Der Gefangene
Ruth’thar wurde in ein Schiff getragen, das einem weitverbreiteten Schifftyp glich, allerdings stachen die Umbauten sofort ins Auge.
Besonders die blaue Hülle mit dem JTG-Symbol und die gewaltigen Kanonen an den unteren Aufhängungen, dort, wo normalerweise das untere Triebwerkspaar angebracht war.
Er fragte sich, wo dieses Schiff herkam – der Kreuzer, mit dem die Mohar hier gelandet waren, sah auf den Bildern seiner Informanten völlig anders aus.
Dieser Umbau hatte einen cleanen, militärischen Look, und dieses Blau… der General grübelte, dann fiel es ihm ein: Das war eine holografische Beschichtung, wie sie speziell die JTG für ihre Tarneinheiten verwendete.
Angesichts der Ereignisse war damit auch klar, was sie angegriffen hatte: JTG hatte mit dem Tarnschiff etwas versprüht, was die Grellschnäbel verrückt gemacht hatte.
Sie hatten rotzfrech seine eigene Strategie, die natürlichen Ressourcen zu nutzen, gegen ihn verwendet.
Dazu kam noch ein weiterer Punkt: Dass Jeantron in der Lage war, seine Gestalt zu verändern, war allgemein bekannt – aber nicht in diesem totalen, extremen Ausmaß, wie er es hier an den Tag gelegt hatte.
Die Maschinenmenschen trugen trotz der Hitze dicke, wie Latex oder Plastik wirkende, lange Mäntel. Seltsame Helme, die an eine Ära erinnerten, die man den „1. Great War on Earth“ nannte, und dazu eine Art Gasmaske, welche ihr gesamtes Gesicht bedeckte.

Nichts an diesem Aufzug ergab bei näherer Betrachtung Sinn. Sie wirkten darin wie Wesen aus beinahe schon antiken Zeiten im Verhältnis zu dem Look der JTG-Technik.
Sie brachten ihn in eine Zelle, deren Funktion er zunächst nicht verstand, bis feingliedrige Manipulatoren ihn packten. Mit Ultraschall und einem Lösungsmittel wurden alle seine Kleidungsstücke entfernt und aufgelöst. Als er keinen Faden mehr am Leib hatte, wurde er desinfiziert, abgesprüht und getrocknet. Der ganze Prozess hatte etwas Industrielles an sich und verursachte ein zutiefst unangenehmes Gefühl.
Als sich die Greifer zurückzogen, kam aus einer Klappe ein Lendenbeutel, um seine Scham zu bedecken, sowie eine Art OP-Hemd.
Widerwillig kleidete er sich an und stellte fest, dass sich sein Unbehagen allmählich in leichtes Grauen wandelte.
Hatten diese Dämonen ihn nur am Leben gelassen, um Experimente an ihm zu machen?
Er schrie in den Raum: „Ich verlange, nach imperialem Recht als Kriegsgefangener behandelt zu werden!“
Die Tür der Reinigungskammer öffnete sich, und aus dem Nachbarraum erklang ein leises Lachen.
Zögernd schritt er hindurch und gelangte in einen fensterlosen Raum mit einem einzelnen medizinischen Stuhl.
Ein mittelgroßer androgyn wirkender Junge mit schwarzen, glatten Haaren und tiefbraunen Augen befand sich darin. Er trug einen weißen Einteiler, der einen sehr technischen Look hatte.
Der Junge musterte ihn mit wachen Augen – jedoch nicht wie eine Person, sondern wie ein Metzger ein Stück Fleisch bewerten würde.
„Ich sehe hier keinen Gefangenen, nur einen Primaten, der hier auf diesem Planeten einer offensichtlich invasiven Art angehört.“
Der Junge hatte eine verblüffend tiefe Stimme, beinahe wie ein Alter, allerdings eine Sprechweise, bei der irgendetwas Ruth’thar störte. Doch bevor er wirklich darüber nachdenken konnte, kam bereits die Anweisung:
„Auf den Stuhl.“
Der General schaute skeptisch sowohl auf den Jüngling als auch auf den Stuhl.
Als er keine Anstalten machte, das Sitzmöbel zu erklimmen, erschienen zwei Maschinenmenschen.

Im Gegensatz zu jenen zuvor waren diese im Prinzip unbekleidet, hatten aber – bis auf die humanoide Form und die Gesichter – nichts Menschliches an sich. Die Körper bestanden weitestgehend aus unverkleideter Biomechanik, bei der synthetische Muskeln und Metall dominierten. Zwischen den künstlichen Organen pulsierte eine Art Flüssigkeit in durchsichtigen Leitungen hin und her.
Ruth’thar hatte sich nie als besonders religiös gesehen – Rituale, an denen er teilgenommen hatte, hatten für ihn stets einen klaren Zweck erfüllt.
Trotzdem konnte er nicht anders, als diese humanoiden Puppen als Blasphemie zu empfinden – sie waren im wörtlichen Sinne wider die Natur.
Die beiden bewegten sich präzise, elegant und zugleich erschreckend effizient. Binnen Sekunden fand sich der General mit elastischen Gurten auf dem Medostuhl fixiert.
Ein älterer Mann betrat den Raum – weißes Haar, kurzer, gepflegter Bart, eine schmale Brille auf der Nase.
Unter der klaren Linse blitzten wache, neugierige Augen.
Sein Mund verzog sich abfällig, als er den Hobgoblin daliegen sah.
„Eminenz, überlassen Sie ihn mir. Ich werde Ihnen in kürzester Zeit ein vollständiges Dossier über Hobgoblins im Allgemeinen und Goblingeneräle im Besonderen erstellen – eines, dass keine Ihrer Fragen offenlässt, Timy. Selbst wenn ich den Körper für Analysen verbrauche, kann ich den Kopf nahezu unbegrenzt haltbar machen.
Dank der Kontrolle über die Zuleitungen wird er dann alle Angaben freiwillig und wahrheitsgemäß machen. Dazu ist diese Kreatur im Moment gar nicht imstande.“
Timy riss in komischer Überraschung die Augen auf.
„Pierre Maltissan, das klingt aber nicht sehr nett, was du da sagst– beinahe so, als hätte sich in dir etwas angestaut.“
Der Angesprochene verzog den Mund, als würde er gleich ausspucken.
„Schlimm genug, keinen Zugriff auf Hawt de Ruths Körper zu haben – diesen hier sollten wir gut konservieren.“
In Ruth’thar blitzte eine Erkenntnis auf.
„Pierre Maltissan! Ich kenne dich – du hast unter Hawt de Ruth gearbeitet!“, stieß er hervor.
Der alte Mann kicherte.
„Ich habe ihm geholfen – und zum Dank hat er mich zum Sterben in die Wüste geschickt. Aber ich sehe es ihm nach. Meine neuen Gönner haben ein ganz anderes Format als niedere Goblins. Sie haben mich vor euch Hobgoblins und vor dem Imperium gerettet. Ich habe mir geschworen, dass sich das für sie auszahlen wird. Du wirst ein Teil des Preises sein, mit dem ich meine Schulden begleiche.“
Er rieb sich in Vorfreude beide Hände.
Hatte Ruth’thar bis dahin seine kreatürliche Angst noch einigermaßen zügeln können, war es jetzt vorbei. Er verlor die Kontrolle über seine Blase und spürte, wie der Stuhl sofort die Feuchtigkeit aufnahm.
„Stopp!“, schrie er. „Stopp, das ist nicht wahr! Ich erzähle euch alles – alles, was ihr wollt! Ihr könnt es auch überprüfen, aber schafft mir den Verrückten vom Hals!“
Timy zuckte unentschlossen mit den Schultern, was dem Hobgoblin-General weitere Schweißperlen auf die Glatze trieb. Er redet hastig fürchtend das man ihm zu schweigen bringt.
„Ihr wollt wissen, wo eure Verbündete ist? Ich kenne zwar nicht die galaktischen Koordinaten, aber ich kann euch den Aroma-Code für Grötz'akda Imma-Da, der, der an vielen Orten zugleich ist, besorgen. Damit gelangt ihr zur Ozerak-Basis in der sich die Invasionstruppen sammeln bevor sie herkommen.
Die dortigen Verantwortlichen verfügen über den Schlüssel für die Forschungseinrichtung. Wenn ihr mich ausliefert, bekommt ihr diesen im Gegenzug – und könnt sie direkt holen.
Timy blinzelte langsam.
„Aroma-Code?“ – Das Wort kam so beiläufig, dass es wie ein Echo im Raum hing.
Ruth’thar knurrte, als hätte er zu viel gesagt, versuchte es aber sofort als Selbstverständlichkeit hinzustellen.
„Ja. Jeder kennt doch den Aroma-Code seiner Ziele. Ohne den gibt Grötz'akda Imma-Da nicht den Weg frei. Für niemanden.“
Pierre legte den Kopf schief, als würde er die Aussage nur am Rande registrieren.
In Wirklichkeit hatten sich seine Augen minimal geweitet.
Timy drehte sich abrupt um, er stand vor der Tür mit dem Rücken zum General.
„Und wie soll das gehen? Schließlich kann man nicht gleichzeitig in beide Richtungen gehen?“
Der General keuchte. „Ich habe eine Kapsel mit Übergangscode in einem meiner Hautlappen. Sie erbittet nicht nur wie üblich, sie erzwingt Passage für eine Person oder eine kleine Gruppe.“
Timy sagte leise, wie zu sich selbst: „Gib sie Pierre.“
Dann, zum Wissenschaftler gewandt: „Ich will die Analyse gestern!“
Er ging nach draußen.
Der Wissenschaftler blickte den Gefangenen mit lachenden Augen an.
„Da kann man wohl nichts machen – aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich hoffe, du hintergehst ihn, denn dann bist du mein.“
Er ließ sich zeigen, an welcher Stelle er mithilfe der Manipulatoren die Kapsel entnehmen konnte, und ging dann auch.
Zehn Minuten später saßen Timy, Erwin, Jeantron und Miheil im Konferenzraum des Eskortschiffs.
Jeantron hatte Timy trösten müssen wie ein kleines Kind. Der hatte schluchzend verkündet, er sei der dümmste Cyber aller Zeiten – eine Schande für alle KIs.
Seit dem Ereignis auf Alraxis hatten er und eine Unzahl der fähigsten Wissenschaftler – sowohl der imperialen Behörde als auch der großen Häuser Aureum Stellares – sich den Kopf über die Steuerung der Weltentore zermartert. Damals war eine kleine Truppe der Inquisition zusammen mit Kräften der JTG durch das Tor gegangen, um Hawt de Ruth das Handwerk zu legen. Zurück kamen sie nur, weil Jeantron das Tor überredet hatte – auf eine Weise, die er selbst nicht verstand.
Da er SUBSTANS in sich trug und der immaterielle Kern der Artefakte eine kristalline Struktur aus kondensierter Substanz hatte, konnte er Dinge tun, die sich rationalen Kausalzusammenhängen widersetzten. Die Formeln und Berechnungen zur Aufnahme des Torkontakts hatten Ausmaße angenommen, die weder Genies noch hocheffiziente Rechenmaschinen bewältigen konnten.
Und jetzt das: Die Goblins steuerten Tore mit Aromen. Geschmack, Geruch, Pheromone – wie einen Pawlowschen Hund. Niemand hatte so ursprüngliche, geradezu primitive Methoden in Betracht gezogen. Zumal der damalige Goblin-General ebenfalls mit KIs experimentiert hatte.
Es war jetzt an der Zeit, über die nächsten Schritte nachzudenken.
Denn auch wenn sie den obersten Rädelsführer der Streitkräfte festgesetzt hatten, konnte doch ständig Truppe durch das Artefakt kommen – was einem endlosen Krieg gleichkam, den sich das Herrscherhaus nicht leisten konnte.
Miheil tippte Jeantron, der leise auf Timy einredete, von hinten an.
„Sag mal, Jean – seit wann kannst du Doppelgänger anwenden? Und dazu noch in diesem Manaloch von einer Welt?“
Der Guro erstarrte kurz, ließ dann von Timy ab, der sich langsam wieder fing. Dann richtete er sich auf, fixierte Miheil – und auf einmal stand eine Goblin-Version von Miheil im Raum.
Meiheils Hand zuckte automatisch zu seiner E-Lash Battle Whip, einer surrenden Energiepeitsche, die er im Holster am rechten Bein trug.
„Mensch, Jean – du kannst immer so irre Sachen machen“, fauchte er wie eine gereizte Katze.
Jean kicherte in spitzen Tönen, was ihn noch goblinhafter erscheinen ließ.
„Sei nahe deinen Freunden – und noch näher deinen Feinden.“
„Du erinnerst dich doch, dass unser Mad Scientist Pierre an meinen Implantaten gearbeitet hat.“
Miheils Stimme klang noch kratziger: „Ja – und dich dabei fast umgebracht.“
Der Goblin fuchtelte mit den Armen. „Ach das. Alles halb so wild, Ende gut, alles gut. Es hat zwar nicht geklappt, dass ich mich komplett unsichtbar machen kann, aber ich kann – ähnlich wie der SCHARLATAN-Projektor dieses Schifftyps – Dinge vorgaukeln.
Ursprünglich war es nur ein Standard-Hobgoblin für den Fall, dass wir nochmal auf sie treffen, aber ich habe viel trainiert und kann meinen Körper auch ohne Magie ändern. Zusammen mit der mentalen Kontrolle über die Implantate ist das Ergebnis recht ansehnlich.“
Er grinste wie ein Honigkuchenpferd – na ja, eher wie ein Goblin-Honigkuchenpferd.
Erwin hatte sich während der ganzen Show mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt, das Kinn leicht gesenkt, was ihm einen oberlehrerhaften Touch verlieh.
„Schön“, meinte er schließlich, „jetzt kann er sich also in einen Goblin verwandeln, der aussieht wie Miheil. Fehlt nur noch, dass er den Aroma-Code furzt – und wir haben die Invasion in einer Woche erledigt.“
Timy stöhnte und zog sich die Hände vors Gesicht. „Danke, Erwin. Genau das brauchte ich jetzt.“
„Immer gern.“ Erwin grinste schmal. „Aber mal ernsthaft – wenn du dich schon in einen Hobgoblin verwandelst, Jean, dann denk dran: Die riechen nicht nur anders. Die schmecken auch anders.“
Miheil warf ihm einen Seitenblick zu. „Woher zum Teufel…?“
„Lange Geschichte“, unterbrach Erwin und schob sich von der Wand ab. „Fragt besser nicht.“
Jeantron setzte mit krächzender Stimme noch einen drauf:
„Ich bin eben auch als Goblin zum Anbeißen süß.“
Miheil sagte nur „Oh“ und setzte sich, während Erwin und Timy plötzlich höchst interessante Dinge an der Decke entdeckten, die sie mit intensiver Aufmerksamkeit in Augenschein nahmen.
„Puh.“ Jeantron stellte seine Gestalt wieder her. „Ignoranz ist der Schlüssel zur Selbstgefälligkeit.“
Jeantron ließ sich in seinen Stuhl fallen, sah erst Timy, dann Miheil an – und plötzlich war das Lächeln weg.
„Halte nicht fest. Leide nicht an dem, was du nicht ändern kannst. Zwischen Reiz und Reaktion liegt der Raum deiner Freiheit. In ihm wohnt deine Macht zur Wahl. Womit wir beim Thema sind: Wir haben ein Steinkreis-Problem.“
Timy blinzelte, wischte sich über das Gesicht, als wollte er Tränenspuren wegdrücken. „Problem?“
„Tausende Goblins und ihre Hobgoblin-Aufpasser sind kein Problem. Sie sind eine Wand aus Hass und Bosheit.“ Jeantron verschränkte die Arme. „Und diese Wand steht direkt zwischen uns und der Ozerak-Basis.“
Erwin stieß sich von der Wand ab. „Also frontal durch?“
„Gewaltsamer Widerstand erschafft nur neue Gewalt. Weiches Wasser höhlt den Stein.“ Jean deutete auf die Holo-Karte, die über dem Tisch aufflackerte. Das Artefakt lag wie ein schwarzer Zahn mitten im Dschungel, von roten Markierungen eingerahmt.
„Zac und Lee kümmern sich um Ruth’thars übrig gebliebenen Generalstab. Zuerst schicken wir den obersten Rädelsführer zu Hilver – als Paket. Dann holen wir uns nach und nach die Köpfe derer, die diese ganze Sache geplant haben.“
„Und wir?“ fragte Miheil.
Jean grinste schmal. „Du lieferst das Paket aus. Erwin und ich folgen Sunjas Spur durch das Portal, sobald die erste Welle bricht. Timy und du haltet das Tor auf dieser Seite. Egal wie.“
„Klingt nach einem Job, bei dem man viele Freunde verliert“, brummte Erwin.
„Dann mach dir welche unter den Feinden.“ Jean zoomte die Karte heraus.
„Hier, hier und hier setzen wir die Mohar-Drohnen ab. Dazu noch Aphrodisia. Wenn wir Glück haben, drehen die Grellschnäbel wieder durch – aber wir müssen vorsichtig sein, dass unsere Verbündeten der planetaren Armee nicht zwischen die Fronten geraten.“
Timy sah auf, sein Blick klärte sich. „Das heißt… wir nutzen den Aroma-Code, um die Torrichtung umzukehren und zu verhindern, dass wir in einen Zweifrontenkrieg geraten?“
Jean nickte. „Genau. Der Bambus bricht nicht im Taifun – er beugt sich, wurzelt tief und richtet sich wieder auf.“
Ruth’thar wurde in ein Schiff getragen, das einem weitverbreiteten Schifftyp glich, allerdings stachen die Umbauten sofort ins Auge.
Besonders die blaue Hülle mit dem JTG-Symbol und die gewaltigen Kanonen an den unteren Aufhängungen, dort, wo normalerweise das untere Triebwerkspaar angebracht war.
Er fragte sich, wo dieses Schiff herkam – der Kreuzer, mit dem die Mohar hier gelandet waren, sah auf den Bildern seiner Informanten völlig anders aus.
Dieser Umbau hatte einen cleanen, militärischen Look, und dieses Blau… der General grübelte, dann fiel es ihm ein: Das war eine holografische Beschichtung, wie sie speziell die JTG für ihre Tarneinheiten verwendete.
Angesichts der Ereignisse war damit auch klar, was sie angegriffen hatte: JTG hatte mit dem Tarnschiff etwas versprüht, was die Grellschnäbel verrückt gemacht hatte.
Sie hatten rotzfrech seine eigene Strategie, die natürlichen Ressourcen zu nutzen, gegen ihn verwendet.
Dazu kam noch ein weiterer Punkt: Dass Jeantron in der Lage war, seine Gestalt zu verändern, war allgemein bekannt – aber nicht in diesem totalen, extremen Ausmaß, wie er es hier an den Tag gelegt hatte.
Die Maschinenmenschen trugen trotz der Hitze dicke, wie Latex oder Plastik wirkende, lange Mäntel. Seltsame Helme, die an eine Ära erinnerten, die man den „1. Great War on Earth“ nannte, und dazu eine Art Gasmaske, welche ihr gesamtes Gesicht bedeckte.
Nichts an diesem Aufzug ergab bei näherer Betrachtung Sinn. Sie wirkten darin wie Wesen aus beinahe schon antiken Zeiten im Verhältnis zu dem Look der JTG-Technik.
Sie brachten ihn in eine Zelle, deren Funktion er zunächst nicht verstand, bis feingliedrige Manipulatoren ihn packten. Mit Ultraschall und einem Lösungsmittel wurden alle seine Kleidungsstücke entfernt und aufgelöst. Als er keinen Faden mehr am Leib hatte, wurde er desinfiziert, abgesprüht und getrocknet. Der ganze Prozess hatte etwas Industrielles an sich und verursachte ein zutiefst unangenehmes Gefühl.
Als sich die Greifer zurückzogen, kam aus einer Klappe ein Lendenbeutel, um seine Scham zu bedecken, sowie eine Art OP-Hemd.
Widerwillig kleidete er sich an und stellte fest, dass sich sein Unbehagen allmählich in leichtes Grauen wandelte.
Hatten diese Dämonen ihn nur am Leben gelassen, um Experimente an ihm zu machen?
Er schrie in den Raum: „Ich verlange, nach imperialem Recht als Kriegsgefangener behandelt zu werden!“
Die Tür der Reinigungskammer öffnete sich, und aus dem Nachbarraum erklang ein leises Lachen.
Zögernd schritt er hindurch und gelangte in einen fensterlosen Raum mit einem einzelnen medizinischen Stuhl.
Ein mittelgroßer androgyn wirkender Junge mit schwarzen, glatten Haaren und tiefbraunen Augen befand sich darin. Er trug einen weißen Einteiler, der einen sehr technischen Look hatte.
Der Junge musterte ihn mit wachen Augen – jedoch nicht wie eine Person, sondern wie ein Metzger ein Stück Fleisch bewerten würde.
„Ich sehe hier keinen Gefangenen, nur einen Primaten, der hier auf diesem Planeten einer offensichtlich invasiven Art angehört.“
Der Junge hatte eine verblüffend tiefe Stimme, beinahe wie ein Alter, allerdings eine Sprechweise, bei der irgendetwas Ruth’thar störte. Doch bevor er wirklich darüber nachdenken konnte, kam bereits die Anweisung:
„Auf den Stuhl.“
Der General schaute skeptisch sowohl auf den Jüngling als auch auf den Stuhl.
Als er keine Anstalten machte, das Sitzmöbel zu erklimmen, erschienen zwei Maschinenmenschen.
Im Gegensatz zu jenen zuvor waren diese im Prinzip unbekleidet, hatten aber – bis auf die humanoide Form und die Gesichter – nichts Menschliches an sich. Die Körper bestanden weitestgehend aus unverkleideter Biomechanik, bei der synthetische Muskeln und Metall dominierten. Zwischen den künstlichen Organen pulsierte eine Art Flüssigkeit in durchsichtigen Leitungen hin und her.
Ruth’thar hatte sich nie als besonders religiös gesehen – Rituale, an denen er teilgenommen hatte, hatten für ihn stets einen klaren Zweck erfüllt.
Trotzdem konnte er nicht anders, als diese humanoiden Puppen als Blasphemie zu empfinden – sie waren im wörtlichen Sinne wider die Natur.
Die beiden bewegten sich präzise, elegant und zugleich erschreckend effizient. Binnen Sekunden fand sich der General mit elastischen Gurten auf dem Medostuhl fixiert.
Ein älterer Mann betrat den Raum – weißes Haar, kurzer, gepflegter Bart, eine schmale Brille auf der Nase.
Unter der klaren Linse blitzten wache, neugierige Augen.
Sein Mund verzog sich abfällig, als er den Hobgoblin daliegen sah.
„Eminenz, überlassen Sie ihn mir. Ich werde Ihnen in kürzester Zeit ein vollständiges Dossier über Hobgoblins im Allgemeinen und Goblingeneräle im Besonderen erstellen – eines, dass keine Ihrer Fragen offenlässt, Timy. Selbst wenn ich den Körper für Analysen verbrauche, kann ich den Kopf nahezu unbegrenzt haltbar machen.
Dank der Kontrolle über die Zuleitungen wird er dann alle Angaben freiwillig und wahrheitsgemäß machen. Dazu ist diese Kreatur im Moment gar nicht imstande.“
Timy riss in komischer Überraschung die Augen auf.
„Pierre Maltissan, das klingt aber nicht sehr nett, was du da sagst– beinahe so, als hätte sich in dir etwas angestaut.“
Der Angesprochene verzog den Mund, als würde er gleich ausspucken.
„Schlimm genug, keinen Zugriff auf Hawt de Ruths Körper zu haben – diesen hier sollten wir gut konservieren.“
In Ruth’thar blitzte eine Erkenntnis auf.
„Pierre Maltissan! Ich kenne dich – du hast unter Hawt de Ruth gearbeitet!“, stieß er hervor.
Der alte Mann kicherte.
„Ich habe ihm geholfen – und zum Dank hat er mich zum Sterben in die Wüste geschickt. Aber ich sehe es ihm nach. Meine neuen Gönner haben ein ganz anderes Format als niedere Goblins. Sie haben mich vor euch Hobgoblins und vor dem Imperium gerettet. Ich habe mir geschworen, dass sich das für sie auszahlen wird. Du wirst ein Teil des Preises sein, mit dem ich meine Schulden begleiche.“
Er rieb sich in Vorfreude beide Hände.
Hatte Ruth’thar bis dahin seine kreatürliche Angst noch einigermaßen zügeln können, war es jetzt vorbei. Er verlor die Kontrolle über seine Blase und spürte, wie der Stuhl sofort die Feuchtigkeit aufnahm.
„Stopp!“, schrie er. „Stopp, das ist nicht wahr! Ich erzähle euch alles – alles, was ihr wollt! Ihr könnt es auch überprüfen, aber schafft mir den Verrückten vom Hals!“
Timy zuckte unentschlossen mit den Schultern, was dem Hobgoblin-General weitere Schweißperlen auf die Glatze trieb. Er redet hastig fürchtend das man ihm zu schweigen bringt.
„Ihr wollt wissen, wo eure Verbündete ist? Ich kenne zwar nicht die galaktischen Koordinaten, aber ich kann euch den Aroma-Code für Grötz'akda Imma-Da, der, der an vielen Orten zugleich ist, besorgen. Damit gelangt ihr zur Ozerak-Basis in der sich die Invasionstruppen sammeln bevor sie herkommen.
Die dortigen Verantwortlichen verfügen über den Schlüssel für die Forschungseinrichtung. Wenn ihr mich ausliefert, bekommt ihr diesen im Gegenzug – und könnt sie direkt holen.
Timy blinzelte langsam.
„Aroma-Code?“ – Das Wort kam so beiläufig, dass es wie ein Echo im Raum hing.
Ruth’thar knurrte, als hätte er zu viel gesagt, versuchte es aber sofort als Selbstverständlichkeit hinzustellen.
„Ja. Jeder kennt doch den Aroma-Code seiner Ziele. Ohne den gibt Grötz'akda Imma-Da nicht den Weg frei. Für niemanden.“
Pierre legte den Kopf schief, als würde er die Aussage nur am Rande registrieren.
In Wirklichkeit hatten sich seine Augen minimal geweitet.
Timy drehte sich abrupt um, er stand vor der Tür mit dem Rücken zum General.
„Und wie soll das gehen? Schließlich kann man nicht gleichzeitig in beide Richtungen gehen?“
Der General keuchte. „Ich habe eine Kapsel mit Übergangscode in einem meiner Hautlappen. Sie erbittet nicht nur wie üblich, sie erzwingt Passage für eine Person oder eine kleine Gruppe.“
Timy sagte leise, wie zu sich selbst: „Gib sie Pierre.“
Dann, zum Wissenschaftler gewandt: „Ich will die Analyse gestern!“
Er ging nach draußen.
Der Wissenschaftler blickte den Gefangenen mit lachenden Augen an.
„Da kann man wohl nichts machen – aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich hoffe, du hintergehst ihn, denn dann bist du mein.“
Er ließ sich zeigen, an welcher Stelle er mithilfe der Manipulatoren die Kapsel entnehmen konnte, und ging dann auch.
Zehn Minuten später saßen Timy, Erwin, Jeantron und Miheil im Konferenzraum des Eskortschiffs.
Jeantron hatte Timy trösten müssen wie ein kleines Kind. Der hatte schluchzend verkündet, er sei der dümmste Cyber aller Zeiten – eine Schande für alle KIs.
Seit dem Ereignis auf Alraxis hatten er und eine Unzahl der fähigsten Wissenschaftler – sowohl der imperialen Behörde als auch der großen Häuser Aureum Stellares – sich den Kopf über die Steuerung der Weltentore zermartert. Damals war eine kleine Truppe der Inquisition zusammen mit Kräften der JTG durch das Tor gegangen, um Hawt de Ruth das Handwerk zu legen. Zurück kamen sie nur, weil Jeantron das Tor überredet hatte – auf eine Weise, die er selbst nicht verstand.
Da er SUBSTANS in sich trug und der immaterielle Kern der Artefakte eine kristalline Struktur aus kondensierter Substanz hatte, konnte er Dinge tun, die sich rationalen Kausalzusammenhängen widersetzten. Die Formeln und Berechnungen zur Aufnahme des Torkontakts hatten Ausmaße angenommen, die weder Genies noch hocheffiziente Rechenmaschinen bewältigen konnten.
Und jetzt das: Die Goblins steuerten Tore mit Aromen. Geschmack, Geruch, Pheromone – wie einen Pawlowschen Hund. Niemand hatte so ursprüngliche, geradezu primitive Methoden in Betracht gezogen. Zumal der damalige Goblin-General ebenfalls mit KIs experimentiert hatte.
Es war jetzt an der Zeit, über die nächsten Schritte nachzudenken.
Denn auch wenn sie den obersten Rädelsführer der Streitkräfte festgesetzt hatten, konnte doch ständig Truppe durch das Artefakt kommen – was einem endlosen Krieg gleichkam, den sich das Herrscherhaus nicht leisten konnte.
Miheil tippte Jeantron, der leise auf Timy einredete, von hinten an.
„Sag mal, Jean – seit wann kannst du Doppelgänger anwenden? Und dazu noch in diesem Manaloch von einer Welt?“
Der Guro erstarrte kurz, ließ dann von Timy ab, der sich langsam wieder fing. Dann richtete er sich auf, fixierte Miheil – und auf einmal stand eine Goblin-Version von Miheil im Raum.
Meiheils Hand zuckte automatisch zu seiner E-Lash Battle Whip, einer surrenden Energiepeitsche, die er im Holster am rechten Bein trug.
„Mensch, Jean – du kannst immer so irre Sachen machen“, fauchte er wie eine gereizte Katze.
Jean kicherte in spitzen Tönen, was ihn noch goblinhafter erscheinen ließ.
„Sei nahe deinen Freunden – und noch näher deinen Feinden.“
„Du erinnerst dich doch, dass unser Mad Scientist Pierre an meinen Implantaten gearbeitet hat.“
Miheils Stimme klang noch kratziger: „Ja – und dich dabei fast umgebracht.“
Der Goblin fuchtelte mit den Armen. „Ach das. Alles halb so wild, Ende gut, alles gut. Es hat zwar nicht geklappt, dass ich mich komplett unsichtbar machen kann, aber ich kann – ähnlich wie der SCHARLATAN-Projektor dieses Schifftyps – Dinge vorgaukeln.
Ursprünglich war es nur ein Standard-Hobgoblin für den Fall, dass wir nochmal auf sie treffen, aber ich habe viel trainiert und kann meinen Körper auch ohne Magie ändern. Zusammen mit der mentalen Kontrolle über die Implantate ist das Ergebnis recht ansehnlich.“
Er grinste wie ein Honigkuchenpferd – na ja, eher wie ein Goblin-Honigkuchenpferd.
Erwin hatte sich während der ganzen Show mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt, das Kinn leicht gesenkt, was ihm einen oberlehrerhaften Touch verlieh.
„Schön“, meinte er schließlich, „jetzt kann er sich also in einen Goblin verwandeln, der aussieht wie Miheil. Fehlt nur noch, dass er den Aroma-Code furzt – und wir haben die Invasion in einer Woche erledigt.“
Timy stöhnte und zog sich die Hände vors Gesicht. „Danke, Erwin. Genau das brauchte ich jetzt.“
„Immer gern.“ Erwin grinste schmal. „Aber mal ernsthaft – wenn du dich schon in einen Hobgoblin verwandelst, Jean, dann denk dran: Die riechen nicht nur anders. Die schmecken auch anders.“
Miheil warf ihm einen Seitenblick zu. „Woher zum Teufel…?“
„Lange Geschichte“, unterbrach Erwin und schob sich von der Wand ab. „Fragt besser nicht.“
Jeantron setzte mit krächzender Stimme noch einen drauf:
„Ich bin eben auch als Goblin zum Anbeißen süß.“
Miheil sagte nur „Oh“ und setzte sich, während Erwin und Timy plötzlich höchst interessante Dinge an der Decke entdeckten, die sie mit intensiver Aufmerksamkeit in Augenschein nahmen.
„Puh.“ Jeantron stellte seine Gestalt wieder her. „Ignoranz ist der Schlüssel zur Selbstgefälligkeit.“
Jeantron ließ sich in seinen Stuhl fallen, sah erst Timy, dann Miheil an – und plötzlich war das Lächeln weg.
„Halte nicht fest. Leide nicht an dem, was du nicht ändern kannst. Zwischen Reiz und Reaktion liegt der Raum deiner Freiheit. In ihm wohnt deine Macht zur Wahl. Womit wir beim Thema sind: Wir haben ein Steinkreis-Problem.“
Timy blinzelte, wischte sich über das Gesicht, als wollte er Tränenspuren wegdrücken. „Problem?“
„Tausende Goblins und ihre Hobgoblin-Aufpasser sind kein Problem. Sie sind eine Wand aus Hass und Bosheit.“ Jeantron verschränkte die Arme. „Und diese Wand steht direkt zwischen uns und der Ozerak-Basis.“
Erwin stieß sich von der Wand ab. „Also frontal durch?“
„Gewaltsamer Widerstand erschafft nur neue Gewalt. Weiches Wasser höhlt den Stein.“ Jean deutete auf die Holo-Karte, die über dem Tisch aufflackerte. Das Artefakt lag wie ein schwarzer Zahn mitten im Dschungel, von roten Markierungen eingerahmt.
„Zac und Lee kümmern sich um Ruth’thars übrig gebliebenen Generalstab. Zuerst schicken wir den obersten Rädelsführer zu Hilver – als Paket. Dann holen wir uns nach und nach die Köpfe derer, die diese ganze Sache geplant haben.“
„Und wir?“ fragte Miheil.
Jean grinste schmal. „Du lieferst das Paket aus. Erwin und ich folgen Sunjas Spur durch das Portal, sobald die erste Welle bricht. Timy und du haltet das Tor auf dieser Seite. Egal wie.“
„Klingt nach einem Job, bei dem man viele Freunde verliert“, brummte Erwin.
„Dann mach dir welche unter den Feinden.“ Jean zoomte die Karte heraus.
„Hier, hier und hier setzen wir die Mohar-Drohnen ab. Dazu noch Aphrodisia. Wenn wir Glück haben, drehen die Grellschnäbel wieder durch – aber wir müssen vorsichtig sein, dass unsere Verbündeten der planetaren Armee nicht zwischen die Fronten geraten.“
Timy sah auf, sein Blick klärte sich. „Das heißt… wir nutzen den Aroma-Code, um die Torrichtung umzukehren und zu verhindern, dass wir in einen Zweifrontenkrieg geraten?“
Jean nickte. „Genau. Der Bambus bricht nicht im Taifun – er beugt sich, wurzelt tief und richtet sich wieder auf.“


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