Nur noch vier Kapitel, dann hab ihr es geschafft! Im Folgenden werden die Abstände zwischen den Lokationen kürzer, da momentan sehr viel gleichzeitig passiert.
Kapitel 23
John hatte gerade die Manipulation des dritten Terminals beendet, als es passierte. Plötzlich gab es laute Schreie, Schüsse und eine Explosion. Marko wandte sich von John ab, um festzustellen, was im Gang vor ihnen los war. Ein älterer Sergeant mit rußgeschwärztem Gesicht kam auf sie zu gerannt. „Wir stehen unter Beschuss, Colonel. Ranger der fünfundsiebzigsten, wahrscheinlich in Zugstärke. Sie blockieren sämtliche Zugänge. Wir sind eingekesselt.“
„Scheiße“, rief Marko aus. „Das war’s dann wohl. Wenn die hier nicht großartig umgebaut und irgendwo eine Hintertür versteckt haben, sitzen wir in der Falle. Ich komme mit nach vorne. John, Sie bleiben hier, verstanden?“ John war kreidebleich geworden und nickte mit offenem Mund. So kurz vor dem Ziel schien die Mission nun gescheitert zu sein. Markos Kommunikator piepte in dieser Sekunde. Sie fand nur eine kurze Textnachricht auf dem Display: „Paket verschnürt und versendet. S.“ Das war die vereinbarte Nachricht, wenn das andere Team mit Commodore Becker auf dem Rückweg sein sollte. Elena Marko lächelte etwas gequält, immerhin war Timothy erfolgreich gewesen. Sie tippte einem Lieutenant auf die Schulter, der sich hinter einem Wandvorsprung verschanzt hatte und fragte ihn: „Und? Wie viele sind es?“
„Schwer zu sagen“, brummte er. „Mehr als dreißig bestimmt. Was sind Ihre Befehle, Colonel?“
Kurzentschlossen antwortete Marko: „Wir geben auf. Es hat keinen Sinn, unnötig Blut zu vergießen. Vielleicht kann ich mit dem Anführer verhandeln.“
Der Lieutenant verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Das ist doch gar nicht Ihre Art, Colonel“, antwortete er respektlos, aber er kannte seine Kommandeurin lange genug, sodass er sich diese kleine Frechheit erlauben konnte.
„Stimmt, Lieutenant, aber manche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Sie wollen doch auch heil hier rauskommen, oder?“ Ohne eine Antwort des Lieutenants abzuwarten brüllte sie mit Leibeskräften in die Richtung des Gegners: „Feuer einstellen! Stellen Sie das Feuer ein, wir ergeben uns und möchten verhandeln! Ich möchte mit dem Truppführer sprechen!“
Tatsächlich stellten die Gegner unverzüglich das Feuer ein. Eine tiefe Männerstimme rief: „Ich bin der Truppführer! Nennen Sie mir Ihren Namen, Miss!“
Marko schmunzelte. „Für eine Miss bin ich über zwanzig Jahre zu alt!“, rief sie zurück. „Ich bin Colonel Elena Marko, hunderterste! Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Commander Jeff Healey, fünfundsiebzigste! Ich kenne Sie, Colonel! Sie wollen reden?“
„Ja, Commander, Sie und ich, unbewaffnet, auf der Mitte des Ganges.“ Der Lieutenant sah seine Vorgesetzte überrascht an und wollte zu einem Protest anheben, aber sie legte ihm einen Finger auf den Mund. „Hören Sie, Commander, die Tennessee ist am Ende, sie wird bald auseinanderbrechen. Hören Sie die Geräusche? Sie haben doch sicher Familie, oder? Ich schon, Commander! Ich will nach Hause!“
Einen kurzen Moment herrschte Schweigen auf dem Gang, während das Schiff immer noch unter seinen Geschützsalven erzitterte. „Also gut, Colonel! Ich komme unbewaffnet, aber meine Leute zielen auf Sie. Reden wir!“
Schnell legte Marko Waffe und Handgranatengurt ab und stand mit erhobenen Händen auf. „Ich komme jetzt raus“, sagte sie laut und deutlich, während sie langsam hinter der Deckung hervorkam. Sie streckte die Hände mit den Handflächen nach vorne und ging langsam die zwanzig Meter zur Mitte des Ganges hinunter. Commander Healey wartete einen Moment ab, bis auch er aus seinen Reihen hervortrat und auf Marko zuging. Er hatte ebenfalls seine Waffen abgelegt. Marko sah, wie sich ein gutes Dutzend Gewehrläufe auf sie richtete. Healey war ein kleiner, beweglicher Mann mit blonden Haaren und dunklen Augen und trug ein Headset mit Mikrofon. Argwöhnisch musterte er die große, schwarzhaarige Frau.
„Was machen Sie hier, Colonel?“, fragte er nur.
„Ich habe den Auftrag, das Schiff lahmzulegen und in den Hangar vorzudringen, um die dort festgesetzte Polizeitruppe zu befreien“, antwortete Marko wahrheitsgemäß.
„Wie viele sind Sie?“, bohrte Healey weiter.
„Halber Zug, zwanzig Mann plus einen Computertechniker der Weltraumpolizei.“
„Gut, Colonel Marko, dann muss ich Sie jetzt auffordern, Ihre Waffen niederzulegen. Ich nehme Sie hiermit in Gewahrsam“, gab der Commander mit einem freundlichen Lächeln zurück. Er hatte keinerlei Interesse daran, Marko und ihrer Truppe irgendwelchen Schaden zuzufügen, sie waren immer noch Kameraden.
Marko wollte sich gerade zu ihren Leuten umdrehen und den Befehl weitergeben, als Healey plötzlich eine Hand hob und angestrengt in sein Headset lauschte. Marko wartete ab.
Peter und Danica trafen schweigend ihre Startvorbereitungen. Die Sonne war soeben hinter den Gipfeln des Fuldhim-Gebirges versunken und tauchte den Himmel in ein rot-violettes Licht. Mit dem letzten Sonnenstrahl hielt eine erfrischende Kühle über der weiten Ebene Einzug und ließ die beiden durchgeschwitzten Piloten frösteln. Eben jenes Frösteln rührte aber nicht nur von den schlagartig fallenden Temperaturen her, auch die zwischen den beiden jungen Leuten abgekühlte Stimmung und die Anspannung vor den Aufgaben in der kommenden Nacht trug maßgeblich dazu bei. Danica fühlte sich nicht sonderlich gut. Eine dumpfe Übelkeit machte ihr zu schaffen, sie beschlich das ungute Gefühl, dass heute Nacht etwas Schreckliches passieren würde.
Curtis und Nurara traten aus der Luke der Devil heraus und kamen geradewegs auf die beiden Broadswords zu. Simon schwebte hinter ihnen her. Curtis klopfte mit zwei kräftigen Faustschlägen gegen Peters Maschine und rief: „Alles klar soweit?“
Peter lugte aus seinem Cockpit die knappen zwei Meter nach unten. „Ja, wir sind startklar, Curtis.“
Curtis gab sich betont sachlich und kühl. Verziehen hatte er Peter aus verständlichen Gründen noch lange nicht. „Können Sie beide bitte Ihre Zugänge zum Bordcomputer freigeben? Sie sind heute Nacht unsere erweiterten Augen und Ohren.“
„Sicher, einen Moment“, gab Peter zurück und öffnete vom Cockpit aus eine kleine Klappe am Bug seiner Maschine. „Was haben Sie vor?“
„Simon wird Ihnen beiden ein Programm für Ihre Scanner installieren, das Daten mit unserem DNA-Scanner austauscht. Somit können wir die Reichweiten verdoppeln und uns weiter verteilen.“
„Klingt vernünftig“, sagte Danica mit schwacher Stimme. Sie hatte mit Peter zuvor gesprochen. In diesem Gespräch hatte er ihr eindeutig zu verstehen gegeben, dass er mit ihr keine gemeinsame Zukunft mehr sah, unabhängig davon, dass er heute auch Joan verloren hatte. Über die Avancen, die Nurara ihm machte, hatte er sich ausgeschwiegen. Aber für Danica war es offensichtlich, dass er ihre Annäherungsversuche zurückhaltend genoss und sie abwartend gewähren ließ.
Simon brauchte für beide Jagdbomber keine fünf Minuten. „Fertig“, schepperte es aus seinem Stimmgenerator. „Zusätzlich zu den üblichen Schiffskontakten, werden auf Ihren Scannerdisplays rosa Punkte eingeblendet, die auf Übereinstimmungen mit der DNA-Datenbank zurückzuführen sind. Diese werden unmittelbar an die Up jumped the Devil übertragen, damit wir entsprechend reagieren können. Haben Sie Fragen dazu?“
Peter und Danica schüttelten unisono die Köpfe.
Curtis wandte sich zum Gehen. „Dann lasst uns starten“, sagte er im Befehlston und ging in Richtung Nuraras Schiff. Nurara sah zu Peter hinauf. Sie lächelte ihn offen an und warf ihm eine angedeutete Kusshand zu. Eine Szene, die Danica tief ins Herz traf. Sie fühlte sich gebrochen und war den Tränen nahe. Verzweifelt versuchte sie, den dicken Kloß in ihrem Hals herunter zu schlucken, während sie die Triebwerke hochfuhr.
Der Trupp hatte mit der aufziehenden Dämmerung den Rand des Felsplateaus erreicht. Der Lieutenant sah durch sein leistungsstarkes Fernglas und postierte per Handzeichen seine Leute auf überhöhten Positionen mit guter Deckung. Der Trupp lag ausgezeichnet für einen schnellen Überraschungsangriff. Kuoluns Befehl war eindeutig: Joan Landor lebendig einzufangen, koste es, was es wolle. Der Lieutenant schloss damit den Tod Unschuldiger nicht aus. Zwar wollte er den Kollateralschaden so gering wie möglich halten, aber ein paar Tote mehr oder weniger nahm er zur Durchführung seiner Aufgabe billigend in Kauf. Bevor er den Befehl zum Angriff gab, zog er seinen Kommunikator aus der Tasche und tippte eine Textnachricht ein. „Zielperson gestellt. Greife an.“
Zu dem Soldaten rechts von ihm machte er eine Geste mit zwei erhobenen Fingern. Der Mann zog zwei Granaten von Gürtel und entsicherte sie. Ruckartig senkte der Lieutenant die Hand und der Soldat warf die beiden Granaten kurz nacheinander auf das Plateau.
Unruhig lief Katherine mit geschultertem Gewehr vor dem Kommunikationsbüro auf und ab. Die dreißig Minuten, die Captain Lafayette erbeten hatte, waren gerade um. „Ich wusste es“, flüsterte Katherine, als sie an Takashi und Marijke vorbei ging. „Der hat uns nur verarscht. Takashi, lass die Leute wieder wegtreten, die Waffen bleiben am Mann.“
In diesem Moment schob Captain Bremmer ihre brünette Mähne durch die Tür. „Lafayette hat sich gemeldet, Major. Er sagt, die Wege sind frei. Sie können auf die Brücke kommen.“
Katherine sah durch die Reihen ihrer Mannschaft und sah feste Entschlossenheit in den Gesichtern. „Wenn jemand hierbleiben will, der kann das jetzt tun.“ Keiner bewegte sich auch nur einen Millimeter. Katherine atmete tief durch und sagte dann laut: „Dann los, packen wir das Schwein! Laufschritt!“
Noch immer stand Commander Healey mit erhobener Hand vor Colonel Marko. „Ja, verstanden. Danke, Ende.“ Healey sah einen Moment Marko an, dann lächelte er und streckte ihr die Hand hin. „Willkommen auf der Tennessee, Colonel. Können wir Sie begleiten? Wo müssen Sie hin?“
Verdutzt starrte Marko auf den kleineren Offizier herab. „Was ist denn jetzt los? Wie kommt der plötzliche Sinneswandel?“ Sie winkte ihren Leuten zu und gab ihnen zu verstehen, die Ausrüstung und die Waffen wieder aufzunehmen. Auch John hatte sich jetzt zu den Soldaten gesellt, er wirkte deutlich gefasster als noch ein paar Minuten zuvor. „Wir müssen runter in den Hangar, Commander. Dort sind unsere Leute.“
Auf dem Weg erklärte Commander Healey Elena Marko die neue Situation. „Wir wussten die letzten Tage nicht allzu viel. Wir haben unsere Informationen nur bruchstückhaft erhalten und wussten nur, dass auf diesem Schiff eine Meuterei ausgebrochen ist. Sie kennen die Befehlsstrukturen, Colonel. Streuen Sie ein Gerücht, filtern Sie vitale Informationen aus und schon arbeiten ganze Bataillone ungewollt für die falsche Seite. Genau das ist auf diesem Schiff passiert. Commander Rodriguez hat seinen Plan minutiös und detailliert umgesetzt und so das halbe Schiff auf seine Seite gezogen, ohne dass irgendjemand auch nur im Ansatz seine Handlungsweise in Frage gestellt hat.“
„Und die andere Hälfte der Besatzung?“, mischte sich John ein.
„Hat man auf den Asteroiden Vestara als die eigentlichen Meuterer deportiert, Captain“, antwortete Healey. „Hoffentlich ist denen nichts Schlimmes passiert.“
„Man wird Sie und Ihre Leute trotzdem vor ein Militärgericht stellen, das wissen Sie, Commander. Machen wir uns nichts vor …“, gab John ernst zurück. „Der Militärstaatsanwalt wird eine Untersuchung der Vorfälle verlangen und Sie wahrscheinlich anklagen.“
Healey presste die Lippen aufeinander. „Ich weiß, Captain. Deswegen versuche ich jetzt auch, soweit wie möglich weiteren Schaden abzuwenden.“
„Wer hat Sie eigentlich zurück gepfiffen und warum?“, wollte Marko wissen.
„Rodriguez hat den Bogen überspannt. Er dreht auf der Brücke völlig durch, verprügelt und misshandelt dort oben Leute und ist weder Herr der Lage noch seiner selbst. Er hat befohlen, das Flaggschiff des Einsatzverbandes, mit dem Sie hier angekommen sind, anzugreifen. Er weiß einfach nicht mehr, was er tut. Der designierte Erste Offizier, Captain Lafayette hat heimlich und in Rodriguez‘ Namen den Befehl gegeben, alle Kräfte von den taktischen Positionen zurückzuziehen.“
Marko nickte. „Vernünftiger Mann, dieser Lafayette. Hat er Unterstützung auf der Brücke?“
Healey verneinte. „Zwei Gruppen Ranger sind auf der Brücke postiert. Die sind wohl komplett eingeweiht in Rodriguez‘ Pläne.“
„Ist Vul Kuolun an Bord?“, fragte John.
„Nein, Captain. Der hat vor zwei oder drei Tagen mit unserem Schiffsarzt die Tennessee verlassen. Wir sind da!“ Sie standen nach einigen Minuten Fußmarsch über viele Decks vor einem großen, rot lackierten, zweiflügeligen Schutztor, das mit Narben und Brandflecken von Laser- und Protonenwaffen übersäht war. Healey drückte den Knopf der Gegensprechanlage. „Bitte, Colonel“, sagte er mit einer einladenden Geste und trat beiseite.
Marko ging zum Mikrofon und sprach hinein. „Ich bin Colonel Elena Marko vom hundertersten Rangerbataillon. Wir kommen vom Schlachtkreuzer Alabama und wollen Sie da rausholen! Bitte öffnen Sie die Tür!“
Mit Herzklopfen und zitternden Knien drängelte sich John in die erste Reihe, noch vor Marko und Healey. Er nahm sein Gewehr von der Schulter und reichte es einem Soldaten nach hinten. Hinter dieser Tür war seine Katherine. Gleich konnte John sie wieder im Arm halten.
Die Tür schob sich nach beiden Seiten auf und die Soldaten schauten in einhundert Gewehrmündungen. Auf den Gesichtern dieser Menschen stand die Bereitschaft zu töten geschrieben.
Kapitel 23
John hatte gerade die Manipulation des dritten Terminals beendet, als es passierte. Plötzlich gab es laute Schreie, Schüsse und eine Explosion. Marko wandte sich von John ab, um festzustellen, was im Gang vor ihnen los war. Ein älterer Sergeant mit rußgeschwärztem Gesicht kam auf sie zu gerannt. „Wir stehen unter Beschuss, Colonel. Ranger der fünfundsiebzigsten, wahrscheinlich in Zugstärke. Sie blockieren sämtliche Zugänge. Wir sind eingekesselt.“
„Scheiße“, rief Marko aus. „Das war’s dann wohl. Wenn die hier nicht großartig umgebaut und irgendwo eine Hintertür versteckt haben, sitzen wir in der Falle. Ich komme mit nach vorne. John, Sie bleiben hier, verstanden?“ John war kreidebleich geworden und nickte mit offenem Mund. So kurz vor dem Ziel schien die Mission nun gescheitert zu sein. Markos Kommunikator piepte in dieser Sekunde. Sie fand nur eine kurze Textnachricht auf dem Display: „Paket verschnürt und versendet. S.“ Das war die vereinbarte Nachricht, wenn das andere Team mit Commodore Becker auf dem Rückweg sein sollte. Elena Marko lächelte etwas gequält, immerhin war Timothy erfolgreich gewesen. Sie tippte einem Lieutenant auf die Schulter, der sich hinter einem Wandvorsprung verschanzt hatte und fragte ihn: „Und? Wie viele sind es?“
„Schwer zu sagen“, brummte er. „Mehr als dreißig bestimmt. Was sind Ihre Befehle, Colonel?“
Kurzentschlossen antwortete Marko: „Wir geben auf. Es hat keinen Sinn, unnötig Blut zu vergießen. Vielleicht kann ich mit dem Anführer verhandeln.“
Der Lieutenant verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Das ist doch gar nicht Ihre Art, Colonel“, antwortete er respektlos, aber er kannte seine Kommandeurin lange genug, sodass er sich diese kleine Frechheit erlauben konnte.
„Stimmt, Lieutenant, aber manche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Sie wollen doch auch heil hier rauskommen, oder?“ Ohne eine Antwort des Lieutenants abzuwarten brüllte sie mit Leibeskräften in die Richtung des Gegners: „Feuer einstellen! Stellen Sie das Feuer ein, wir ergeben uns und möchten verhandeln! Ich möchte mit dem Truppführer sprechen!“
Tatsächlich stellten die Gegner unverzüglich das Feuer ein. Eine tiefe Männerstimme rief: „Ich bin der Truppführer! Nennen Sie mir Ihren Namen, Miss!“
Marko schmunzelte. „Für eine Miss bin ich über zwanzig Jahre zu alt!“, rief sie zurück. „Ich bin Colonel Elena Marko, hunderterste! Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Commander Jeff Healey, fünfundsiebzigste! Ich kenne Sie, Colonel! Sie wollen reden?“
„Ja, Commander, Sie und ich, unbewaffnet, auf der Mitte des Ganges.“ Der Lieutenant sah seine Vorgesetzte überrascht an und wollte zu einem Protest anheben, aber sie legte ihm einen Finger auf den Mund. „Hören Sie, Commander, die Tennessee ist am Ende, sie wird bald auseinanderbrechen. Hören Sie die Geräusche? Sie haben doch sicher Familie, oder? Ich schon, Commander! Ich will nach Hause!“
Einen kurzen Moment herrschte Schweigen auf dem Gang, während das Schiff immer noch unter seinen Geschützsalven erzitterte. „Also gut, Colonel! Ich komme unbewaffnet, aber meine Leute zielen auf Sie. Reden wir!“
Schnell legte Marko Waffe und Handgranatengurt ab und stand mit erhobenen Händen auf. „Ich komme jetzt raus“, sagte sie laut und deutlich, während sie langsam hinter der Deckung hervorkam. Sie streckte die Hände mit den Handflächen nach vorne und ging langsam die zwanzig Meter zur Mitte des Ganges hinunter. Commander Healey wartete einen Moment ab, bis auch er aus seinen Reihen hervortrat und auf Marko zuging. Er hatte ebenfalls seine Waffen abgelegt. Marko sah, wie sich ein gutes Dutzend Gewehrläufe auf sie richtete. Healey war ein kleiner, beweglicher Mann mit blonden Haaren und dunklen Augen und trug ein Headset mit Mikrofon. Argwöhnisch musterte er die große, schwarzhaarige Frau.
„Was machen Sie hier, Colonel?“, fragte er nur.
„Ich habe den Auftrag, das Schiff lahmzulegen und in den Hangar vorzudringen, um die dort festgesetzte Polizeitruppe zu befreien“, antwortete Marko wahrheitsgemäß.
„Wie viele sind Sie?“, bohrte Healey weiter.
„Halber Zug, zwanzig Mann plus einen Computertechniker der Weltraumpolizei.“
„Gut, Colonel Marko, dann muss ich Sie jetzt auffordern, Ihre Waffen niederzulegen. Ich nehme Sie hiermit in Gewahrsam“, gab der Commander mit einem freundlichen Lächeln zurück. Er hatte keinerlei Interesse daran, Marko und ihrer Truppe irgendwelchen Schaden zuzufügen, sie waren immer noch Kameraden.
Marko wollte sich gerade zu ihren Leuten umdrehen und den Befehl weitergeben, als Healey plötzlich eine Hand hob und angestrengt in sein Headset lauschte. Marko wartete ab.
Peter und Danica trafen schweigend ihre Startvorbereitungen. Die Sonne war soeben hinter den Gipfeln des Fuldhim-Gebirges versunken und tauchte den Himmel in ein rot-violettes Licht. Mit dem letzten Sonnenstrahl hielt eine erfrischende Kühle über der weiten Ebene Einzug und ließ die beiden durchgeschwitzten Piloten frösteln. Eben jenes Frösteln rührte aber nicht nur von den schlagartig fallenden Temperaturen her, auch die zwischen den beiden jungen Leuten abgekühlte Stimmung und die Anspannung vor den Aufgaben in der kommenden Nacht trug maßgeblich dazu bei. Danica fühlte sich nicht sonderlich gut. Eine dumpfe Übelkeit machte ihr zu schaffen, sie beschlich das ungute Gefühl, dass heute Nacht etwas Schreckliches passieren würde.
Curtis und Nurara traten aus der Luke der Devil heraus und kamen geradewegs auf die beiden Broadswords zu. Simon schwebte hinter ihnen her. Curtis klopfte mit zwei kräftigen Faustschlägen gegen Peters Maschine und rief: „Alles klar soweit?“
Peter lugte aus seinem Cockpit die knappen zwei Meter nach unten. „Ja, wir sind startklar, Curtis.“
Curtis gab sich betont sachlich und kühl. Verziehen hatte er Peter aus verständlichen Gründen noch lange nicht. „Können Sie beide bitte Ihre Zugänge zum Bordcomputer freigeben? Sie sind heute Nacht unsere erweiterten Augen und Ohren.“
„Sicher, einen Moment“, gab Peter zurück und öffnete vom Cockpit aus eine kleine Klappe am Bug seiner Maschine. „Was haben Sie vor?“
„Simon wird Ihnen beiden ein Programm für Ihre Scanner installieren, das Daten mit unserem DNA-Scanner austauscht. Somit können wir die Reichweiten verdoppeln und uns weiter verteilen.“
„Klingt vernünftig“, sagte Danica mit schwacher Stimme. Sie hatte mit Peter zuvor gesprochen. In diesem Gespräch hatte er ihr eindeutig zu verstehen gegeben, dass er mit ihr keine gemeinsame Zukunft mehr sah, unabhängig davon, dass er heute auch Joan verloren hatte. Über die Avancen, die Nurara ihm machte, hatte er sich ausgeschwiegen. Aber für Danica war es offensichtlich, dass er ihre Annäherungsversuche zurückhaltend genoss und sie abwartend gewähren ließ.
Simon brauchte für beide Jagdbomber keine fünf Minuten. „Fertig“, schepperte es aus seinem Stimmgenerator. „Zusätzlich zu den üblichen Schiffskontakten, werden auf Ihren Scannerdisplays rosa Punkte eingeblendet, die auf Übereinstimmungen mit der DNA-Datenbank zurückzuführen sind. Diese werden unmittelbar an die Up jumped the Devil übertragen, damit wir entsprechend reagieren können. Haben Sie Fragen dazu?“
Peter und Danica schüttelten unisono die Köpfe.
Curtis wandte sich zum Gehen. „Dann lasst uns starten“, sagte er im Befehlston und ging in Richtung Nuraras Schiff. Nurara sah zu Peter hinauf. Sie lächelte ihn offen an und warf ihm eine angedeutete Kusshand zu. Eine Szene, die Danica tief ins Herz traf. Sie fühlte sich gebrochen und war den Tränen nahe. Verzweifelt versuchte sie, den dicken Kloß in ihrem Hals herunter zu schlucken, während sie die Triebwerke hochfuhr.
Der Trupp hatte mit der aufziehenden Dämmerung den Rand des Felsplateaus erreicht. Der Lieutenant sah durch sein leistungsstarkes Fernglas und postierte per Handzeichen seine Leute auf überhöhten Positionen mit guter Deckung. Der Trupp lag ausgezeichnet für einen schnellen Überraschungsangriff. Kuoluns Befehl war eindeutig: Joan Landor lebendig einzufangen, koste es, was es wolle. Der Lieutenant schloss damit den Tod Unschuldiger nicht aus. Zwar wollte er den Kollateralschaden so gering wie möglich halten, aber ein paar Tote mehr oder weniger nahm er zur Durchführung seiner Aufgabe billigend in Kauf. Bevor er den Befehl zum Angriff gab, zog er seinen Kommunikator aus der Tasche und tippte eine Textnachricht ein. „Zielperson gestellt. Greife an.“
Zu dem Soldaten rechts von ihm machte er eine Geste mit zwei erhobenen Fingern. Der Mann zog zwei Granaten von Gürtel und entsicherte sie. Ruckartig senkte der Lieutenant die Hand und der Soldat warf die beiden Granaten kurz nacheinander auf das Plateau.
Unruhig lief Katherine mit geschultertem Gewehr vor dem Kommunikationsbüro auf und ab. Die dreißig Minuten, die Captain Lafayette erbeten hatte, waren gerade um. „Ich wusste es“, flüsterte Katherine, als sie an Takashi und Marijke vorbei ging. „Der hat uns nur verarscht. Takashi, lass die Leute wieder wegtreten, die Waffen bleiben am Mann.“
In diesem Moment schob Captain Bremmer ihre brünette Mähne durch die Tür. „Lafayette hat sich gemeldet, Major. Er sagt, die Wege sind frei. Sie können auf die Brücke kommen.“
Katherine sah durch die Reihen ihrer Mannschaft und sah feste Entschlossenheit in den Gesichtern. „Wenn jemand hierbleiben will, der kann das jetzt tun.“ Keiner bewegte sich auch nur einen Millimeter. Katherine atmete tief durch und sagte dann laut: „Dann los, packen wir das Schwein! Laufschritt!“
Noch immer stand Commander Healey mit erhobener Hand vor Colonel Marko. „Ja, verstanden. Danke, Ende.“ Healey sah einen Moment Marko an, dann lächelte er und streckte ihr die Hand hin. „Willkommen auf der Tennessee, Colonel. Können wir Sie begleiten? Wo müssen Sie hin?“
Verdutzt starrte Marko auf den kleineren Offizier herab. „Was ist denn jetzt los? Wie kommt der plötzliche Sinneswandel?“ Sie winkte ihren Leuten zu und gab ihnen zu verstehen, die Ausrüstung und die Waffen wieder aufzunehmen. Auch John hatte sich jetzt zu den Soldaten gesellt, er wirkte deutlich gefasster als noch ein paar Minuten zuvor. „Wir müssen runter in den Hangar, Commander. Dort sind unsere Leute.“
Auf dem Weg erklärte Commander Healey Elena Marko die neue Situation. „Wir wussten die letzten Tage nicht allzu viel. Wir haben unsere Informationen nur bruchstückhaft erhalten und wussten nur, dass auf diesem Schiff eine Meuterei ausgebrochen ist. Sie kennen die Befehlsstrukturen, Colonel. Streuen Sie ein Gerücht, filtern Sie vitale Informationen aus und schon arbeiten ganze Bataillone ungewollt für die falsche Seite. Genau das ist auf diesem Schiff passiert. Commander Rodriguez hat seinen Plan minutiös und detailliert umgesetzt und so das halbe Schiff auf seine Seite gezogen, ohne dass irgendjemand auch nur im Ansatz seine Handlungsweise in Frage gestellt hat.“
„Und die andere Hälfte der Besatzung?“, mischte sich John ein.
„Hat man auf den Asteroiden Vestara als die eigentlichen Meuterer deportiert, Captain“, antwortete Healey. „Hoffentlich ist denen nichts Schlimmes passiert.“
„Man wird Sie und Ihre Leute trotzdem vor ein Militärgericht stellen, das wissen Sie, Commander. Machen wir uns nichts vor …“, gab John ernst zurück. „Der Militärstaatsanwalt wird eine Untersuchung der Vorfälle verlangen und Sie wahrscheinlich anklagen.“
Healey presste die Lippen aufeinander. „Ich weiß, Captain. Deswegen versuche ich jetzt auch, soweit wie möglich weiteren Schaden abzuwenden.“
„Wer hat Sie eigentlich zurück gepfiffen und warum?“, wollte Marko wissen.
„Rodriguez hat den Bogen überspannt. Er dreht auf der Brücke völlig durch, verprügelt und misshandelt dort oben Leute und ist weder Herr der Lage noch seiner selbst. Er hat befohlen, das Flaggschiff des Einsatzverbandes, mit dem Sie hier angekommen sind, anzugreifen. Er weiß einfach nicht mehr, was er tut. Der designierte Erste Offizier, Captain Lafayette hat heimlich und in Rodriguez‘ Namen den Befehl gegeben, alle Kräfte von den taktischen Positionen zurückzuziehen.“
Marko nickte. „Vernünftiger Mann, dieser Lafayette. Hat er Unterstützung auf der Brücke?“
Healey verneinte. „Zwei Gruppen Ranger sind auf der Brücke postiert. Die sind wohl komplett eingeweiht in Rodriguez‘ Pläne.“
„Ist Vul Kuolun an Bord?“, fragte John.
„Nein, Captain. Der hat vor zwei oder drei Tagen mit unserem Schiffsarzt die Tennessee verlassen. Wir sind da!“ Sie standen nach einigen Minuten Fußmarsch über viele Decks vor einem großen, rot lackierten, zweiflügeligen Schutztor, das mit Narben und Brandflecken von Laser- und Protonenwaffen übersäht war. Healey drückte den Knopf der Gegensprechanlage. „Bitte, Colonel“, sagte er mit einer einladenden Geste und trat beiseite.
Marko ging zum Mikrofon und sprach hinein. „Ich bin Colonel Elena Marko vom hundertersten Rangerbataillon. Wir kommen vom Schlachtkreuzer Alabama und wollen Sie da rausholen! Bitte öffnen Sie die Tür!“
Mit Herzklopfen und zitternden Knien drängelte sich John in die erste Reihe, noch vor Marko und Healey. Er nahm sein Gewehr von der Schulter und reichte es einem Soldaten nach hinten. Hinter dieser Tür war seine Katherine. Gleich konnte John sie wieder im Arm halten.
Die Tür schob sich nach beiden Seiten auf und die Soldaten schauten in einhundert Gewehrmündungen. Auf den Gesichtern dieser Menschen stand die Bereitschaft zu töten geschrieben.
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