Schwerelos im Sternenlicht
Lee reflektiert über die Mission, Schuld und Allmacht

Was für ein Desaster! Lee Le Baal griff sich an den Kopf, während sie sich in dem weichen Ledersessel zurücklehnte. Seit ihrem Erscheinen in dieser Welt war sie noch nie so erschüttert und verunsichert gewesen. Sie saß in einer der eigentlich für Gäste reservierten Logen der Hilda vor Zac, der so verletzlich wirkte wie nie zuvor. Die Ereignisse auf Kaliopis hatten diesen so menschlichen Aspekt des Dämonen-Dukes gezeichnet.
Er saß hinter einem breiten Schreibtisch aus Mahagoni und lehnte sich zurück, um über die Ereignisse zu reflektieren.
»Möglicherweise«, sinnierte er, »haben die Pfade der Zeit einfach nicht mehr hergegeben.«
Das Gleichnis ließ Lee aus ihrer Versunkenheit hochschrecken. „Was willst du damit sagen? Dass dies hier alles geplant war? Dass er es alles geplant hat? Dass er es hätte verhindern können?“
Zacs Gesicht drückte Missbilligung aus angesichts der Wut und Vorwürfe an die Adresse des Namensgebers der Gruppe. „Wie leicht es doch ist, wenn man jemandem die Schuld zuweisen kann“, sagte er im Plauderton.
Lee wurde rot bis unter die Haarspitzen. Gerade sie selbst wusste aus erster Hand, wie es war, als Sündenbock herhalten zu müssen. Der Vorwurf, nicht besser zu sein, wenn es passte, traf also bis ins Mark. „Ja, aber …“, begann sie und schämte sich noch mehr.
Zac hatte recht. Das Bild, das sie hier abgab, war weit unter ihrem Niveau. AENA – so nannten die Mohar die, welche sie formten, und sie waren sorgfältig darin, den Schülern beizubringen, dieses „Menscheln“, wie sie es spöttisch nannten, ablegen zu können, wenn es nottat. Keine Eitelkeiten, keine Ausreden vor sich selbst, keine Schuld auf andere laden oder ins Unterbewusste schieben. Das zählte zu den Grundlagen einer Führungskraft des Hauses.
Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung und schob alles Wertende beiseite. „Ähm, du sagtest, dass die Pfade der Zeit nicht mehr hergaben. Würdest du das bitte erläutern?“, fragte sie nun in einem wesentlich ruhigeren Ton.
Zac hatte während der Zeit, die sie zum Sammeln brauchte, einfach ruhig dagesessen und ihr den Raum gelassen, sich zu ordnen. Nun richtete er seinen Blick konzentriert auf sie, als wäre sie ein Buch, dessen Einband er versuchte zu entziffern. „Dass Jeantron Zeit anders wahrnimmt als wir, wird dir sicherlich nicht entgangen sein. Du hast zumindest in Simulationen selbst schon Highliner gesteuert und kennst das Gefühl des absoluten Chaos im Hyperraum. Aber trotzdem steuern wir Ziele an durch dieses Wirrwarr an Möglichkeiten und Schein-Realitäten. Ein Navigator weiß, dass es unmöglich ist, den besten Weg zu finden. Es reicht, katastrophale Wege zu vermeiden und am Ziel anzukommen. Mehr zu verlangen ist Hybris.“
Lee erinnerte sich an die Zeit im Simulator.
Es war verstörend gewesen, dort außerhalb der bekannten Physik. Mit größter Mühe hatte sie eine Panikattacke unterdrückt, weil der Hyperraum sie so sehr an die Zeiten der Existenzlosigkeit ihres Daseins erinnerte. Mit einem Schaudern fragte sie: „Ist es das, wie Jeantron die Zeit erlebt?“
Zac stöhnte leise, er lachte kurz bitter: „Dear, das ist dagegen ein Spaziergang. Du darfst nicht vergessen, wir haben all diese technischen Hilfsmittel, Filter und all das Zeug, nicht zu vergessen die Hyperfunkfeuer, die wir Jean und Tani verdanken. Er hat nur sich und seine verschränkten Bewusstseine. Weißt du, er hat mich schon mitgenommen in die Zeit. Seitdem enthalte ich mich jedes Urteils darüber. Du kannst einfach jemanden wie ihn nicht mit deinen vom Menschsein beeinflussten Maßstäben messen. Es ist ein Wunder, dass er uns überhaupt wahrnimmt.“
Lee klappte den Mund auf und zu, atmete nochmals und fragte dann, was ihr schon lange auf der Seele brannte: „Mir ist schon klar, dass du und er und auch alle anderen eine Menge miteinander durchgemacht habt. Aber gerade er lehrt doch, wie man sich aus den Verstrickungen von Schuld und den unsichtbaren Ketten der Bindung lösen kann und Freiheit erlangt?“
Zac erstarrte förmlich bei ihren Worten. »Puuh«, dachte sie, »vielleicht bin ich diesmal zu weit gegangen. Keine gute Idee, dem Papst zu sagen, dass er Jesus vergessen und sein eigenes Ding machen soll.« Überlegte sie – ein Vergleich, der auf allen Beinen hinkte.
Zac erwachte aus seiner Starre, erhob sich und schob seinen Stuhl zurück. Dann ging er ohne ein weiteres Wort hinüber zu einem runden, bequemen Diwan. Er legte sich darauf und winkte Lee zu, zu ihm herüberzukommen.
Lee erhob sich von ihrer Sitzgelegenheit und ging ein wenig steif zu Zac hinüber. Es war nicht die körperliche Nähe, welche dazu führte, dass sie das Gefühl hatte, durch Gelee zu gehen – die hatte sie ja inzwischen schon genossen. Nein, inzwischen war sie lange genug Teil der Familie, um zu wissen, wie hier kommuniziert wurde. Menschen verlassen sich bei ihrer Kommunikation inzwischen zu sehr auf Sprache oder bestenfalls auf Bilder. Das nonverbale, sensorische kam oft genug ins Hintertreffen. Skycitizen wären nicht, wer sie waren, wenn sie sich auf so etwas beschränken würden. Deshalb war sie, als sie in Zacs Arme sank, voller Erwartungen und aufnahmebereit.
Zacs Stimme war ruhig und gleichmäßig: „Menschliche Verbindungen sind vielfältig, doch einer der größten Faktoren sind wohl Abhängigkeiten. Eltern-Kind. Ehemann und Frau. Die Grundlagen der Familie. Dazu kommen natürlich noch alles, was sexuell gesteuert ist. Jeantron steht außerhalb dieses Systems. Sein Körper ist Produkt von Wissenschaft, sein Geist der Nachhall eines Wesens aus einer anderen Welt. So sehr sich diese Welt und der ursprüngliche Geist von uns unterscheiden – Liebe hat auch dort definitiv eine Rolle gespielt. Wahrscheinlich noch größer als bei uns.
Obwohl ihr Körper ihnen alles gab, was sie benötigten, und Multibewusstsein Normalzustand ist, so hatten sie dort nur sich gegenseitig. Was in dieser nach unseren Maßstäben lebensfeindlichen Welt mehr bedeutet, als man sich vorstellen kann. Wenn Jeantron also jemanden liebt, ist das so umfänglich, dass jede Obsession, die ein Mensch fühlen kann, dagegen verblasst. Zumal Obsession eines Menschen selbstbezogen und besitzergreifend ist. Das jedoch ist nicht seine Natur. Menschen neigen dazu, nach ‚Gib mir, dann geb ich dir‘ zu handeln, aber auch zu fühlen. Er ist dazu in der Lage, dich total anzunehmen.“ Zacs Stimme zitterte leicht. „Egal wie sehr dich ein Mensch liebt, das geht einfach darüber hinaus. Selbst Leute, die vor Liebe blind sind, nehmen ja ihr Gegenüber nicht total an, sie blenden einfach Teile der anderen Persönlichkeit aus, was nicht gleichzusetzen ist mit Annehmen. Ihm ist die Menschheit, das Imperium, das Geld, die Religion, Macht – alles egal. Was deinen Geist guttut, das ist das Einzige, was für ihn zählt. Es gibt nur einen Grund, warum wir nicht ein durchs Universum ziehender, mordbrennender Haufen verrückter Dämonen sind: Weil das UNS zerstören würde. Weil letztlich wir uns damit schaden, wenn wir als Sklaven unserer Begierden von einer Sensation zur nächsten ziehen. Das ist die knallharte Grenze, welche er zieht: Das Recht, uns selbst zu zerstören, gibt es für ihn nicht. Aus seiner Sicht ist so etwas komplett absurd und ohne Nutzen. Das ist seine Welt, die Welt, in die er auch dich geholt hat – und dies von Anfang an.“

In Lee Le Baal öffneten sich Türen, Wälle aus Adamant brachen wie Pappmaché. Sie heulte, die Tränen benetzten Zac und den Diwan. Doch keiner von beiden beschwerte sich, während die Hilda weiter Richtung ihrer Heimat auf Tricorn durchs magische Weltall raste.
ENDE
Lee reflektiert über die Mission, Schuld und Allmacht
Was für ein Desaster! Lee Le Baal griff sich an den Kopf, während sie sich in dem weichen Ledersessel zurücklehnte. Seit ihrem Erscheinen in dieser Welt war sie noch nie so erschüttert und verunsichert gewesen. Sie saß in einer der eigentlich für Gäste reservierten Logen der Hilda vor Zac, der so verletzlich wirkte wie nie zuvor. Die Ereignisse auf Kaliopis hatten diesen so menschlichen Aspekt des Dämonen-Dukes gezeichnet.
Er saß hinter einem breiten Schreibtisch aus Mahagoni und lehnte sich zurück, um über die Ereignisse zu reflektieren.
»Möglicherweise«, sinnierte er, »haben die Pfade der Zeit einfach nicht mehr hergegeben.«
Das Gleichnis ließ Lee aus ihrer Versunkenheit hochschrecken. „Was willst du damit sagen? Dass dies hier alles geplant war? Dass er es alles geplant hat? Dass er es hätte verhindern können?“
Zacs Gesicht drückte Missbilligung aus angesichts der Wut und Vorwürfe an die Adresse des Namensgebers der Gruppe. „Wie leicht es doch ist, wenn man jemandem die Schuld zuweisen kann“, sagte er im Plauderton.
Lee wurde rot bis unter die Haarspitzen. Gerade sie selbst wusste aus erster Hand, wie es war, als Sündenbock herhalten zu müssen. Der Vorwurf, nicht besser zu sein, wenn es passte, traf also bis ins Mark. „Ja, aber …“, begann sie und schämte sich noch mehr.
Zac hatte recht. Das Bild, das sie hier abgab, war weit unter ihrem Niveau. AENA – so nannten die Mohar die, welche sie formten, und sie waren sorgfältig darin, den Schülern beizubringen, dieses „Menscheln“, wie sie es spöttisch nannten, ablegen zu können, wenn es nottat. Keine Eitelkeiten, keine Ausreden vor sich selbst, keine Schuld auf andere laden oder ins Unterbewusste schieben. Das zählte zu den Grundlagen einer Führungskraft des Hauses.
Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung und schob alles Wertende beiseite. „Ähm, du sagtest, dass die Pfade der Zeit nicht mehr hergaben. Würdest du das bitte erläutern?“, fragte sie nun in einem wesentlich ruhigeren Ton.
Zac hatte während der Zeit, die sie zum Sammeln brauchte, einfach ruhig dagesessen und ihr den Raum gelassen, sich zu ordnen. Nun richtete er seinen Blick konzentriert auf sie, als wäre sie ein Buch, dessen Einband er versuchte zu entziffern. „Dass Jeantron Zeit anders wahrnimmt als wir, wird dir sicherlich nicht entgangen sein. Du hast zumindest in Simulationen selbst schon Highliner gesteuert und kennst das Gefühl des absoluten Chaos im Hyperraum. Aber trotzdem steuern wir Ziele an durch dieses Wirrwarr an Möglichkeiten und Schein-Realitäten. Ein Navigator weiß, dass es unmöglich ist, den besten Weg zu finden. Es reicht, katastrophale Wege zu vermeiden und am Ziel anzukommen. Mehr zu verlangen ist Hybris.“
Lee erinnerte sich an die Zeit im Simulator.
Es war verstörend gewesen, dort außerhalb der bekannten Physik. Mit größter Mühe hatte sie eine Panikattacke unterdrückt, weil der Hyperraum sie so sehr an die Zeiten der Existenzlosigkeit ihres Daseins erinnerte. Mit einem Schaudern fragte sie: „Ist es das, wie Jeantron die Zeit erlebt?“
Zac stöhnte leise, er lachte kurz bitter: „Dear, das ist dagegen ein Spaziergang. Du darfst nicht vergessen, wir haben all diese technischen Hilfsmittel, Filter und all das Zeug, nicht zu vergessen die Hyperfunkfeuer, die wir Jean und Tani verdanken. Er hat nur sich und seine verschränkten Bewusstseine. Weißt du, er hat mich schon mitgenommen in die Zeit. Seitdem enthalte ich mich jedes Urteils darüber. Du kannst einfach jemanden wie ihn nicht mit deinen vom Menschsein beeinflussten Maßstäben messen. Es ist ein Wunder, dass er uns überhaupt wahrnimmt.“
Lee klappte den Mund auf und zu, atmete nochmals und fragte dann, was ihr schon lange auf der Seele brannte: „Mir ist schon klar, dass du und er und auch alle anderen eine Menge miteinander durchgemacht habt. Aber gerade er lehrt doch, wie man sich aus den Verstrickungen von Schuld und den unsichtbaren Ketten der Bindung lösen kann und Freiheit erlangt?“
Zac erstarrte förmlich bei ihren Worten. »Puuh«, dachte sie, »vielleicht bin ich diesmal zu weit gegangen. Keine gute Idee, dem Papst zu sagen, dass er Jesus vergessen und sein eigenes Ding machen soll.« Überlegte sie – ein Vergleich, der auf allen Beinen hinkte.
Zac erwachte aus seiner Starre, erhob sich und schob seinen Stuhl zurück. Dann ging er ohne ein weiteres Wort hinüber zu einem runden, bequemen Diwan. Er legte sich darauf und winkte Lee zu, zu ihm herüberzukommen.
Lee erhob sich von ihrer Sitzgelegenheit und ging ein wenig steif zu Zac hinüber. Es war nicht die körperliche Nähe, welche dazu führte, dass sie das Gefühl hatte, durch Gelee zu gehen – die hatte sie ja inzwischen schon genossen. Nein, inzwischen war sie lange genug Teil der Familie, um zu wissen, wie hier kommuniziert wurde. Menschen verlassen sich bei ihrer Kommunikation inzwischen zu sehr auf Sprache oder bestenfalls auf Bilder. Das nonverbale, sensorische kam oft genug ins Hintertreffen. Skycitizen wären nicht, wer sie waren, wenn sie sich auf so etwas beschränken würden. Deshalb war sie, als sie in Zacs Arme sank, voller Erwartungen und aufnahmebereit.
Zacs Stimme war ruhig und gleichmäßig: „Menschliche Verbindungen sind vielfältig, doch einer der größten Faktoren sind wohl Abhängigkeiten. Eltern-Kind. Ehemann und Frau. Die Grundlagen der Familie. Dazu kommen natürlich noch alles, was sexuell gesteuert ist. Jeantron steht außerhalb dieses Systems. Sein Körper ist Produkt von Wissenschaft, sein Geist der Nachhall eines Wesens aus einer anderen Welt. So sehr sich diese Welt und der ursprüngliche Geist von uns unterscheiden – Liebe hat auch dort definitiv eine Rolle gespielt. Wahrscheinlich noch größer als bei uns.
Obwohl ihr Körper ihnen alles gab, was sie benötigten, und Multibewusstsein Normalzustand ist, so hatten sie dort nur sich gegenseitig. Was in dieser nach unseren Maßstäben lebensfeindlichen Welt mehr bedeutet, als man sich vorstellen kann. Wenn Jeantron also jemanden liebt, ist das so umfänglich, dass jede Obsession, die ein Mensch fühlen kann, dagegen verblasst. Zumal Obsession eines Menschen selbstbezogen und besitzergreifend ist. Das jedoch ist nicht seine Natur. Menschen neigen dazu, nach ‚Gib mir, dann geb ich dir‘ zu handeln, aber auch zu fühlen. Er ist dazu in der Lage, dich total anzunehmen.“ Zacs Stimme zitterte leicht. „Egal wie sehr dich ein Mensch liebt, das geht einfach darüber hinaus. Selbst Leute, die vor Liebe blind sind, nehmen ja ihr Gegenüber nicht total an, sie blenden einfach Teile der anderen Persönlichkeit aus, was nicht gleichzusetzen ist mit Annehmen. Ihm ist die Menschheit, das Imperium, das Geld, die Religion, Macht – alles egal. Was deinen Geist guttut, das ist das Einzige, was für ihn zählt. Es gibt nur einen Grund, warum wir nicht ein durchs Universum ziehender, mordbrennender Haufen verrückter Dämonen sind: Weil das UNS zerstören würde. Weil letztlich wir uns damit schaden, wenn wir als Sklaven unserer Begierden von einer Sensation zur nächsten ziehen. Das ist die knallharte Grenze, welche er zieht: Das Recht, uns selbst zu zerstören, gibt es für ihn nicht. Aus seiner Sicht ist so etwas komplett absurd und ohne Nutzen. Das ist seine Welt, die Welt, in die er auch dich geholt hat – und dies von Anfang an.“
In Lee Le Baal öffneten sich Türen, Wälle aus Adamant brachen wie Pappmaché. Sie heulte, die Tränen benetzten Zac und den Diwan. Doch keiner von beiden beschwerte sich, während die Hilda weiter Richtung ihrer Heimat auf Tricorn durchs magische Weltall raste.
ENDE


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