Der "Rosa Winkel" und andere Opfer des 3.Reichs - Eine Ziemlich vergessene Geschichte - SciFi-Forum

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Der "Rosa Winkel" und andere Opfer des 3.Reichs - Eine Ziemlich vergessene Geschichte

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    #16
    Zitat von Skymarshal Beitrag anzeigen
    @Endar: Ich will dein Wissen als Historiker nicht in Frage stellen. Aber wenn Blueflash von einen Augenzeugenbericht, nämlich den seines Großvaters erzählt, sollte man das auch nicht ignorieren.

    Du sagst ja selber das man Einzelfälle überprüfen muß. Und ich glaube nicht mal das es Einzelfälle waren, weil ich nämlich ähnliches von einen Opa außen Altenheim gehört habe. Und das bezog sich eindeutig auf Massenexekutionen.
    Weißt du, auch hier weiß ich gar nicht, wo überhaupt anfangen soll.
    Die ganze Zeit rede ich hier und in anderen Threads davon, dass die nachträgliche Erinnerung an das "Dritte Reich" nicht mit dem übereinstimmt, was wirklich geschehen ist, sondern dass der individuellen und allgemeinen Erinnerungskultur nach 1945 handfeste Interessen zugrunde liegen. Und was bekomme ich als Antwort? "Mein Opa hat aber gesagt, dass..." "Herr von Manstein schreibt aber in seinem Buch, dass..."

    Das kann ich es eigentlich echt gleich lassen und unterhalte mich demnächst doch nur noch über TOS remastered.

    Aber teilweise kann ich mir auch nur an den Kopf fassen. Bist du schonmal auf die Idee gekommen, dass die Stories des Opas eventuelle einfach nicht stimmen? Dass dir der "Opa außen Alternheim" vielleicht einfach nur das erzählt, was du gerne hören willst? Glaubst du ernsthaft, er würde dir erzählen, er habe z.B. aus voller Begeisterung an Massenmorden teilgenommen oder dass er sich gefreut habe, als er so billig die Möbel des jüdischen Zahnarztes kaufte, nachdem der "nach dem Osten" transportiert wurde? Oder was auch immer? Du kannst im Normalfall davon ausgehen, dass dir Zeitzeugen davon nichts erzählen, sondern dass sie von Akten des Widerstandes berichten, um bei dir einen positiven Eindruck zu hinterlassen.
    Wenn er dir also erzählt, dass a) er das alles ganz schrecklich fand oder dass b) alles ganz schrecklich war und er sich aber innerlich dagegen gewehrt habe, dann ist einfach naiv, das einfach so zu glauben.

    Das kann man nicht einfach 1 zu 1 übernehmen, sondern da muss man sehr kritisch sein. Wieso sagen Zeitzeugen z.B., wenn man sie nach der Verfolgung der Juden fragt immer "Wir haben davon nichts gewusst!" und nicht "Ich habe davon nichts gewusst!"? Man fragt doch eine Einzelperson und nicht eine Gruppe?
    Ich will diese rhetorische Frage auch beantworten: Weil da einstudierte Entschuldungs- und Verdrängungsmuster ablaufen. „Wir“ haben „davon“ nichts gewusst ist ein Schlagwort, hinter dem das individuelle Erinnern zurücktritt und das von individueller Schuld entlastet.
    Lies dir das Buch von Alexander und Margarethe Mitscherlich durch: "von der Unfähigkeit zu trauern". Das ist zwar aus den Sechzigern, aber es bringt die sozialpsycholigen Grundlagen für den Umgang mit dem Nationalsozialismus auf den Punkt.

    Menschen füllen, wenn sie Geschichten erzählen, die Lücken in der Erinnerung durch Erfundenes oder anderes Wissen. Dieses Wissen überlagert im Laufe der Jahre dann die eigene Erinnerung. Geschichten, je häufiger sie erzählt werden, verändern sich immer weiter bis es soweit kommt, dass Zeitzeugen, wenn sie vom "Dritten Reich" berichten, Wort für Wort immer dieselbe Geschichte erzählen.

    Deswegen ist ein Zeitzeugeninterview, auch nicht die Erinnerung des eigenen Großvaters, keine ernsthafte historische Quelle. Sie muss auf ihre Glaubwürdigkeit intensiv überprüft werden, erst dann kann man sagen, ob sie wohl stimmt oder nicht.

    Und deswegen wird es mir langsam ein bisschen zu blöd, denn auch nach diesem kursorischen Überblick über „oral history“ und die Mechanismen der Erinnerung, heisst es garantiert: „Die Geschichte meines Opas stimmt aber...“
    Republicans hate ducklings!

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      #17
      @Endar
      Du übertreibst jetzt aber schon, wenn du Zeitzeugenberichte einfach als Lügen abstempelst. Warum sollen die Aussagen vom Opa von Sky nicht wahr sein? Kennst du ihn? Und glaubst du dann auch nicht an Zeitzeugenberichte von KZ-Überlebenden? Die werden ja auch erzählen, was die Welt hören will.
      Ich arbeite grad in nem Altenheim und musste kürzlihc ne Biographie schreiben, da nahm ich nen Mann. Und der erzählte mir auch, dass es innerhalb der Wehrmacht sehr wohl Erschießungsbefehle gab, und in seinem Bataillon wurden die auch ohne zu zögern ausgeführt, weil man sonst selber dran gekommen wäre. Das war halt an der Ostfront so, wie es im Westen aussah weiß ich nicht.
      Ich finde es doch ziemlcih naiv von dir, dass du die Berichte von Historikern als das einzig Wahre darstellst, nur weil sie grad die Geschichten erzählen, die du hören willst.
      Meine Beiträge sind genderfrei und das ist gut so

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        #18
        Zitat von Mr.Viola Beitrag anzeigen
        @Endar
        Du übertreibst jetzt aber schon, wenn du Zeitzeugenberichte einfach als Lügen abstempelst. Warum sollen die Aussagen vom Opa von Sky nicht wahr sein?
        Wo habe ich geschrieben, dass sie lügen? Nirgendwo!
        Ich habe geschrieben, dass man kritisch sein soll und dass man sie nicht ohne weiteres glauben darf. Es fällt hier im Forum anscheinend sehr schwer, Zwischentöne zu akzeptieren oder eine Sache mal differenziert zu betrachten.

        Ich finde es doch ziemlcih naiv von dir, dass du die Berichte von Historikern als das einzig Wahre darstellst, nur weil sie grad die Geschichten erzählen, die du hören willst.
        Auch von "das einzig Wahre" habe ich nicht ein einziges Wort geschrieben. Es geht auch nicht ohne dass man mir irgendwas unterstellt, nicht wahr?

        Aber ganz abgesehen davon: Historische Arbeiten sind wissenschaftlich. Ich kann sie also nachprüfen, sowohl die Arbeitsweise, wie auch die Ergebnisse.

        Zudem kommen historische Erkenntnisse nicht aus einer einzigen Arbeit allein, sondern entwickeln sich aus einer Vielzahl von Studien.

        Aber ist schon recht: Im Zweifelsfall hat immer der Opa recht. Habe ich ja schon gesagt.

        ...denn auch nach diesem kursorischen Überblick über „oral history“ und die Mechanismen der Erinnerung, heisst es garantiert: „Die Geschichte meines Opas stimmt aber...“
        edit: das nochmal zu Alexander Mitscherlich, dem "Historiker" http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Mitscherlich
        Zuletzt geändert von endar; 13.11.2006, 22:13.
        Republicans hate ducklings!

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          #19
          Zitat von endar

          Weißt du, auch hier weiß ich gar nicht, wo überhaupt anfangen soll.
          Die ganze Zeit rede ich hier und in anderen Threads davon, dass die nachträgliche Erinnerung an das "Dritte Reich" nicht mit dem übereinstimmt, was wirklich geschehen ist, sondern dass der individuellen und allgemeinen Erinnerungskultur nach 1945 handfeste Interessen zugrunde liegen. Und was bekomme ich als Antwort? "Mein Opa hat aber gesagt, dass..." "Herr von Manstein schreibt aber in seinem Buch, dass..."

          Das kann ich es eigentlich echt gleich lassen und unterhalte mich demnächst doch nur noch über TOS remastered.

          Aber teilweise kann ich mir auch nur an den Kopf fassen. Bist du schonmal auf die Idee gekommen, dass die Stories des Opas eventuelle einfach nicht stimmen? Dass dir der "Opa außen Alternheim" vielleicht einfach nur das erzählt, was du gerne hören willst? Glaubst du ernsthaft, er würde dir erzählen, er habe z.B. aus voller Begeisterung an Massenmorden teilgenommen oder dass er sich gefreut habe, als er so billig die Möbel des jüdischen Zahnarztes kaufte, nachdem der "nach dem Osten" transportiert wurde? Oder was auch immer? Du kannst im Normalfall davon ausgehen, dass dir Zeitzeugen davon nichts erzählen, sondern dass sie von Akten des Widerstandes berichten, um bei dir einen positiven Eindruck zu hinterlassen.
          Wenn er dir also erzählt, dass a) er das alles ganz schrecklich fand oder dass b) alles ganz schrecklich war und er sich aber innerlich dagegen gewehrt habe, dann ist einfach naiv, das einfach so zu glauben.

          Das kann man nicht einfach 1 zu 1 übernehmen, sondern da muss man sehr kritisch sein. Wieso sagen Zeitzeugen z.B., wenn man sie nach der Verfolgung der Juden fragt immer "Wir haben davon nichts gewusst!" und nicht "Ich habe davon nichts gewusst!"? Man fragt doch eine Einzelperson und nicht eine Gruppe?
          Ich will diese rhetorische Frage auch beantworten: Weil da einstudierte Entschuldungs- und Verdrängungsmuster ablaufen. „Wir“ haben „davon“ nichts gewusst ist ein Schlagwort, hinter dem das individuelle Erinnern zurücktritt und das von individueller Schuld entlastet.
          Lies dir das Buch von Alexander und Margarethe Mitscherlich durch: "von der Unfähigkeit zu trauern". Das ist zwar aus den Sechzigern, aber es bringt die sozialpsycholigen Grundlagen für den Umgang mit dem Nationalsozialismus auf den Punkt.
          1. Mein Großvater hatte allen Grund, dem 3. Reich nachzutrauern, nachdem er von der SED enteignet und zur Zwangsmitgliedschaft in der LPG verdonnert wurde. Dies tat er nicht. Er lehnte durchaus beides ab. Er war zum Zeitpunkt dieser Befehlsverweigerung so um die 18 jahre alt. Ich habe das auch nicht als Beweis seiner Unschuld und seines inneren Widerstandes hingestellt, sondern, um zu belegen, dass es durchaus verbrecherische Befehle gab, die dann auch durch Strafmaßnahmen durchgesetzt werden konnten. Das dies i.d.R. nicht auf die Todesschwadronen zutraf, dürfte auf der Hand liegen. Man schickt doch keine Mordbande los, wenn man nciht weiss, ob man denen "vertrauen" kann.

          2. Deine "kritische" Haltung gegenüber der Generation der damals Erwachsenen ist in meinen Augen die typische Haltung der in den 60ern herangewachsenen, die es sich aus einer eigenen sicheren Unschuld heraus moralisch durchaus erlauben konnten alles und jeden anzugreifen und ihm Schuld zu unterstellen. Was nicht weiter verwundert, da diese Generation nun in der Lehre dominierend sein dürfte. So oft diese Einstellung auch Recht hatte (siehe zB die Legende der sauberen Wehrmacht), führt sie doch einseitig in Richtung Vorurteile und tendiert zu einer moralisch erhabenen Sicht auf die Dinge, die jeden Kritiker mit der "ABERDUWILLSTNAZIVERBRECHENLEUGNEN"-Keule niederknüppelt. Nicht so Objektiv das ganze.

          3. Zu der "tendenziösen Erinnerungen These": Ich habe mal meine Großmutter gefragt, wie sie als junges Mädchen zu den Juden in Deutschland stand. Mit Tränen in den Augen gestand sie durchaus antisemitische Gefühle gehabt zu haben und zwar vor allem aufgrund des weitverbeiteten Gefühls, dass "die Juden einfach alle reich waren". Hier hatte also die Nationalsozialistische Propaganda durchaus Ansatzpunkte gefunden.

          Zitat von endar

          Ist ja klar! Es sind auch immer dieselben, die besser über die Einsatzkommandos Bescheid wissen als Fachleute, die jahrelang dazu geforscht haben. Das wird mir aber jetzt echt zu blöd.
          Oh ja, entschuldige bitte, aber was für eine sachfundierte Kritik soll das denn sein? "Ich weiss mehr als ihr alle BÄH!" oder was? Wenn du mir belegen kannst, dass die Kripoleute freiwillig in die Einsatzgruppen marschiert sind, dann bitte. Aber ansonsten bleibe ich bei den üblichen Quellen:

          Zitat von wikipedia.de
          Während das Personal für die leitenden Posten von Himmler und Heydrich ausgewählt oder zumindest bestätigt wurde, erfolgte die Auffüllung der Einheiten vorzugsweise mit Personal aus den Reihen der Sipo, Orpo, Kripo und SD, das schon zu ähnlichen Zwecken eingesetzt worden war, ohne dass für die Auswahl besondere Richtlinien existierten. Vielmehr hatten die Fachamtschefs des RSHA von ihren Mitarbeitern eine vorgegebene Zahl abzustellen. So wurde z.B. der komplette Lehrgang der Führerschule der Sipo in Berlin zum Einsatz in den Einsatzgruppen abkommandiert.
          "Abkommandiert" Heisst bei mir nicht "freiwillig gemeldet".
          können wir nicht?

          macht nix! wir tun einfach so als ob!

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            #20
            Zitat von blueflash Beitrag anzeigen
            1. Mein Großvater hatte allen Grund, dem 3. Reich nachzutrauern, nachdem er von der SED enteignet und zur Zwangsmitgliedschaft in der LPG verdonnert wurde. Dies tat er nicht. Er lehnte durchaus beides ab. Er war zum Zeitpunkt dieser Befehlsverweigerung so um die 18 jahre alt. Ich habe das auch nicht als Beweis seiner Unschuld und seines inneren Widerstandes hingestellt, sondern, um zu belegen, dass es durchaus verbrecherische Befehle gab, die dann auch durch Strafmaßnahmen durchgesetzt werden konnten. Das dies i.d.R. nicht auf die Todesschwadronen zutraf, dürfte auf der Hand liegen. Man schickt doch keine Mordbande los, wenn man nciht weiss, ob man denen "vertrauen" kann.
            Ich möchte mich ehrlich gesagt nicht über deinen Großvater unterhalten, denn, wie gesagt, dazu fehlen mir die näheren Informationen.

            2. Deine "kritische" Haltung gegenüber der Generation der damals Erwachsenen ist in meinen Augen die typische Haltung der in den 60ern herangewachsenen, die es sich aus einer eigenen sicheren Unschuld heraus moralisch durchaus erlauben konnten alles und jeden anzugreifen und ihm Schuld zu unterstellen.
            Das ist nicht richtig. Um mir etwas derartiges unterstellen zu können, müsstest du schon näher darauf eingehen, welche Schlussfolgerungen ich (angeblich) aus meinem Befund ziehe. Ich „greife“ die Generation nämlich mit keinem Wort „an“ und ich habe ihr auch mit keinem einzigen Wort Ratschläge erteilt, wie sie sich hätte besser verhalten sollen.
            Ich würde mich ja gerne über die Schlussfolgerungen und die Wertung unterhalten, aber man erreicht ja hier leider niemals an einen Punkt, an dem es wirklich interessant werden würde, weil man stets bei Großvaters Kriegserlebnissen stecken bleibt bzw. über eine staubige Schuld/Unschuld-Diskussion nicht hinauskommt.

            Was nicht weiter verwundert, da diese Generation nun in der Lehre dominierend sein dürfte. So oft diese Einstellung auch Recht hatte (siehe zB die Legende der sauberen Wehrmacht), führt sie doch einseitig in Richtung Vorurteile und tendiert zu einer moralisch erhabenen Sicht auf die Dinge, die jeden Kritiker mit der "ABERDUWILLSTNAZIVERBRECHENLEUGNEN"-Keule niederknüppelt. Nicht so Objektiv das ganze.
            Eben das bitte ich mir nachzuweisen. Zeige mir bitte, wo der Generation der zwischen 1880 und 1910 geborenen Ratschläge erteile. Sicher, ich stelle fest, dass es nach 1945 einstudierte Verteidigungs- und Entlastungsmuster gegeben hat, aber wo genau werfe ich der Generation das moralisch vor? Oder wo impliziere ich, dass ich mich persönlich anders verhalten hätte?
            Wenn du solche Vorwürfe in meine Zeilen hineininterpretierst, dann liegt aber an dir, nicht an mir.

            3. Zu der "tendenziösen Erinnerungen These": Ich habe mal meine Großmutter gefragt, wie sie als junges Mädchen zu den Juden in Deutschland stand. Mit Tränen in den Augen gestand sie durchaus antisemitische Gefühle gehabt zu haben und zwar vor allem aufgrund des weitverbeiteten Gefühls, dass "die Juden einfach alle reich waren". Hier hatte also die Nationalsozialistische Propaganda durchaus Ansatzpunkte gefunden.
            Ja und? Das ist ja wieder dasselbe. Es geht hier nicht um deine Oma und aus der Geschichte deiner Oma lässt sich auch nicht die Geschichte der BRD ablesen. (Dass viele Deutsche Antisemiten waren, habe ich übrigens nicht bestritten; die Frage der Propaganda ist weiteres Thema, das man auch differenziert betrachten müsste).
            Soll ich dir jetzt aufzählen, wie die älteren Leute reagiert haben, die ich gefragt habe? Selbstverständlich reagieren Menschen unterschiedlich und wenn man mehrere Menschen zu einer bestimmten Sache fragt, erhält man immer unterschiedliche Antworten. Diese Binsenweisheit habe ich mit keinem Wort bestritten.
            Ich habe dir bereits einmal an anderer Stelle gesagt, dass es einfach notwendig ist, gewisse Generalisierungen zu treffen, weil man sonst niemals eine Schlussfolgerung treffen könnte. Das gilt nicht nur für das "Dritte Reich", sondern auch z.B. für die Bauern des Mittelalters oder Handwerker der frühen Neuzeit. Das ist eine ganz normale Herangehensweise, die es auch schon vor 1933 gegeben hat. Ohne Generalisierung gäbe es keine Lexika, keine Nachschlagewerke und auch kein Wikipedia. Aber wenn's um den Nationalsozialismus geht, da werden solche Grundsätzlichkeiten plötzlich zum Problem. Eine Aussage trifft nicht immer jeden Einfall, es gibt immer Ausnahmen von der Regel.

            Oh ja, entschuldige bitte, aber was für eine sachfundierte Kritik soll das denn sein? "Ich weiss mehr als ihr alle BÄH!" oder was? Wenn du mir belegen kannst, dass die Kripoleute freiwillig in die Einsatzgruppen marschiert sind, dann bitte.
            Man muss ja nicht auf sämtliche Aspekte eingehen, die ich schreibe, aber wenn ich gerade erst etwas zur Erinnerungskultur schreibe und als Antwort nur die Geschichte der Großeltern zu hören bekomme, so als wäre mein Beitrag Luft, dann ist das enervierend.

            Zu den Einsatzgruppen habe ich mich einmal vergleichend geäußert. Ich sprach dennoch von der Wehrmacht. Und von der habe ich gesagt, dass niemand gezwungen wurde, an Massenerschießungen oder Massakern teilzunehmen. Was die SS etc., also Sondereinsatzkommandos oder den Dienst in Konzentrationslagern anbetrifft, so war es ohne weiteres und ohne Nachteile möglich, sich von dort versetzen zu lassen und andere Aufgaben wahrzunehmen, wenn man diese „Sonderbehandlungen“ nicht ausführen wollte. Das ist ja eben das, was Christopher Browning festgestellt hat: Die Angehörigen des Polizeibataillons haben die Möglichkeit zur Versetzung eben nicht genutzt, sondern haben die ihnen gestellten Aufgaben – also die Massenmorde etc. –ausgeführt. Das waren ganz normale Leute und Familienväter, die ohne weiteres zu Massenmördern wurden. Und hier würde es interessant werden, wenn man darüber sprechen würde.

            Aber ansonsten bleibe ich bei den üblichen Quellen:
            Nichts anderes habe ich von dir erwartet.

            "Abkommandiert" Heisst bei mir nicht "freiwillig gemeldet".
            Ach herrje. Ich darf mich zum dritten oder vierten Mal selbst zitieren. Ich habe geschrieben: „Kein Wehrmachtssoldat wurde gezwungen, an Massenerschießungen etc. teilzunehmen.“
            Jetzt kannst du mir noch seitenweise Wikipedia zu Himmlers Rekrutierungspolitik und den Sondereinsatzgruppen herbeizitieren, ich frage mich nur: Was hat das mit meiner Aussage zu tun? Das ist doch gar nicht die Frage, sondern die Frage ist, ob Personen diese Aufgaben ablehnen konnten, oder nicht und ob sie das taten, oder nicht. Wenn diese also nach 1945 behaupteten, sie hätten mitgemacht, weil sie sonst um ihr Leben fürchten müssen, dann ist das einfach falsch. Das, was du hier zitierst, hat also mit dem, was ich gesagt habe, nichts zu tun. Abgesehen davon hat auch Wikipedia seine Grenzen.
            Republicans hate ducklings!

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              #21
              Ron Steinke

              "Ein Mann, der mit einem anderen Mann..."
              Eine kurze Geschichte des § 175 in der BRD

              Am 17. März 2002 beschloss der Bundestag die juristische Rehabilitierung von Männern, die vor NS-Gerichten als Homosexuelle verurteilt worden waren. Durch eine Ergänzung des "Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile" wurden damit zumindest die rechtlichen Folgen von Urteilen aufgrund des Verbrechenstatbestandes der "Unzucht zwischen Männern" aufgehoben und den Opfern, so diese es noch erleben konnten, ein Stück der lange verwehrten Anerkennung zugestanden.1 Urteile bundesdeutscher Gerichte in Sachen "Unzucht zwischen Männern" hingegen blieben unangetastet und sind es bis heute. Diese Differenzierung verwundert, behielt doch der die Homosexuellen kriminalisierende Paragraph seine Wirkung auch nach dem Ende des "Dritten Reiches" bei.
              Für manche der Männer mit dem "Rosa Winkel" endete ihre Verfolgung keineswegs mit dem 8. Mai 1945. Nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern durch die Alliierten gerieten einige wieder in Haft. Die Freiheitsstrafe nach dem weiterhin gültigen § 175 Strafgesetzbuch (StGB) galt noch nicht als verbüßt. Als Opfer gesellschaftlich weit verbreiteter, völkischer und religiöser Unwertvorstellungen blieben Homosexuelle vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten der BRD weiter ausgegrenzt und kriminalisiert. Sicherheit verhieß manchen die "sexuellen Emigration": dokumentiert sind zahlreiche Fälle von KZ-Überlebenden, die sich noch in den fünfziger und sechziger Jahren "freiwillig" kastrieren ließen. Viele werden nach dem Grauen der Nazizeit den gesellschaftlich gewünschten Schlussstrich auch durch Rückzug oder Anpassung gezogen haben. Vom erlittenen Leid zu erzählen, Entschädigung zu verlangen oder gar politische Forderungen zu erheben, hieß in der Anfangszeit der neuen Republik, sich eines StGB-Verbrechens verdächtig zu machen und auf geheime "Rosa Listen" der Polizei zu geraten.
              Politisch stand die Diskussion um die Kriminalisierung der Homosexualität bis in die siebziger Jahre in engem Zusammenhang mit dem § 218 StGB. Den Beitrag bundesdeutscher JuristInnen zu diesen Verhältnissen zeigt die Geschichte des "Homosexuellen-Paragraphen" in der BRD.

              Homosexuelle zu Verbrechern

              Die Fassung des § 175 StGB, die in der Bundesrepublik bis 1969 fort galt, ging zurück auf das Jahr 1935. Eine Betrachtung der Geschichte des Paragraphen muss folglich dort ansetzen: Im Jahr, als neben den Nürnberger Rassengesetzen auch die nationalsozialistische "Strafrechtsnovelle" verabschiedet wurde.
              Die Nationalsozialisten setzten für den seit 1871 geltenden § 175 StGB ("Widernatürliche Unzucht") die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis herauf. Durch die Streichung des Adjektivs "widernatürlich" wurde zudem die Beschränkung des Tatbestandes auf sog. beischlafähnliche Handlungen aufgehoben. So lautete ab 1935 der verschärfte § 175:

              "Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.
              Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von einer Strafe absehen."

              Für den Begriff der "Unzucht" lieferte das Reichsgericht die Definition. Danach konnte gestraft werden, wenn "objektiv das allgemeine Schamgefühl verletzt und subjektiv die wollüstige Absicht vorhanden [war], die Sinneslust eines der beiden Männer oder eines Dritten zu erregen." Eine gegenseitige Berührung erforderte dies nicht2. Ein neu geschaffener § 175a StGB erfasste zudem so genannte qualifizierte Fälle - die Ausnutzung von Zwängen, sexuelle Handlungen mit Männern unter 21 Jahren und die männliche Prostitution - und bedrohte sie als "schwere Unzucht" mit Zuchthaus zwischen einem und zehn Jahren.

              Kontinuität in den fünfziger Jahren

              Als mit Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) die Bundesrepublik die Rechtsnachfolge des NS-Staates antrat, übernahm sie nach Maßgabe von Art. 123 Abs. 1 GG auch diese Vorschriften. Straflos war die Homosexualität unterdessen in den meisten Ländern des romanischen Rechtskreises. Bereits der "Code Napoléon" von 1810 hatte als Ergebnis der Französischen Revolution die sittliche Verwerflichkeit von der rechtlichen getrennt und gleichgeschlechtliche Beziehungen legalisiert. Straflos war die Homosexualität außerdem in den Niederlanden, der Schweiz, Schweden und Dänemark.
              Während einige deutsche RichterInnen auch mit Blick auf das Ausland arge Bedenken gegen § 175 geltend machten - so verurteilte 1951 das Landgericht Hamburg zwei homosexuelle Männer lediglich zu einer Ersatzgeldstrafe von 3 DM -, legten andere besonderen Ehrgeiz bei der Strafverfolgung an den Tag. 1950/51 ging eine Verhaftungs- und Prozesswelle durch Frankfurt. Zahlreiche Beschuldigte verloren ihre Stellung. Sechs Selbstmorde wurden bekannt. Von 1953 bis 1965 wurden in der BRD fast 100.000 Männer aufgrund von § 175 angeklagt, davon fast jeder zweite rechtskräftig verurteilt. Die Kriminalpolizei sprach dabei ganz offen von "karteimäßig erfassten Homosexuellen"3 und observierte Verdächtige.

              Der Beitrag des BVerfG

              Klagen gegen die Fortgeltung der NS-Fassung des § 175 lehnte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) rundweg ab. Der Straftatbestand sei "ordnungsgemäß erlassen und von den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft hingenommen" worden und habe "seither jahrelang unangefochten bestanden."
              Auf die Verfassungsbeschwerde zweier Männer im Jahr 1955 erwiderte das BVerfG: "Von 1945 bis zum Zusammentritt des Bundestages herrschte in den westlichen Besatzungszonen so gut wie einhellig die Meinung, die Paragraphen 175 und 175a seien nicht in dem Maße ‚nationalsozialistisch geprägtes Recht', dass ihnen in einem freiheitlich-demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse."
              Eine solche "so gut wie einhellige Meinung" lässt sich in historischen Dokumenten freilich keineswegs finden. Die Militärregierung der Alliierten hatte vielmehr sofort nach der Befreiung "Allgemeine Anweisungen an die Richter" erlassen, worin den Gerichten verboten wurde, von Rechtsvorschriften Gebrauch zu machen, die nach dem Machtantritt der NSDAP strafverschärfend in Kraft getreten waren. Zwar fand sich die NS-Fassung des § 175 nicht auf einer Liste von Vorschriften, die durch "Gesetz Nr. 1" der Militärregierung im Einzelnen für ungültig erklärt wurden. Der Entwurf für eine Neufassung des Strafgesetzbuches, den der alliierte Kontrollrat 1946 vorlegte, sah jedoch eine Rückkehr zur vergleichsweise "liberalen" Weimarer Fassung des § 175 vor. Eine Forderung, der weder die Rechtsprechung in dieser Zeit4 noch später die neuen Gesetzgeber nachkamen.

              Gleichberechtigung kein Maßstab

              Das BVerfG wies auch in der Sache alle Kritik an § 175 zurück. Gegen den Hinweis eines Klägers, die Kriminalisierung nur der männlichen Homosexualität verstoße gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG), wandte sich das Gericht - gestützt auf Sachverständigengutachten - mit biologistischer Argumentation. "Der Grundsatz der Gleichberechtigung" könne "für die gesetzgeberische Behandlung der männlichen und weiblichen Homosexualität keinen Maßstab" abgeben, denn "auch für das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. [...] Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hinnahme bereite Funktion hin." Anders als der Mann würde "die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, dass das Sexualleben mit Lasten verbunden" sei, was sich vor allem darin niederschlage, "dass bei der Frau die körperliche Begierde (Sexualtrieb) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben." Was nun die Lesben anbeträfe, so weise "der auf Mutterschaft angelegte Organismus der Frau unwillkürlich den Weg [...] auch dann in einem übertragenen sozialen Sinne fraulich-mütterlich zu wirken, wenn sie biologisch nicht Mutter ist."5

              "Gesunde und natürliche Lebensordnung"

              Ebenso wenig wie den Gleichbehandlungsgrundsatz ließ das BVerfG das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) gelten. Dieses finde seine Grenzen im "Sittengesetz". Als Inhalt des ungeschriebenen "Sittengesetzes" formulierte das Gericht die "gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke", konkret: Die Lehren der beiden großen christlichen Konfessionen. Von der im NS-Kommentar zum Unzucht-Begriff genannten "gesunden Volksanschauung" war es damit auch semantisch nicht weit entfernt.
              Keine Abhilfe gegen die Kriminalisierung brachte die 1953 in Deutschland rechtskräftig gewordene "Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" (EMRK). Für Beschwerden gegen die §§ 175 und 175a wurden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erst gar keine Verhandlungstermine gegeben. Die geltend gemachten Verstöße gegen Art. 8 (Recht auf Achtung der Privatsphäre) und Art. 14 (Diskriminierungsverbot) EMRK tat der Gerichtshof stattdessen bereits im Vorfeld ab - als "manifestement mal fondée", offensichtlich unbegründet.6
              Zur konsequenten Fortführung der Rechtslage von 1935 trug schließlich der Bundesgerichtshof (BGH) ein entscheidendes Detail bei. Anfang der fünfziger Jahre übernahm er die Unzucht-Definition des Reichsgerichts, womit eine Bestrafung als "175er" auch weiterhin keine gegenseitige Berührung voraussetzte.7 Eingeschränkt wurde der Tatbestand lediglich durch die neue Betonung eines Wortes. Von Unzucht treiben im Sinne des § 175 könne nämlich, so der BGH, nur bei einer "gewissen Dauer und Stärke" der Handlungen die Rede sein.8
              In die so gewiesene Richtung folgten auch Gerichte anderer Rechtszweige. Das Berliner Verwaltungsgericht bestätigte 1957 die Praxis der Behörden, "den Führerschein solchen Bewerbern zu verweigern, die wegen begangener Sittlichkeitsdelikte vorbestraft sind", und begründete dies mit der "Gefahr, dass sittlich labile Menschen leichter rückfällig werden, wenn sie über ein Kraftfahrzeug verfügen".9

              Repression und Reformbestrebungen

              "Millionen innerlich gesunder Familien mit rechtschaffen erzogenen Kindern sind als Sicherung gegen die kinderreichen Völker des Ostens mindestens so wichtig wie alle militärischen Sicherungen", erklärte 1953 der erste Familienminister der BRD, Franz-Josef Wuermeling (CDU). "Nach den Erkenntnissen der Bevölkerungswissenschaft wird der zahlenmäßige Bestand der Elterngeneration erst dann im gleichen Umfang ersetzt, wenn jede überhaupt fruchtbare Ehe drei Kinder hat."10
              Die Konsequenz hieraus hatte der Bundeskanzler schon zuvor klar ausgesprochen. Als Ziel seiner "Familienpolitik" forderte Konrad Adenauer in seiner Regierungserklärung am 20. Oktober 1952 eine "konstante Zunahme der Geburten" sowie eine "Stärkung der Familie und dadurch Stärkung des Willens zum Kind".
              Nicht zuletzt im sog. Sittenstrafrecht tauchte das Motiv dann auch häufig auf. So stand § 175 in einer Reihe mit strengen Scheidungsgesetzen, der staatlichen Kontrolle über die Verbreitung von Verhütungsmitteln und dem Abtreibungsverbot.
              Bestrebungen gegen § 175 blieben in den fünfziger Jahren erfolglos. Die 1950 gegründete "Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung" fand mit ihrer Forderung nach Freigabe der einvernehmlichen Homosexualität zwischen Erwachsenen kaum Gehör. Zwar ist auch vom 39. Deutsche Juristentag (DJT) im Jahr 1951 offiziell die Forderung nach der Entkriminalisierung der sog. "einfachen" Homosexualität ausgegangen. An der knapp ausgegangenen Abstimmung hierzu hatte allerdings nicht einmal die zur Beschlussfassung notwendige Zahl von 30 Mitgliedern teilgenommen. Das "Signal" blieb dementsprechend schwach.

              Juristische Diskussion

              Einen Überblick über die rechtswissenschaftliche Diskussion gab 1968 der ehemalige Berliner Justizsenator Jürgen Baumann in seinem Buch "Paragraph 175". Er fasst die Ansichten unter JuristInnen in der Zeit zwischen 1945 und 1968 grob in drei Gruppen zusammen. Die erste Gruppe versuchte, ein von § 175 geschütztes Rechtsgut auszumachen, um damit die Bestrafung der Homosexualität zu rechtfertigen. Die zweite Gruppe erkannte zumindest in der "nichtjugendgefährdenden und nichtöffentlichen Homosexualität" ein "opferloses" Delikt und forderte daher konsequent dessen Abschaffung. Die dritte Gruppe ging davon aus, dass es für die Legitimität einer Strafvorschrift überhaupt nicht auf ein geschütztes Rechtsgut ankomme. Es sei nicht zu beanstanden, "ein sozialethisch besonders verwerfliches Verhalten, dessen Begehung uns unerträglich erscheint, unter Strafe zu stellen", wobei insbesondere auf die Strafbarkeit der Tierquälerei und der Sodomie (§ 175b) verwiesen wurde.

              "Warntafeln und Tabus"

              Stets wiederkehrende Argumente der Befürworter des § 175 waren: 1. Das Strafrecht habe die Aufgabe, die Sittlichkeit aufrecht zu erhalten. 2. Die Normalität des Geschlechtslebens erfordere die Strafbarkeit anormaler Verhaltensweisen. 3. Die Gesellschaft habe ein Interesse an der Natürlichkeit des Geschlechtslebens ihrer Mitglieder. 4. Homosexualität sei eine Gefahr für die Volksgesundheit: sie zerrütte den Charakter des Einzelnen und habe in der Geschichte stets zum sozialen Verfall der betroffenen Völker geführt. 5. Homosexualität sei eine Gefahr für Ehe und Familie (als Grundlagen des Staates). 6. Durch homosexuelle Cliquenbildung drohe der Integrität des öffentlichen Lebens Gefahr. 7. Es sei eine Reklamewirkung auf Jugendliche zu befürchten. 8. Der Staat habe ein Interesse an dem Schutz der heterosexuellen Grundstruktur der Gesellschaftsordnung. 9. Das menschliche Sexualleben bedürfe generell einer Regulierung durch Normen; zur Aufrechterhaltung der Moral seien Warntafeln und Tabus nötig. 10. Das Verhältnis von Mann zu Mann sei im Interesse eines unbefangenen Freundeslebens von sexuellen Beziehungen rein zu halten.

              Der Gesetzesentwurf 1962

              Im amtlichen Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches von 196211 (E 1962) fehlte kaum eines dieser Argumente. Darin schlug das Justizministerium zwar erstmals eine Absenkung der Höchststrafe für § 175 auf drei Jahre sowie eine Beschränkung des Tatbestandes auf "beischlafähnliche" Handlungen vor. Dies wäre immerhin die lange geforderte Rückkehr zur Weimarer Fassung gewesen. Aufkommende Zweifel an der weiteren staatlichen Ächtung der Homosexuellen räumte der amtliche Begründungstext dabei gründlich aus: "[...] denn nach Beseitigung der Strafbarkeit wäre ihre nächste Aufgabe, sich für die gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Handlungen einzusetzen. Dass sie dabei alle Möglichkeiten ausschöpfen würden, die ihnen das neue Strafgesetz bietet, unterliegt keinem Zweifel. Dass sie außerdem die Tatsache der Gesetzesänderung in ihrem Sinne deuten und zu der Behauptung ausbeuten würden, das Gesetz habe den gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen erwachsenen Männern anerkannt, ist wahrscheinlich."
              Gegen dieses erstaunlich realistisch erkannte Streben beschwor der Entwurf der Adenauer-Regierung die "sittenbildende Kraft des Strafgesetzes". "Die von interessierten Kreisen in den letzten Jahrzehnten wiederholt aufgestellte Behauptung, dass es sich bei dem gleichgeschlechtlichen Verkehr um einen natürlichen und deshalb nicht anstößigen Trieb handele, kann nur als Zweckbehauptung zurückgewiesen werden. [...] Wo die gleichgeschlechtliche Unzucht um sich gegriffen und großen Umfang angenommen hat, war die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kraft die Folge."12
              Neben der unverhohlenen NS-Diktion dieser Begründungstexte stieß vor allem die vorgeschlagene Neufassung des sog. Sittenstrafrechts auf Empörung. Der Regierungsentwurf sah vor, sämtliche Straftatbestände mit Bezug zu Religion, Ehe oder "Sittlichkeit" unter die neue Überschrift "Straftaten gegen die Sittenordnung" zu fassen und durch Aufspaltung einzelner Tatbestände aus den bislang 28 nicht weniger als 47 Paragraphen zu machen. Angefangen mit Gotteslästerung reichte der Abschnitt über Ehebruch, das "Zugänglichmachen" von Verhütungsmitteln und 17 verschiedene Straftatbestände mit dem Wort "Unzucht" in der Überschrift ("Anlocken zur Unzucht", "Unzüchtige Schaustellungen", "Unzüchtige Schriften und Sachen") bis hin zu allein fünf Kuppelei-Paragraphen und einem zur Tierquälerei. Einmalig in Europa, sollte nun auch "Künstliche Samenübertragung" unter Strafe gestellt werden, sofern nicht Samen des eigenen Ehemannes verwendet würde.

              Der Gegenentwurf 1968

              In Replik auf den E 1962 veröffentlichte eine Gruppe von 16 namhaften Strafrechtslehrern (darunter Baumann, Hanack, Armin und Arthur Kaufmann, Lenckner, Roxin, Stratenwerth und Stree) ab 1966 einen Gegenentwurf. Dessen 1968 erschienener Teil zum Sexualstrafrecht sah als schutzbedürftige Rechtsgüter nur die persönliche Freiheit und den Jugendschutz an. "Das Strafrecht kann gerade im Sexualbereich auch allgemein-moralische Zustände nicht um ihrer selbst Willen schützen, ohne seine Funktion als äußerstes Mittel der Sozialpolitik zu verkennen und ohne den Bürger in bedenklicher Weise zu bevormunden."13
              Auf dem 47. DJT im Jahr 1968, dessen strafrechtliche Abteilung sich ausschließlich mit der Reform des Sexualstrafrechts befasste, geriet Prof. Lackner mit seinem Verweis auf die "heterosexuelle Struktur der Gesellschaft" als "Postulat der einfachen Sozialmoral" dann bereits in die Defensive. Auf die Frage, wieso diese erhalten bleiben müsse und was man sich darunter überhaupt vorzustellen habe, erklärte Lackner, er habe nicht davon gesprochen, dass die heterosexuelle Struktur der Gesellschaft etwas Erstrebenswertes sei, das erhalten werden müsse. Auch er verurteile die "Verketzerung" der Homosexualität. "Aber gerade aus dieser Tatsache ergibt sich, dass für die Gesellschaft ein Interesse daran besteht, dem einzelnen Minderjährigen, soweit das möglich ist, das Schicksal, Homosexueller zu werden, zu ersparen"14.

              StGB-Reform 1969

              Am 25. Juni 1969 wurde, kurz vor Ende der Großen Koalition unter Kiesinger, das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts verabschiedet und damit der § 175 zum ersten Mal seit 34 Jahren geändert. Maßgeblichen Anteil hieran hatte der sozialdemokratische Justizminister und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. Unter Strafe gestellt waren nach der Reform nur noch die sog. qualifizierten Fälle, die zuvor von § 175a erfasst worden waren. Wie dieser entfiel nun auch § 175b (Sodomie). Die einfache "Unzucht" definierte sich nun über eine "doppelte Schutzaltersgrenze". Täter eines solchen Vergehens konnte nur ein Mann über 18, Opfer nur ein Mann unter 21 Jahren sein. Dies führte zu merkwürdigen Fallgruppen: Wenn beide Männer über 21 oder unter 18 Jahren alt waren, wurde keiner bestraft. War ein Mann über 21, der andere unter 21 Jahren alt, so wurde nur der Ältere bestraft. Wenn beide zwischen 18 und 21 Jahren alt waren, machten sich beide strafbar.
              Ein Bielefelder Richter kommentierte: "Man male sich die Folgen aus: Zwei gleichaltrige Freunde dürfen gleichgeschlechtliche Beziehungen miteinander pflegen, bis sie achtzehn Jahre alt werden, dann müssen sie drei Jahre pausieren, und nach Vollendung des 21. Lebensjahres dürfen sie ihre Beziehungen wieder aufnehmen. [...] Man darf vermuten, dass der Gesetzgeber auf kaltem Wege das heiß umstrittene Sonderrecht für die Bundeswehr einschmuggeln wollte. So aber geht es nicht!"15

              Strafrecht unter neuen Vorzeichen

              Im November 1973 wurde schließlich auch diese Regelung verworfen und die Straflosigkeit ab dem 18. Lebensjahr eingeführt. Der Ausdruck "Unzucht zwischen Männern" verschwand aus der Überschrift zu § 175 und wurde durch "Homosexuelle Handlungen" ersetzt. Das Kapitel des StGB zum Sexualstrafrecht wurde umbenannt von "Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" in "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung". Unter diesen neuen Vorzeichen des Rechtsgüterschutzes erschien dem Gesetzgeber die Aufrechterhaltung eines eigenen Homosexuellen-Paragraphen dennoch mit der Wertung begründbar, Jugendliche besäßen zwar mit 16 die Reife, sich frei und selbst bestimmt für das andere Geschlecht, jedoch erst mit 18 für das eigene zu entscheiden.
              Obwohl die Parlamentarische Versammlung des Europarates die Mitgliedsländer der EU im Jahr 1981 anhielt, "für homosexuelle und heterosexuelle Handlungen das gleiche Mindestalter gelten zu lassen", obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 1983 dieselbe Forderung erhob und auch das Europäische Parlament sie im Jahr darauf wiederholte, nahm die Geschichte des § 175 in der BRD erst einige Jahre später und auf gänzlich unspektakuläre Weise ein Ende. Der Bundestag hatte im Zuge der Rechtsangleichung zwischen den beiden deutschen Staaten nach 1990 zu entscheiden, ob der § 175 nun gestrichen oder auf die östlichen Bundesländer ausgeweitet werden sollte. In der DDR war seit 1957 niemand mehr wegen "einfacher" Homosexualität verurteilt worden. Die letzte Sondervorschrift für Homosexuelle war aber erst 1989 aus dem DDR-Strafgesetzbuch gestrichen worden.
              1994, mit Ablauf der Frist für die Rechtsangleichung, entschied sich der Deutsche Bundestag für den Wegfall des Paragraphen. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt verschwand so § 175 aus dem Strafgesetzbuch.

              Ron Steinke studiert Jura in Hamburg

              Anmerkungen

              1 Näher hierzu: Löhr, Tillmann, NS-Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle aufgehoben, Forum Recht 2002, 103.
              2 RGSt 73, 78, 80f.
              3 Kriminalinspektor Herbert Kosyra, Die Homosexualität - ein immer aktuelles Problem, Kriminalistik 1962, 113.
              4 OLG Frankfurt, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1949, 232; OLG Düsseldorf, Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR) 1948, 59 ff mit zahlreichen weiteren Nennungen.
              5 BVerfGE 6, 389 ff.
              6 COM 104/55, Yearbook I (1955, 56, 57), 228 f; COM 530/59, Yearbook III (1960), 255, 257.
              7 BGHSt 4, 323, 324; BGH NJW 1954, 519.
              8 BGHSt 1, 293.
              9 Zitiert nach Stümke 1989, 138.
              10 Zitiert nach Stümke 1989, 140.
              11 Entwurf eines StGB E 1962 mit Begründung, Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/650.
              12 ebenda, 377.
              13 Alternativentwurf eines StGB, Besonderer Teil, Sexualdelikte, 9.
              14 Sitzungsbericht K des 47. DJT, 102.
              15 Ostermeyer, Helmut, Ist der neue § 175 StGB verfassungswidrig? Zeitschrift für Rechtspolitik 1969, 154.

              Literatur:

              Schulz, Christian, § 175 (abgewickelt): ...und die versäumte Wiedergutmachung, 1998
              Stümke, Hans Georg / Finkler, Rudi, Rosa Winkel, Rosa Listen: Homosexuelle und "gesundes Volksempfinden" von Auschwitz bis heute, 1981
              Stümke, Hans-Georg, Homosexuelle in Deutschland: Eine politische Geschichte, 1989
              Quelle : "Ein Mann, der mit einem anderen Mann..."

              Sehr interesannter artikel......

              gruß

              Dominion
              scotty stream me up ;)
              das leben ist ein scheiss spiel, aber die Grafik ist geil :D
              aber leider entschieden zu real

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                #22
                @Mr. Viola: Das war nicht mein Opa sonder der Opa von Blueflash. Ich meinte den Opa aus dem Altenheim. Du hattest ja auch dort ein ähnliches Gespräch.


                @Endar: Was heisst das hier...

                Ich habe dir bereits einmal an anderer Stelle gesagt, dass es einfach notwendig ist, gewisse Generalisierungen zu treffen, weil man sonst niemals eine Schlussfolgerung treffen könnte.
                Das war an Blueflash gerichtet. Meinst du mit Generalisierungen=Verallgemeinerungen?

                Dann das hier...

                Deswegen ist ein Zeitzeugeninterview, auch nicht die Erinnerung des eigenen Großvaters, keine ernsthafte historische Quelle. Sie muss auf ihre Glaubwürdigkeit intensiv überprüft werden, erst dann kann man sagen, ob sie wohl stimmt oder nicht.
                Und was ist wenn sich die Aussagen stark ähneln oder identisch sind? Die werden ja nicht alle Lügen oder?


                Komisch ist auch das dieses Polizeibataillon dann für eine Pauschalisierung hergeholt wird. Dort weicht der Einzelfall dann nicht von der Masse oder Wahrheit ab und hat allgemeinen Gültigkeit.

                Da du auch immer nur dieses eine Beispiel nennst, kommt es mir nach wie vor komisch vor.

                Bei der Propaganda da drehst du es wieder um und sagst das der Einzelfall zu überprüfen ist...obwohl eigentlich offensichtlich ist das die Propaganda ihre allgemeinen und nahezu identischen Wirkungen hatte.

                Wenn es nicht so wäre dann hätte es mit Sicherheit auch schon viel eher ein Volksaufstand gegeben. Weil man den Wahnsinn der Nazis früher durchschaut hätte.

                Kommentar


                  #23
                  Zitat von Skymarshal Beitrag anzeigen
                  Das war an Blueflash gerichtet. Meinst du mit Generalisierungen=Verallgemeinerungen?
                  Ja.

                  Und was ist wenn sich die Aussagen stark ähneln oder identisch sind? Die werden ja nicht alle Lügen oder?
                  Zwischen die Wahrheit sagen und lügen ist ein riesengroßes Feld. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sondern hauptsächlich grau.
                  Das habe ich aber gestern schon erläutert: "Menschen füllen, wenn sie Geschichten erzählen, die Lücken in der Erinnerung durch Erfundenes oder anderes Wissen. Dieses Wissen überlagert im Laufe der Jahre dann die eigene Erinnerung. Geschichten, je häufiger sie erzählt werden, verändern sich immer weiter bis es soweit kommt, dass Zeitzeugen, wenn sie vom "Dritten Reich" berichten, Wort für Wort immer dieselbe Geschichte erzählen."

                  Komisch ist auch das dieses Polizeibataillon dann für eine Pauschalisierung hergeholt wird. Dort weicht der Einzelfall dann nicht von der Masse oder Wahrheit ab und hat allgemeinen Gültigkeit.
                  Erstens bitte ich mal darum, grammatikalisch vernünftige Sätze zu schreiben, wenn du mit mir diskutierst. Zweitens: Geh hin und hol dir das Buch und lies es. Christopher Browning, Ganz normale Männer.

                  Da du auch immer nur dieses eine Beispiel nennst, kommt es mir nach wie vor komisch vor.
                  Du weißt halt nicht, wie Geschichtswissenschaft funktioniert.

                  Bei der Propaganda da drehst du es wieder um und sagst das der Einzelfall zu überprüfen ist...obwohl eigentlich offensichtlich ist das die Propaganda ihre allgemeinen und nahezu identischen Wirkungen hatte.
                  Das, was angeblich als "offensichtlich" gilt, ist nicht immer das, was auch stimmt. Und ja, es ist der Einzelfall zu prüfen. Die Propaganda des Herrn Goebbels hatte auf ein zehnjähriges ostfriesisches Mädchen eine andere Wirkung als auf einen 68jährigen Landgerichtsrat aus Sachsen. Das ist doch wohl soooo schwer nicht zu verstehen, oder?

                  Wenn es nicht so wäre dann hätte es mit Sicherheit auch schon viel eher ein Volksaufstand gegeben. Weil man den Wahnsinn der Nazis früher durchschaut hätte.
                  Auch dazu habe ich mich bereits gestern geäußert.
                  Republicans hate ducklings!

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                    #24
                    @endar: Gut dann lass und Opas Omas und alle anderen erstmal nicht weiter betrachten. Kommen wir zum Kern der Sache. Dann findest du vlt. auch gefallen an der Diskussion

                    Du sagst ja zB, dass die Einsatzgruppen sich aus völlig normalen Männern. Das finde ich aus mehreren Gründen bedenklich: Einerseits habe ich ja bereits dargestellt, dass durchaus ganz normale Kripobeamte in diese Einsatzgruppen abkommandiert wurden. Andererseits aber finde ich den Schluss "normale Männer" -> Freiwilligkeit -> Naziideologie in der gesamten Bevölkerung verbreitet ein wenig weit hergeholt. Man müsste hier die Beweggründe der Täter ermitteln. Da waren zB eine Menge Gestapoleute dabei, deren Idealprofil wohl sowieso auf brutale Schläger hinauslief und die, so zumindest meine Erfahrung mit solchen Leuten sehr schnell zu Sadisten werden können. Auf der anderen Seite gibt es bei der normalen Polizei schon eine Menge kranke (und das meine ich nicht abwertend) Menschen. Wenn man sich überlegt, was so ein Sittenpolizist alles sehen musste, kann man wohl nicht darauf setzen, dass die Masse von denen nach ein paar Jahren Dienst geistig gesund blieb.
                    Ich hoffe, ich konnte damit meinen Standpunkt erstmal verdeutlichen.
                    Diese Untersuchung von Browning würde mich jetzt aber echt mal interessieren, ist die online? Wieviele Versetzungen auf eigenen Wunsch gab es denn, waren die verbreitet? Das wäre ja erstmal die notwendige Grundlage für die Aussage, dass die Täter diese nicht genutzt haben.

                    Ich habe dir bereits einmal an anderer Stelle gesagt, dass es einfach notwendig ist, gewisse Generalisierungen zu treffen, weil man sonst niemals eine Schlussfolgerung treffen könnte.
                    Da gebe ich dir selbstverständlich Recht, ohne Generalisierung kann man keine Wissenschaft betreiben, allerdings muss man die auch auf eine solide Grundlage stellen. Ich weiss jetzt leider nicht, wie man da in der Geschichtswissenschaft vorgeht, ob es statistische Methoden sind, die angewandt werden, oder inwieweit man sich gegen falsch positive ergebnisse absichert. Würde mich auch mal interessieren.
                    Mich stören halt Generalisierungen immer dann, wenn es keine weiteren Belege gibt und wenn dann noch eine Diskussion um Themen geführt wird, die furchtbare Verbrechen zum Thema haben. Da wird dann halt schnell mal ein Indizienurteil gefällt.
                    können wir nicht?

                    macht nix! wir tun einfach so als ob!

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                      #25
                      Zitat von blueflash Beitrag anzeigen
                      Du sagst ja zB, dass die Einsatzgruppen sich aus völlig normalen Männern. Das finde ich aus mehreren Gründen bedenklich: Einerseits habe ich ja bereits dargestellt, dass durchaus ganz normale Kripobeamte in diese Einsatzgruppen abkommandiert wurden. Andererseits aber finde ich den Schluss "normale Männer" -> Freiwilligkeit -> Naziideologie in der gesamten Bevölkerung verbreitet ein wenig weit hergeholt.
                      Das ist nicht das, was ich sage. Wir hatten das Thema schonmal. Es gibt keine feststehende Naziideologie in dem Sinne. Die Politik der Nazis war ein Gemisch von völkischen, konservativen und radikalen Ideen.
                      D.h. auf deutsch: Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" wurde zwar von einer NS-Regierung erlassen, entsprach aber durchaus auch bürgerlichen Wertvorstellungen. Die Verfolgung von Homosexuellen wurde zwar von NS-Organisationen durchgeführt, konnte in der Bevölkerung aber auf Zustimmung rechnen etc. pp.

                      Browning sagt nicht, dass sich "ganz normale Männer" freiwillig der Naziideologie "hingeben" hätten und deswegen dann zu Mördern geworden wären, sondern er sagt, dass ganz normale Männer in einem entsprechenden Umfeld zu Mördern werden können und dann - wenn das Umfeld sich ändert - wieder zu ganz normalen Familienvätern. Die Leute müssen gar keine "Nazis" gewesen sein.

                      Was ist denn überhaupt ein "Nazi"? Was unterschied den Nazi vom "anderen" Deutschen? Das Hakenkreuz? War jeder Nazi ein fanatischer Judenhasser?

                      Ich habe z.B. letztens mit einem Richter gesprochen, der mir erzählte er sei 1968 in die Justiz gekommen und habe dort mit einem netten älteren Richter zusammengearbeitet. Später habe er herausgefunden, dass der ein "Nazi" gewesen sei, weil der einer Strafkammer angehört und Todesurteile verhängt habe. Da hätte er sich doch sehr gewundert, wo der doch so gar nicht nazihaft war. Da habe ich ihn dann gefragt, ob er den auch für einen Nazi gehalten hätte, wenn der einer Zivilkammer vorgestanden hätte. Das verneinte er.
                      Und das war ein ganz typisches Beispiel für den Umgang mit dem Nationalsozialismus. Normalerweise gilt der Richter A, der eine Strafkammer vorstand und die Todesstrafe aussprach, als "Blutrichter" und Nazi, der Richter B, der in einer Zivilkammer saß, aber nicht. Wenn aber beide denselben geistigen Horizont besaßen und diese Ausbildung durchlaufen hatten, mit welcher Begründung gilt der eine als Nazi und der andere nicht? Hätte Richter A dem Zivilgericht angehört und Richter B der Strafkammer, dann würde das Urteil umgekehrt ausfallen: Richter B wäre der Nazi. Und das zeigt, dass das Etikett "Nazi" und das Etikett "Nichtnazi" auf die damaligen Verhältnisse nicht zutrifft.

                      Die Leute mussten nicht durch Propaganda zu der Überzeugung gebracht werden, dass man "Schwachsinnige" besser sterilisieren sollte oder dass Schwule ins KZ gehören - sie haben das von ganz allein gedacht.
                      Und diese Übereinstimmung zwischen bürgerlichen Wertvorstellungen und die Ideen der Staatsführung - das ist das, was die eigentliche Lehre aus dem Nationalsozialismus sein muss. Wer sich jetzt allein an der Frage festhält, ob die Deutschen "schuldig" waren oder nicht, der verkennt die eigentliche Frage - nämlich die Frage, unter welchen Bedingungen verbrecherische Diktaturen entstehen oder nicht.

                      Der Schluss ist also nicht "normale Männer" -> Freiwilligkeit -> Naziideologie in der gesamten Bevölkerung. Das habe ich nie gesagt. Ich habe nur gesagt, dass die Bevölkerung aus verschiedenen Gründen bis zum bitteren Ende hinter Hitler stand und die von den Nazis proklamierte "Volksgemeinschaft" bis 1945 (und teilweise darüber hinaus) gehalten hat. Und das ist eine unangehme Wahrheit, aber dennoch zutreffend.

                      Man müsste hier die Beweggründe der Täter ermitteln. Da waren zB eine Menge Gestapoleute dabei, deren Idealprofil wohl sowieso auf brutale Schläger hinauslief und die, so zumindest meine Erfahrung mit solchen Leuten sehr schnell zu Sadisten werden können.
                      Auch hier gibt es durchaus gegenteilige Beispiele. Heydrich und Eichmann z.B. waren keine ideologisch verbrämten Antisemiten wie Heinrich Himmler, sondern einfach nur eiskalte Machtmenschen, denen es - wie gesagt - um die Macht ging, nicht um die Vernichtung der Juden als Selbstzweck. Die Vorstellung vom Gestapomann als brutalen Schläger ist sicher nicht allgemein zutreffend, sondern wird nur auf einen Teil der Gestapobeamten zutreffen.

                      Ich hoffe, ich konnte damit meinen Standpunkt erstmal verdeutlichen.
                      Diese Untersuchung von Browning würde mich jetzt aber echt mal interessieren, ist die online? Wieviele Versetzungen auf eigenen Wunsch gab es denn, waren die verbreitet? Das wäre ja erstmal die notwendige Grundlage für die Aussage, dass die Täter diese nicht genutzt haben.
                      Ich habe das Buch heute schon gesucht, kann es aber leider nicht finden.
                      Ich weiß auch nicht mehr, ob ich das bei Browning oder woanders gelesen habe.

                      Das gibt dasselbe Phänomen aber auch bei den Richtern. Die haben auch nach 1945 behauptet, sie hätten die ganzen Todesurteile nur gefällt, weil sie sonst selbst verfolgt worden wären. Hitler hat 1942 eine Reichstagsrede gehalten, in der er sich furchtbar über die Laschheit der deutschen Justiz aufregte. Als Anlass nahm er einen Fall aus Oldenburg, in der ein Mann seine Frau mit der Pfanne erschlagen hatte (ich müsste die Details ansehen). Der Mann wurde zu soundsoviel Jahren Zuchthaus verurteilt und Hitler verlangte die Todesstrafe, die dann auch vollstreckt wurde. Dem Richter, der von Hitler so barsch kritisiert wurde, ist aber nichts passiert. Er ist nichtmal versetzt worden.
                      Es gibt hingegen unzählige andere Beispiele, in denen die Richter von sich aus über die immens harten NS-Strafbestimmungen hinausgingen und reihenweise Todesstrafen für Bagatellen verhängten, teilweise noch nach dem 8. Mai 1945.

                      Zahlreiche Elitengruppen, wie die Universitäten, die Justiz, die Armee etc. hatten, soviel weiß man heute, die Programme, die nach 1933 gestartet wurden, bereits vor 1933 "in den Schubladen liegen", d.h. intellektuell bereits vorbereitet. Die Kriminalbiologie z.B. ist eine Entwicklung aus den 20ern Jahren, konnte aber erst nach 1933 vollendens zum Einsatz kommen. Auch die Greueltaten in der Medizin waren bereits zuvor durchdacht worden.
                      Der Nationalsozialismus kam nicht über das deutsche Volk wie eine Naturgewalt von außen, sondern für viele Bereiche eine Gelegenheit, die bereitwillig genutzt. Auch das ist eine Wahrheit, die lange Zeit einfach nicht ausgesprochen wurde.

                      Da gebe ich dir selbstverständlich Recht, ohne Generalisierung kann man keine Wissenschaft betreiben, allerdings muss man die auch auf eine solide Grundlage stellen. Ich weiss jetzt leider nicht, wie man da in der Geschichtswissenschaft vorgeht, ob es statistische Methoden sind, die angewandt werden, oder inwieweit man sich gegen falsch positive ergebnisse absichert. Würde mich auch mal interessieren.
                      Das geht in der Geschichtswissenschaft nicht anders als woanders auch.
                      Mal vereinfacht gesagt: 1. Ein Forscher stellt eine These auf. Dazu präsentiert er Material, welches nachprüfbar ist. Auf diesem Material beruht seine These.
                      Beispiel: "Die Euthanasie war so und so, weil sie in Bremen so war."
                      2. Andere Forscher nehmen die These zur Kenntnis und bewerten sie. Wenn sie denken "das ist ja komisch", ("Die Euthanasie in Braunschweig und Heidelberg war aber ganz anders als dort beschrieben - entweder war Bremen ein Sonderfall oder die Studie hat einen dicken Fehler") dann beginnen sie, die These zu überprüfen, indem sie a) die Arbeit detailliert nachvollziehen oder b) eine vergleichende Studie anstellen. 3. So findet man heraus, ob die These unsinnig ist und sie wird schließlich verworfen oder akzeptiert.
                      Geschichtliche Thesen entstehen also nicht nur, weil sie "in einem Buch stehen", sondern vielmehr als Gemeinschaftsaufgabe der Geschichtswissenschaft. Gute Beispiele sind hier der Historikerstreit aus den 80ern über die Singularität des Holocausts, oder die Goldhagen-Debatte und die Auseiandersetzung über die Wehrmachtsauststellung aus den 90ern.
                      Bücher wie das von Browning wiederum gelten dann als "Standardwerk" - aber eben nicht ohne weiteres.

                      Mich stören halt Generalisierungen immer dann, wenn es keine weiteren Belege gibt und wenn dann noch eine Diskussion um Themen geführt wird, die furchtbare Verbrechen zum Thema haben. Da wird dann halt schnell mal ein Indizienurteil gefällt.
                      Man kann in einem Internetforum die Dinge nur verkürzt wiedergeben.

                      Zu der Frage der "oral history" und der Bewertung von Zeitzeugenaussagen gibt es schränkeweise Literatur, sowohl medizinische, wie geisteswissenschaftliche.
                      Das ist eine sehr komplizierte Angelegenheit und gilt auch nicht als wirklich ernsthafte Quelle. Die Historiker arbeiten hier ganz ähnlich wie die Strafverfolgungsbehörden, haben aber natürlich mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen.
                      Dass man das im Fernsehen so oft sieht, mag da etwas irritierend sein, liegt aber daran, dass sich Zeugenaussagen im Fernsehen halt gut machen.
                      Republicans hate ducklings!

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                        #26
                        Und zum Thema Schwul fällt mir nur dieser Spielfilm ein :
                        Bent (aber auch nur in Englisch mit Deutschen Untertiteln)

                        Merkwürdig was ?
                        Mir fält auch kein Film ein in dem die Geschichte Schwuler KZ Insasen die Haupthandlung war, aber ich habe minderstens einmal eine Dokumentation darüber gesehen daher weis ich auch das der Rosa Winkel das Zeichen der Schwulen war.

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                          #27
                          Zitat von endar Beitrag anzeigen
                          Zwischen die Wahrheit sagen und lügen ist ein riesengroßes Feld. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sondern hauptsächlich grau.
                          Das habe ich aber gestern schon erläutert: "Menschen füllen, wenn sie Geschichten erzählen, die Lücken in der Erinnerung durch Erfundenes oder anderes Wissen. Dieses Wissen überlagert im Laufe der Jahre dann die eigene Erinnerung. Geschichten, je häufiger sie erzählt werden, verändern sich immer weiter bis es soweit kommt, dass Zeitzeugen, wenn sie vom "Dritten Reich" berichten, Wort für Wort immer dieselbe Geschichte erzählen."
                          Es gibt auch genug die sich an Erinnerungen halten die auch wirklich zutreffen.



                          Erstens bitte ich mal darum, grammatikalisch vernünftige Sätze zu schreiben, wenn du mit mir diskutierst.
                          Was war denn da jetzt so schlimm dran? Du hast es ja verstanden...

                          Zweitens: Geh hin und hol dir das Buch und lies es. Christopher Browning, Ganz normale Männer.
                          Der Reiz wäre jedenfalls da. Die Lesefaulheit allerdings auch.



                          Du weißt halt nicht, wie Geschichtswissenschaft funktioniert.
                          Das kann gut sein.



                          Das, was angeblich als "offensichtlich" gilt, ist nicht immer das, was auch stimmt. Und ja, es ist der Einzelfall zu prüfen. Die Propaganda des Herrn Goebbels hatte auf ein zehnjähriges ostfriesisches Mädchen eine andere Wirkung als auf einen 68jährigen Landgerichtsrat aus Sachsen. Das ist doch wohl soooo schwer nicht zu verstehen, oder?
                          Ich meinte eigentlich den Großteil der Erwachsenen-Bevölkerung.



                          Auch dazu habe ich mich bereits gestern geäußert.
                          http://www.scifi-forum.de/showpost.p...54&postcount=5
                          Aber da steht z.B. nichts davon, dass den Menschen Arbeitsplätze versprochen und beschafft wurden, welche letztendlich einen ganz anderen Zweck dienten.

                          Klar kann man sich denken, dass wenn man in einer Waffenfabrik arbeitet, Waffen zum töten da sind, aber das Ausmaß und die Absichten blieben doch den meisten verborgen. Viele waren froh Arbeit zu haben.

                          Ich will mich jedoch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, da mein Wissen hier doch eher begrenzter ist.

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                            #28
                            Zitat von Skymarshal Beitrag anzeigen
                            Es gibt auch genug die sich an Erinnerungen halten die auch wirklich zutreffen.
                            Weswegen ich ja auch schrieb, dass man sie - soweit möglich - überprüfen muss.

                            Was war denn da jetzt so schlimm dran? Du hast es ja verstanden...
                            Ich bin hier immer noch Moderator. Säg nur an dem Ast, auf dem du sitzt.


                            Ich meinte eigentlich den Großteil der Erwachsenen-Bevölkerung.
                            Ist schon ein Problem, präzise zu bleiben. Blueflash schrieb von seiner Großmutter, die wird nach allem Ermessen 1933 ein junges Mädchen oder maximal eine junge Frau gewesen sein.


                            Aber da steht z.B. nichts davon, dass den Menschen Arbeitsplätze versprochen und beschafft wurden, welche letztendlich einen ganz anderen Zweck dienten.
                            Was hat das jetzt genau mit den Mechanismen der Propaganda zu tun?
                            Republicans hate ducklings!

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                              #29
                              Zitat von endar Beitrag anzeigen
                              Ich bin hier immer noch Moderator. Säg nur an dem Ast, auf dem du sitzt.
                              Findest du das nicht ein wenig überheblich? Ich war jetzt die ganze Zeit nett zu dir und dann kommst du so.


                              Ist schon ein Problem, präzise zu bleiben. Blueflash schrieb von seiner Großmutter, die wird nach allem Ermessen 1933 ein junges Mädchen oder maximal eine junge Frau gewesen sein.
                              Ich sprach aber von der "Propaganda am Volk". Also von der Mehrheit. Und wie ich klarstellte der "Mehrheit der Erwachsenen".


                              Was hat das jetzt genau mit den Mechanismen der Propaganda zu tun?
                              Irreführung und Ausnutzung.

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                                #30
                                Zitat von Skymarshal Beitrag anzeigen
                                Findest du das nicht ein wenig überheblich? Ich war jetzt die ganze Zeit nett zu dir und dann kommst du so.
                                Es ist die Aufgabe des Moderators, dafür zu sorgen, dass der Laden läuft. Und nur weil du sagst, "nett bist", entbindet dich das nicht von der Höflichkeitspflicht, deine Beiträge sorgfältig zu verfassen. Und erst recht berechtigt dich das nicht, dann noch so einen Kommentar hinterzuschicken.
                                Republicans hate ducklings!

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