Hallo Leute,
seit einiger Zeit schreibe ich recht umfangreiche Reviews zu den jeweils aktuellen Episoden von Star Trek: Voyager. Diese sind - zusammen mit Episodenbild, Cast & Crew Infos, Dialogstellen, Star Trek Fakten und Backgroundinfos - im ST:VOY Guide unter http://www.stdimension.de zu finden. Ab jetzt möchte ich meine Rezensionen aber auch regelmäßig in diesem Forum veröffentlichen, beginnend mit der gestrigen Folge "Temporale Paradoxie". Über eure Meinung dazu, ob nun
zustimmend oder ablehnend, würde ich mich übrigens freuen.
Story
In einer öden Eiswüste irgendwo im Weltall materialisieren zwei vertraute Gestalten. Es sind Harry und Chakotay, 15 Jahre in der Zukunft, die nach den Überresten der Voyager suchen. Sie finden das Schiff tatsächlich, begraben unter Tonnen von Eis, und beamen an Bord. Wie sie feststellen müssen, ist die Voyager beim Absturz auf dem Klasse L Planeten schwer beschädigt worden, und die gesamte Besatzung hat einen eisigen Tod gefunden - bis auf sie selber. Mit dem steifgefrorenen Körper von Seven of Nine und dem in den mobilen Emitter geladenen Doktor kehren sie zum Delta Flyer zurück, der den Planeten im Tekara Sektor umkreist. Wie sich herausstellt, haben die beiden zusammen mit Chakotays Gefährtin, Tessa Omond, den Delta Flyer und einen temporalen Borgtransmitter entwendet, um einen wahnwitzigen Plan zu verwirklichen: 15 Jahre nachdem der Quanten-Slipstream-Flug der Voyager in einer Katastrophe endete, der sie nur entgingen, weil sie im Delta Flyer voranflogen, wollen die beiden die Vergangenheit verändern, um die Katastrophe zu verhindern und Besatzung und Schiff zu retten ...
Review
Vor vier Staffeln und einhundert Episoden strandete die Crew der Voyager im Deltaquadranten. Der Pilotfilm "Der Fürsorger" zeigte eine bunt gemischte Raumschiffbesatzung, bestehend aus Maquis, Sternenflottenoffizieren und Bewohnern des Deltaquadranten, die gerade erst zusammengefunden hat. Am Anfang einer langen Reise stehend war die Crew weder mit der neuen, schwierigen Situation, der rauen Umgebung des Deltaquadranten noch mit sich selbst vertraut.
"Temporale Paradoxie" zeigt nun vier Jahre später, wie weit die USS Voyager - und die Serie - gekommen ist. In der ersten Szene sieht der Zuschauer die Voyager, welche unter Schnee und Eis begraben liegt und von zwei überlebenden Crewitgliedern ihrer - seit Jahren toten - Crew gefunden wird. Dieses Bild ist der Ausgangspunkt für eine Zeitreisegeschichte von wahrhaft epischem Ausmaß, deren Handlung - ähnlich wie das Finale von ST:TNG "Gestern, Heute, Morgen" - parallel und gleichzeitig in zwei Zeitperioden, Gegenwart und Zukunft, verläuft und uns so Ursache, Verlauf und Konsequenz eines einschneidenen Ereignisses für die Crew in eindrucksvollen, eindringlichen Bildern aufzeigt: die letztendliche Heimreise der Voyager - nicht durch Zufall oder Fremdeinwirkung, sondern durch die unermüdliche Arbeit der Besatzung -, welche in einer Katastrophe mündet. Eine besondere Rolle spielen in der Episode die emotionalen Auswirkungen dieses traumatischen Erlebnisses auf die einzigen Überlebenden Harry Kim und Chakotay, welche ihre verzweifelten Taten in dem 15 Jahre später angesiedelten Handlungsstrang beeinflussen. Die Ereigniskette ist dabei rekursiv angelegt, d.h. wir sehen die Wirkung vor der Ursache, die Folgen der Heimreise 2390 vor dem Ereignis selbst im Jahre 2375. Diese wirklich geniale Struktur (in weniger hochentwickelter Form zuletzt in "Subraumspalten" verwendet), die sich in vielen kleinen Details widerspiegelt (etwa der Logbucheintrag Janeways, der verstümmelt auf der vereisten Voyager ertönt, bevor er von ihr tatsächlich gesprochen wurde) und für eine Zeitreiseepisode umso passender ist, hat nicht geringe Auswirkungen auf die Dramatik der Episode und die allgemeine emotionale Wirkung, welche, das muß man wirklich sagen, lange nicht mehr so überwältigend war. Wir sehen die freudigen Gesichter der Voyager-Crew, ihre Erwartung, nach Jahren im Deltaquadranten endlich nach Hause zu kommen, aber wir können uns nicht mit ihnen freuen, kennen wir doch die schrecklichen Folgen der unheilvollen Reise, die umso wahrscheinlicher wirken, da die möglichen Risiken der experimentellen Slipstream-Technologie von Anfang an bekannt sind. Jedoch liegt die starke gefühlsmäßige Resonanz des Zuschauers nicht nur in dieser erschütternden Heimkehr begründet. Es ist die tragische Entwicklung der zwei im Mittelpunkt stehenden Figuren - Chakotay und Harry Kim -, die uns berühren. Beide sind durch die "Heimkehr um jeden Preis" in ihren Ansichten sehr beeinflußt worden, und speziell für Harry Kim, dessen Darsteller Garrett Wang wohl zuletzt in "Das Unvorstellbare" einen solch überzeugenden und tiefgründigen Auftritt hatte, war der Preis letztendlich viel zu hoch. Schicksal - Schuld - Verantwortung, das sind Themen, die bei der dramatischen Darstellung von Harry Kim mitklingen. Er fühlt sich persönlich verantwortlich für die Katastrophe, obwohl deren Ursache wohl eher im zu großen, fast blinden Vertrauen aller Crewmitglieder in die Allmacht der Technologie liegt (als Anschnitt des Themenkomplexes "Mensch vs. Technik"). Es war Harrys Plan, doch Captain Janeway hat ihn letztendlich genehmigt, und Chakotay seine Einwände fallengelassen. Die Folgen dieses Fehlers sind längst Geschichte, und doch glauben Chakotay und Harry daran, das Unmögliche zu erreichen - die Ereignisse rückgängig zu machen, die Vergangenheit zu verändern und die Crew zu retten. Von Anfang an sind sie (wie der gealterte Jake Sisko in der thematisch sehr ähnlichen DS9 Episode "Der Besuch") bereit, dafür ihr Leben zu opfern, und in gewisser Weise haben sie das auch. 15 Jahre lang haben beide nach einer Lösung für ein Problem gesucht, das nicht mehr gelöst werden kann, versucht, eine Veränderung zu bewirken, wo eigentlich keine Veränderung mehr möglich ist. 15 Jahre lang ist ihr Herz fortwährend auf der Voyager geblieben - denn das Geschehene haben sie niemals akzeptiert, und niemals ihr Leben fortgesetzt. Stattdessen sind sie zu Ausgestoßenen und Kriminellen geworden. Ihr Kampf gegen die Geschichte und für das Leben von 150 Besatzungsmitgliedern, der unerschütterliche Glaube an ein hoffnungsloses Unterfangen, welches gegen alle Wahrscheinlichkeiten mit der Änderung der Ereignisse und der Rettung von Besatzung und Schiff am Ende der Folge gelingt, ist dabei wohl die vollendetste Form des Optimimus der Roddenberry'schen Star Trek Vision. Aus diesem Grund ist der persönliche Einsatz von Harry und Chakotay umso bemerkenswerter, und offenbart die edelsten menschlichen Motive ebenso wie er den innigen (angeblich nicht existenten) Zusammenhalt der "Voyager-Familie" untermauert. Ist es moralisch richtig, eine ganze Zeitlinie zu verändern, nur um 150 Kameraden zurückzuholen? "Temporale Paradoxie" hat keine objektive, aber dafür eine sehr menschliche, emotionale Antwort darauf, wobei das Handeln nach dem Motiv "Das Wohl weniger wiegt nicht weniger als das Wohl vieler" in perfekter Kontinuität mit der individualistischen Star Trek Tradition steht (etwa die Suche nach Spock in "Star Trek III"). Überhaupt läßt die Episode mit ihren vielen kleinen Charakterstücken - es werden eigentlich alle wichtigen Beziehungen (Janeway und Chakotay, Harry und Tom, Seven und der Doktor, Tuvok und Neelix, Janeway und Harry) mit Betonung auf die Motive "Freundschaft" und "Familie" beleuchtet - ein Ensemblegefühl aufkommen, wie es bei der Next Generation so bezeichnend war. Die Charakterzeichnung ist dabei konsistent und zugleich wesentlich gereifter als zu Beginn der Serie - die Figuren wirken nicht länger eindimensional oder konstruiert. Tom Paris ist natürlich der Pilot aus Fleisch und Blut, der jedoch einmal nicht mit leichtsinnigen und unreifen Bemerkungen um sich wirft, sondern im Gegenteil derjenige ist, der die möglichen Risiken entdeckt und zu Verantwortung und Objektivität aufruft. Janeway ist der Captain, der zwischen dem Versprechen, die Crew nach Hause zu bringen, und der Verantwortung den Leben an Bord gegenüber hin- und hergerissen wird, wobei sie sich auf den Rat und die Unterstützung ihres ersten Offiziers Chakotay verlassen kann, wie das traditionelle Abendessen, welches an Picards und Bevelys gemeinsame Mahlzeiten erinnert, zeigt. Als die Hauptfigur der Episode zeigt Harry Kim wahrscheinlich die größte Veränderung - allerdings zwischen Gegenwart und Zukunft und weniger zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Im hier und jetzt ist Harry nach wie vor der enthusiastische Träumer, der noch immer auf eine schnelle, problemlose Heimkehr hofft ("Das oberste Gebot", "Das Nadelöhr", "In Furcht und Hoffnung"), sich aber den möglichen Opfern und Risiken nicht bewußt ist (oder bewußt sein will). Die Botschaft des alternativen (zukünftigen) Ichs gibt Harry (und allen anderen) jedoch die Möglichkeit, aus den eigenen Fehlern zu lernen und nicht mehr allzu leichtfertig und bedenkenlos zu handeln, sondern immer die möglichen Folgen mit einzukalkulieren. Die abschließende Szene mit Janeway und Kim im Kasino, in der der Captain einmal mehr mütterlich gegenüber dem jungen Offizier erscheint ("Der Fürsorger"), erinnert dabei an ein entsprechendes Gespräch zur Klärung eines ähnlich unglaublichen Ereignisses in "Das Unvorstellbare", und gibt der hundertsten Episode einen würdigen Abschluß. Ganz im Sinne von Star Trek ist am Ende das allgemeine Gefühl der Crew - und des Zuschauers - trotz des offensichtlichen Scheiterns ein optimistisches. Der Glauben, einen Weg nach Hause zu finden, ist durch die Ereignisse wohl eher noch bestärkt denn vermindert worden, wenn der Captain verkündet: "Es ist nicht länger die Frage, ob wir heimkehren, sondern wann."
Letztendlich kann man "Temporale Paradoxie" als ganzes als eine Abrechnung zur Halbzeit oder eine "Probe aufs Exempel" betrachten, deren Ausgang äußerst positiv zu bewerten ist. Nur weil die Charaktere und ihre Intentionen nachvollziehbar sind, die Beziehungen funktionieren und es dem Zuschauer - wie Harry und Chakotay - eben nicht egal ist, was mit der Besatzung passiert, hat die Episode den gewünschten Effekt: sie schockiert, bewegt und rührt den Zuschauer. Als ein Meilenstein für die Reise der Voyager (man hat den Weg nach Hause um immerhin 10 Jahre verkürzt) und für die Serie ist "Temporale Paradoxie" mit einer dramatischen, klimaktischen, zeitlosen Geschichte, überragenden schauspielerischen Leistungen, superben Special Effects und einer mitreißenden musikalischen Untermalung eine wahrhaft unvergeßliche, klassische Stunde Star Trek, und gehört meiner Meinung nach zu den besten Star Trek Episoden überhaupt. Aus diesem Grund erhält die Episode von mir mehr als die volle Punktzahl, was bei Star Trek: Voyager bisher nur bei dem ähnlich bewegenden Zweiteiler "Ein Jahr Hölle" der Fall war. -- Fazit: 5 Punkte!
--Chris
seit einiger Zeit schreibe ich recht umfangreiche Reviews zu den jeweils aktuellen Episoden von Star Trek: Voyager. Diese sind - zusammen mit Episodenbild, Cast & Crew Infos, Dialogstellen, Star Trek Fakten und Backgroundinfos - im ST:VOY Guide unter http://www.stdimension.de zu finden. Ab jetzt möchte ich meine Rezensionen aber auch regelmäßig in diesem Forum veröffentlichen, beginnend mit der gestrigen Folge "Temporale Paradoxie". Über eure Meinung dazu, ob nun
zustimmend oder ablehnend, würde ich mich übrigens freuen.
Story
In einer öden Eiswüste irgendwo im Weltall materialisieren zwei vertraute Gestalten. Es sind Harry und Chakotay, 15 Jahre in der Zukunft, die nach den Überresten der Voyager suchen. Sie finden das Schiff tatsächlich, begraben unter Tonnen von Eis, und beamen an Bord. Wie sie feststellen müssen, ist die Voyager beim Absturz auf dem Klasse L Planeten schwer beschädigt worden, und die gesamte Besatzung hat einen eisigen Tod gefunden - bis auf sie selber. Mit dem steifgefrorenen Körper von Seven of Nine und dem in den mobilen Emitter geladenen Doktor kehren sie zum Delta Flyer zurück, der den Planeten im Tekara Sektor umkreist. Wie sich herausstellt, haben die beiden zusammen mit Chakotays Gefährtin, Tessa Omond, den Delta Flyer und einen temporalen Borgtransmitter entwendet, um einen wahnwitzigen Plan zu verwirklichen: 15 Jahre nachdem der Quanten-Slipstream-Flug der Voyager in einer Katastrophe endete, der sie nur entgingen, weil sie im Delta Flyer voranflogen, wollen die beiden die Vergangenheit verändern, um die Katastrophe zu verhindern und Besatzung und Schiff zu retten ...
Review
Vor vier Staffeln und einhundert Episoden strandete die Crew der Voyager im Deltaquadranten. Der Pilotfilm "Der Fürsorger" zeigte eine bunt gemischte Raumschiffbesatzung, bestehend aus Maquis, Sternenflottenoffizieren und Bewohnern des Deltaquadranten, die gerade erst zusammengefunden hat. Am Anfang einer langen Reise stehend war die Crew weder mit der neuen, schwierigen Situation, der rauen Umgebung des Deltaquadranten noch mit sich selbst vertraut.
"Temporale Paradoxie" zeigt nun vier Jahre später, wie weit die USS Voyager - und die Serie - gekommen ist. In der ersten Szene sieht der Zuschauer die Voyager, welche unter Schnee und Eis begraben liegt und von zwei überlebenden Crewitgliedern ihrer - seit Jahren toten - Crew gefunden wird. Dieses Bild ist der Ausgangspunkt für eine Zeitreisegeschichte von wahrhaft epischem Ausmaß, deren Handlung - ähnlich wie das Finale von ST:TNG "Gestern, Heute, Morgen" - parallel und gleichzeitig in zwei Zeitperioden, Gegenwart und Zukunft, verläuft und uns so Ursache, Verlauf und Konsequenz eines einschneidenen Ereignisses für die Crew in eindrucksvollen, eindringlichen Bildern aufzeigt: die letztendliche Heimreise der Voyager - nicht durch Zufall oder Fremdeinwirkung, sondern durch die unermüdliche Arbeit der Besatzung -, welche in einer Katastrophe mündet. Eine besondere Rolle spielen in der Episode die emotionalen Auswirkungen dieses traumatischen Erlebnisses auf die einzigen Überlebenden Harry Kim und Chakotay, welche ihre verzweifelten Taten in dem 15 Jahre später angesiedelten Handlungsstrang beeinflussen. Die Ereigniskette ist dabei rekursiv angelegt, d.h. wir sehen die Wirkung vor der Ursache, die Folgen der Heimreise 2390 vor dem Ereignis selbst im Jahre 2375. Diese wirklich geniale Struktur (in weniger hochentwickelter Form zuletzt in "Subraumspalten" verwendet), die sich in vielen kleinen Details widerspiegelt (etwa der Logbucheintrag Janeways, der verstümmelt auf der vereisten Voyager ertönt, bevor er von ihr tatsächlich gesprochen wurde) und für eine Zeitreiseepisode umso passender ist, hat nicht geringe Auswirkungen auf die Dramatik der Episode und die allgemeine emotionale Wirkung, welche, das muß man wirklich sagen, lange nicht mehr so überwältigend war. Wir sehen die freudigen Gesichter der Voyager-Crew, ihre Erwartung, nach Jahren im Deltaquadranten endlich nach Hause zu kommen, aber wir können uns nicht mit ihnen freuen, kennen wir doch die schrecklichen Folgen der unheilvollen Reise, die umso wahrscheinlicher wirken, da die möglichen Risiken der experimentellen Slipstream-Technologie von Anfang an bekannt sind. Jedoch liegt die starke gefühlsmäßige Resonanz des Zuschauers nicht nur in dieser erschütternden Heimkehr begründet. Es ist die tragische Entwicklung der zwei im Mittelpunkt stehenden Figuren - Chakotay und Harry Kim -, die uns berühren. Beide sind durch die "Heimkehr um jeden Preis" in ihren Ansichten sehr beeinflußt worden, und speziell für Harry Kim, dessen Darsteller Garrett Wang wohl zuletzt in "Das Unvorstellbare" einen solch überzeugenden und tiefgründigen Auftritt hatte, war der Preis letztendlich viel zu hoch. Schicksal - Schuld - Verantwortung, das sind Themen, die bei der dramatischen Darstellung von Harry Kim mitklingen. Er fühlt sich persönlich verantwortlich für die Katastrophe, obwohl deren Ursache wohl eher im zu großen, fast blinden Vertrauen aller Crewmitglieder in die Allmacht der Technologie liegt (als Anschnitt des Themenkomplexes "Mensch vs. Technik"). Es war Harrys Plan, doch Captain Janeway hat ihn letztendlich genehmigt, und Chakotay seine Einwände fallengelassen. Die Folgen dieses Fehlers sind längst Geschichte, und doch glauben Chakotay und Harry daran, das Unmögliche zu erreichen - die Ereignisse rückgängig zu machen, die Vergangenheit zu verändern und die Crew zu retten. Von Anfang an sind sie (wie der gealterte Jake Sisko in der thematisch sehr ähnlichen DS9 Episode "Der Besuch") bereit, dafür ihr Leben zu opfern, und in gewisser Weise haben sie das auch. 15 Jahre lang haben beide nach einer Lösung für ein Problem gesucht, das nicht mehr gelöst werden kann, versucht, eine Veränderung zu bewirken, wo eigentlich keine Veränderung mehr möglich ist. 15 Jahre lang ist ihr Herz fortwährend auf der Voyager geblieben - denn das Geschehene haben sie niemals akzeptiert, und niemals ihr Leben fortgesetzt. Stattdessen sind sie zu Ausgestoßenen und Kriminellen geworden. Ihr Kampf gegen die Geschichte und für das Leben von 150 Besatzungsmitgliedern, der unerschütterliche Glaube an ein hoffnungsloses Unterfangen, welches gegen alle Wahrscheinlichkeiten mit der Änderung der Ereignisse und der Rettung von Besatzung und Schiff am Ende der Folge gelingt, ist dabei wohl die vollendetste Form des Optimimus der Roddenberry'schen Star Trek Vision. Aus diesem Grund ist der persönliche Einsatz von Harry und Chakotay umso bemerkenswerter, und offenbart die edelsten menschlichen Motive ebenso wie er den innigen (angeblich nicht existenten) Zusammenhalt der "Voyager-Familie" untermauert. Ist es moralisch richtig, eine ganze Zeitlinie zu verändern, nur um 150 Kameraden zurückzuholen? "Temporale Paradoxie" hat keine objektive, aber dafür eine sehr menschliche, emotionale Antwort darauf, wobei das Handeln nach dem Motiv "Das Wohl weniger wiegt nicht weniger als das Wohl vieler" in perfekter Kontinuität mit der individualistischen Star Trek Tradition steht (etwa die Suche nach Spock in "Star Trek III"). Überhaupt läßt die Episode mit ihren vielen kleinen Charakterstücken - es werden eigentlich alle wichtigen Beziehungen (Janeway und Chakotay, Harry und Tom, Seven und der Doktor, Tuvok und Neelix, Janeway und Harry) mit Betonung auf die Motive "Freundschaft" und "Familie" beleuchtet - ein Ensemblegefühl aufkommen, wie es bei der Next Generation so bezeichnend war. Die Charakterzeichnung ist dabei konsistent und zugleich wesentlich gereifter als zu Beginn der Serie - die Figuren wirken nicht länger eindimensional oder konstruiert. Tom Paris ist natürlich der Pilot aus Fleisch und Blut, der jedoch einmal nicht mit leichtsinnigen und unreifen Bemerkungen um sich wirft, sondern im Gegenteil derjenige ist, der die möglichen Risiken entdeckt und zu Verantwortung und Objektivität aufruft. Janeway ist der Captain, der zwischen dem Versprechen, die Crew nach Hause zu bringen, und der Verantwortung den Leben an Bord gegenüber hin- und hergerissen wird, wobei sie sich auf den Rat und die Unterstützung ihres ersten Offiziers Chakotay verlassen kann, wie das traditionelle Abendessen, welches an Picards und Bevelys gemeinsame Mahlzeiten erinnert, zeigt. Als die Hauptfigur der Episode zeigt Harry Kim wahrscheinlich die größte Veränderung - allerdings zwischen Gegenwart und Zukunft und weniger zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Im hier und jetzt ist Harry nach wie vor der enthusiastische Träumer, der noch immer auf eine schnelle, problemlose Heimkehr hofft ("Das oberste Gebot", "Das Nadelöhr", "In Furcht und Hoffnung"), sich aber den möglichen Opfern und Risiken nicht bewußt ist (oder bewußt sein will). Die Botschaft des alternativen (zukünftigen) Ichs gibt Harry (und allen anderen) jedoch die Möglichkeit, aus den eigenen Fehlern zu lernen und nicht mehr allzu leichtfertig und bedenkenlos zu handeln, sondern immer die möglichen Folgen mit einzukalkulieren. Die abschließende Szene mit Janeway und Kim im Kasino, in der der Captain einmal mehr mütterlich gegenüber dem jungen Offizier erscheint ("Der Fürsorger"), erinnert dabei an ein entsprechendes Gespräch zur Klärung eines ähnlich unglaublichen Ereignisses in "Das Unvorstellbare", und gibt der hundertsten Episode einen würdigen Abschluß. Ganz im Sinne von Star Trek ist am Ende das allgemeine Gefühl der Crew - und des Zuschauers - trotz des offensichtlichen Scheiterns ein optimistisches. Der Glauben, einen Weg nach Hause zu finden, ist durch die Ereignisse wohl eher noch bestärkt denn vermindert worden, wenn der Captain verkündet: "Es ist nicht länger die Frage, ob wir heimkehren, sondern wann."
Letztendlich kann man "Temporale Paradoxie" als ganzes als eine Abrechnung zur Halbzeit oder eine "Probe aufs Exempel" betrachten, deren Ausgang äußerst positiv zu bewerten ist. Nur weil die Charaktere und ihre Intentionen nachvollziehbar sind, die Beziehungen funktionieren und es dem Zuschauer - wie Harry und Chakotay - eben nicht egal ist, was mit der Besatzung passiert, hat die Episode den gewünschten Effekt: sie schockiert, bewegt und rührt den Zuschauer. Als ein Meilenstein für die Reise der Voyager (man hat den Weg nach Hause um immerhin 10 Jahre verkürzt) und für die Serie ist "Temporale Paradoxie" mit einer dramatischen, klimaktischen, zeitlosen Geschichte, überragenden schauspielerischen Leistungen, superben Special Effects und einer mitreißenden musikalischen Untermalung eine wahrhaft unvergeßliche, klassische Stunde Star Trek, und gehört meiner Meinung nach zu den besten Star Trek Episoden überhaupt. Aus diesem Grund erhält die Episode von mir mehr als die volle Punktzahl, was bei Star Trek: Voyager bisher nur bei dem ähnlich bewegenden Zweiteiler "Ein Jahr Hölle" der Fall war. -- Fazit: 5 Punkte!
--Chris
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