselfelder, welche zusätzlich zu den physischen Fesseln den Körper hielten, zu winden und aufzubäumen. Jeantron hatte TimyMohar beim Briefing intensiv darauf vorbereitet, dass dies der unschöne Teil dieses Vorgangs darstellen würde.
Man hatte das Problem, dass der Körper ein Bewusstsein brauchte, das aber anschließend zerstört wurde, um dem Wirt Platz zu machen. Umgangen hatte man dies, indem man eine virtuelle KI erstellt hatte, deren einzige Aufgabe es war, den Körper bis zu seiner Übernahme zu erhalten. Trotzdem war das Ganze grenzwertig bis widerwärtig, und es war noch nicht einmal das Schlimmste. Für alles, was aus der Zwischenwelt herüberkam, wurden Fleisch und Lebenskraft dem Körper entrissen—ein Vorgang, dem selbst das Wort Agonie nur unzureichend beschreiben kann. Zudem hätte es den Probanden schlicht umgebracht, hätte man nicht als Basis den extrem robusten Körper Miheils als Vorlage genommen.
Dazu kamen pausenlose Infusionen mit Asli ya Nyota, deren Kosten selbst einige Große Häuser in den Ruin getrieben hätten. „Gut, dass wir den Schmuggel auch in Post-Diaspora-Zeiten nicht völlig aufgegeben haben“, dachte Timy. „Ich hoffe wirklich, Lee, du bist das alles wert.“ Die Injektionen füllten Lebenskraft auf und stellten Mana zur Verfügung, dass der Dämon benötigen würde, um den Körper nach Inbesitznahme zu regenerieren. Das würde auch bitter notwendig sein, denn je länger der Vorgang dauerte, desto schrecklicher sah der Körper aus. „Tja“, dachte Timy, „seinerzeit hätte Tani so einen Vorgang lediglich interessiert zur Kenntnis genommen. Mit einem Körper und Gefühlen ist das eine ganz andere Sache. Tani hat bei meiner Erschaffung seine Sache zu gut gemacht und dieser verfluchte Guru hat dafür gesorgt, dass ich die ganze Bandbreite meiner Gefühle tatsächlich lebe, anstatt sie zu unterdrücken, wie es wahrscheinlich sogar der Großteil, der ach so tollen Menschheit tut.“
Lees Körper veränderte sich mehr und mehr. Sie schrie so sehr, dass es trotz der Dämpfungsfelder, welche das Bett umgaben, hörbar war. Die Zuckungen schüttelten den Körper in einem Stakkato so rasch, dass seine Konturen trotz Timy’s übermenschlichem Wahrnehmungsvermögen verschwammen. Die Adern verfärbten sich schwarz, sie begann zu glühen, ihre Augen trockneten ein und verbrannten. Timy an seinen Kontrollen bekam Panik: „Das ist nicht gut, was wird das?“ Ihm fiel tatsächlich eine Litanei ein, die Jeantron ihm während seiner Sitzungen beigebracht hatte.
Angeblich hatte er sie aus einer uralten Geschichte, bei der es witzigerweise um einen Wüstenplaneten ging: „Ich darf keine Angst haben. Die Angst tötet das Bewusstsein. Angst ist der kleine Tod, der zu völliger Zerstörung führt. Ich werde meiner Angst ins Gesicht sehen. Sie soll mich völlig durchdringen. Und wenn sie von mir gegangen ist, wird nichts zurückbleiben. Nichts außer mir.“
Seinerzeit hatte er sie etwas lächerlich empfunden. Jemand wie er, der selbst dem Tod ein Schnippchen schlagen konnte, er, die Reinkarnation einer KI, deren pure Existenz Menschen frösteln ließ, brauchte solch eine geistige Krücke nicht. „Oh, und wie ich sie jetzt brauche. Ich muss mich konzentrieren; alles wird gut!“ Er klammerte sich geistig an den Grundsätzen und Lehren Jeantrons fest. Er atmete ein und aus und gewann nach und nach seine Fassung zurück. „Ich muss im JETZT und HIER für Lee da sein! Um alles andere werden wir uns später kümmern.“ Kurzentschlossen deaktivierte er das Eindämmungsfeld, trat an das Bett und hielt ihre glühende Hand. „Beelzebub … Beelzebub … Beelzebub“, rezitierte er dreimal wie ein Mantra. „Komm zu uns und bleib bei uns, du bist uns WILLKOMMEN!“
Der Körper erstarrte regelrecht, dann drehte sich der Kopf, um ihn ausglühenden Augenhöhlen anzustarren. Ein Tenor mit einem Hauch von Alt, der scheinbar von überall herzukommen schien, quakte: „Hähähähä ist das wiedär so ein Unfug? Sie heißen mich willkommän, obwohl ich gaarnichts bei ihnen bäestellt habää?“ Für den Bruchteil einer Sekunde war Timy baff angesichts der Stimme, mit welcher sich Lee bemerkbar machte. Aber jetzt war nicht die Zeit, seinen erneut aufkommenden Zweifeln Raum zu geben.
„Beelzebub, höre mir zu: Dieser Körper ist DEIN Körper. Er gehört ganz dir, und du musst ihn nicht mit jemandem teilen, nicht jetzt und nicht in Zukunft. Wenn du leben willst, musst du ihn komplett annehmen. Dein neuer Name ist Lee Le Baal, und unter diesem wirst du in Zukunft unter uns leben. Nimm es an oder verwehe im Raum zwischen den Realitäten.“
Das entstellte Gesicht verzog sich zu einem Grinsen: „Hähähäh das sind ja nächt gerrade viele Optionen, ich würde gerne den Chef des Hauses spräechen, um mäch zu beschwären.“ „OK“, dachte Timy, „jetzt weiß ich, was Zac mit Nervensäge meinte. Drei Sätze, und schon würde ich sie am liebsten gleich wieder zum Schweigen bringen.“