Jo Ho! Die Piratin ist wieder da! Und ich liefere euch gleich einen fetten Kracher, mit dem ihr nicht gerechnet habt! Viel Spaß!
Kapitel 9
„Hat der Kapitän gesagt, was er will?“, fragte Siobhan den älteren Mann.
„Er bittet um Treibstoff und Versorgungsgüter“, antwortete Cooder. „Allerdings hat er gesagt, dass er kein Geld hat, um zu bezahlen. Als Gegenleistung hat er angeboten, dass seine Partnerin ein Gesangskonzert geben würde. Er behauptet, dass sie ziemlich gut sei.“
„Ist ja mal was neues“, gab Siobhan trocken zurück und grinste. „Erteile ihm Landeerlaubnis und führe ihn und seine Partnerin in die Messe.“ Cooder nickte und wandte sich zum Gehen. „Ach, Cooder?“, rief Siobhan ihm nach, woraufhin der Mann sich wieder umdrehte. „Welches ist das größte, derzeit raumtaugliche Schiff, das wir haben?“
Cooder überlegte kurz und kratzte sich an seinem grauen, kurzgeschorenen Hinterkopf. „Die Andrasta. Wieso fragst du?“
Siobhan ging einen Schritt auf Cooder zu und antwortete: „Lass das Schiff auftanken, füll es bis oben hin mit Wasser und Nahrungsmitteln und programmiere einen Kurs mit ein paar Umwegen ins Sonnensystem. Achte darauf, dass der Startpunkt automatisch gelöscht wird.“
Cooder sah seine Chefin fragend an. „Mach ich, aber wozu soll das gut sein?“
„Ich will, dass du so schnell wie möglich alle Gefangenen auf die Andrasta schaffst und das Schiff in Marsch setzt. Wie lange brauchst du dafür?“, fragte Siobhan mit ernstem Unterton.
Cooder kratzte sich erneut an Hinterkopf. „Viertausend Gefangene? So drei, vier Stunden vielleicht“, brummte er. „Mit Auftanken und Versorgen insgesamt fünf Stunden. Aber nochmal: wozu soll das gut sein?“
„Frag nicht, mach einfach!“, gab Siobhan harsch zurück. „Die Gefangenen kosten uns zu viel Nahrungsmittel. Ich will sie loswerden!“
Cooder wusste als Siobhans Erster Offizier am besten, dass ihre Befehle besser nicht in Zweifel gezogen werden sollten, daher nickte er nur. „In Ordnung, ich kümmere mich drum. Verstehen muss ich das nicht, oder? Es sind doch unsere Arbeitskräfte. Dein Vater wird …“
„Mein Vater ist mir im Moment scheißegal!“, brüllte Siobhan Cooder an und wies zur Tür. „Setz deinen Arsch in Bewegung, Cooder und stiehl mir nicht meine Zeit! Und schaff Jeff Rollins her.“
Cooder salutierte knapp und ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hinaus. Siobhan drehte sich zu ihren Gästen um und breitete lächelnd die Arme aus. An Tyra gewandt sagte sie: „So, deinen Jeff kannst du gleich wieder in den Arm nehmen.“ Dann drehte Siobhan sich zu Katherine um und sah ihr fest in die Augen. „Okay, Kat. Ich halte meinen Teil der Vereinbarung ein. Jetzt seid ihr dran.“
Mit Anspannung betrat Curtis das Deck der Raumstation, wo er, „Laura“ und Grag von vier schwerbewaffneten und übellaunig aussehenden Piraten in Empfang genommen wurde. Simon war an Bord geblieben, um die Comet für einen Alarmstart bereit zu halten. Ein fünfter Pirat, es war Cooder, trat hinzu und begrüßte Curtis mit argwöhnischem Blick. „Nennen Sie mir Ihren Namen, Captain“, forderte er Curtis grantig auf und hängte seine Daumen in seinen Waffengurt.
Curtis setzte ein unverbindliches Lächeln auf und antwortete: „Ich bin Ivan Mudras, Ehemann und Manager meiner wunderbaren Gattin Laura. Wir kommen von einer Tournee und waren auf dem Rückweg zur Erde, als wir bemerkt haben, dass wir Treibstoff verlieren. Das Leck konnten wir abdichten, nur leider reicht uns der Sprit nicht mehr für einen Weiterflug, Sie verstehen?“
„Sicher“, brummte Cooder. „Sagten Sie nicht beim Anflug, dass Sie pleite sind? Nach einer Tournee müssten Sie doch die Taschen voller Geld haben, oder?“ Der ältere Mann war gewieft und ließ sich augenscheinlich nichts vormachen. „Wenn Sie kein Geld haben, können Sie uns den Goldjungen da überlassen“, meinte Cooder und deutete gierig grinsend auf den golden lackierten Grag, was von dem als Frau verkleideten Otho mit einer Grimasse in Richtung des Roboters quittiert wurde.
Curtis hob abwehrend die Hände und sagte mit einer entschuldigenden Miene: „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Elvis ist unser Pilot und gleichzeitig der Servicedroide meiner Frau. Sie wird nur ungern auf ihn verzichten wollen.“ Curtis warf einen hämischen Blick über die Schulter zu Otho.
„Wie Sie meinen“, gab Cooder knapp zurück. „Ich entscheide das ohnehin nicht. Kommen Sie mit, meine Kommandantin erwartet Sie.“
Curtis gab sich überrascht. „Oh? Eine Kommandantin? Eine Frau an der Spitze dieses Piratennests? Ungewöhnlich.“
Cooder lachte bellend auf. „Ungewöhnlich? Ja, da mögen Sie Recht haben. Das ist Siobhan wirklich, Sie werden schon sehen …“ Er sah Curtis eindringlich an und hob mahnend den Zeigefinger. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Mudras. Hüten Sie vor Siobhan Ihre Zunge, widersprechen Sie ihr nicht und vor allem: lügen Sie sie nicht an, wenn Ihnen Ihre Gesundheit was wert ist. Und ganz wichtig: reden Sie sie um jeden Preis mit ‚Lady‘ Siobhan an. Das könnte Ihre Chancen steigern, diese Station lebend wieder zu verlassen.“
Curtis blinzelte einmal kurz und nickte wortlos. Flankiert von den Bewachern setzte sich die Gruppe in Bewegung.
Mit einem Freudenschrei sprang Tyra auf und ihrem Verlobten Jeff in die Arme, während sie den jungen Mann mit Küssen nur so eindeckte. „Jeff!“, rief sie, „geht es dir gut? Bist du in Ordnung?“
Nachdem Tyra von Jeff wieder abgelassen hatte und er einmal durchatmen konnte, antwortete er: „Ja, Schatz, mir geht es gut.“ Dann warf er hasserfüllt einen Blick auf Siobhan und wollte auf sie losgehen. „Aber diese Hexe“, schnaubte er und ballte die Faust, „hat mich missbraucht! Sie hat mich als ihren Sexsklaven gehalten. Ich sollte ihr …“
„Es ist gut, Jeff“, mischte sich Katherine ein und hatte sichtlich Mühe, den Mann mit dem strubbeligen, schwarzen Haar zu beruhigen. „Ich glaube, Siobhan hat dir etwas zu sagen“, sagte sie laut und verständlich und warf der Piratin einen aufmunternden Blick zu, die mit gesenktem Haupt auf ihre Stiefelspitzen schaute.
„Jeff“, begann sie mit leiser Stimme. „Ich weiß, dass das, was ich dir angetan habe, mit nichts zu entschuldigen ist, aber ich möchte, dass du weißt, dass es mir unsagbar leid tut.“ Siobhan sah den Frachterpiloten mit wässerigen blauen Augen an. „Ich wünschte, ich könnte das alles ungeschehen machen …“ Siobhan stockte und sah zu Katherine herüber und dann zu Tyra. Beide nickten ihr zu und forderten sie damit auf, weiter zu sprechen. „… wie viele andere Dinge auch, die ich in der Vergangenheit getan habe. Ich … ich erwarte nicht, dass du meine Entschuldigung annimmst …“
„Worauf du dich verlassen kannst!“, grollte Jeff und ballte erneut die Faust, woraufhin Katherine besänftigend eine Hand auf Jeffs Arm legte. Katherines freundliche Geste ließ den Mann etwas milder werden.
„Es … es gehörte alles zu einem Plan“, fuhr die schöne Piratin fort. „Bitte lass es mich erklären.“
Jeff begann wie ein Irrer zu lachen, während John von seinem Platz aufstand, zur Bar ging und eine neue Flasche Whiskey sowie ein neues Glas für Jeff holte. Mit einem gefüllten Glas ging er auf Jeff zu und hielt es ihm hin. „Mit mir hat sie es auch gemacht, Jeff. Ich bin John“, sagte er und grinste schief. „Katherine hier war auch nicht sonderlich begeistert, aber wie du siehst, lebe ich noch und Siobhan ebenfalls. Und ich kann dir sagen, wie eifersüchtig Katherine sein kann.“
Katherine warf ihrem Mann einen wütenden Blick zu, sagte aber nichts. Jeff nahm den Whiskey und stürzte ihn in einem Zug herunter. „Was für ein bescheuerter Plan soll das gewesen sein, Siobhan?“, fragte er und hielt John das leere Glas hin. Er wirkte nun etwas gelöster und weniger aufgebracht.
Man konnte Siobhan förmlich ansehen, wie sie allen Mut zusammen nahm, um den Anwesenden ihre Geschichte zu erzählen. „Ich habe Katherine vorhin im Nebenraum schon einiges über mich erzählt“, begann sie und warf der Polizeipsychologin einen dankbaren Blick zu. „Ich will es euch allen gerne noch einmal erzählen …“
„Das glaube ich einfach nicht!“, entfuhr es Joan. Sie sah gleichermaßen geschockt wie überrascht auf den Bildschirm ihres Computers, während sie an dem kleinen Schreibtisch in ihrem karg eingerichteten Hotelzimmer saß. Es war mittlerweile nach zwei Uhr in der Nacht und Joan konnte einfach nicht schlafen, jetzt erst recht nicht mehr. Sie hatte in der letzten Stunde Recherchen über Siobhans Familie betrieben, sich in Meldedatenregistern eingeloggt und hunderte Datenbanken durchforstet, darunter auch deutsche und österreichische. Joan hatte versucht, zurück zu verfolgen, wie ein amerikanischer Staatsbürger an eine österreichische Ehefrau gekommen war, dabei hatte sie herausgefunden, dass Geoffrey Kelly selbst in Österreich geboren und aufgewachsen war. Sein Vater, Charles Kelly, war zu Lebzeiten als Bauingenieur international tätig gewesen und hatte mit seiner Frau Helen beruflich fast den ganzen Globus bereist. Bei einem Projekt in Österreich war Helen mit Geoffrey schwanger gewesen und hatte ihren Sohn in Wien zur Welt gebracht. Da es Geoffreys Eltern in Österreich gefallen hatte, waren sie dort sesshaft geworden. Geoffrey wuchs in Wien auf, studierte an diversen Universitäten in Europa Maschinenbau, kehrte nach Wien zurück, lernte Antonia Hirschenreuter kennen und heiratete sie. Nach drei Jahren Ehe kam dann die kleine Siobhan zur Welt. Eines Tages zog es die Familie Kelly beruflich auf die andere Seite des Atlantischen Ozeans – ähnlich wie Geoffreys Eltern zuvor in Österreich, ließ sich die junge Familie dann in Kalifornien nieder, wo Siobhan aufwuchs und zur Schule ging. Ihr schauspielerisches Talent wurde entdeckt, woraufhin Geoffrey seinen Job aufgegeben hatte und der Manager seiner Tochter wurde. Bis hierhin, befand Joan, war die Familiengeschichte der Kellys relativ unspektakulär. Interessant wurde es für Joan, als sie die Historie von Geoffreys Eltern weiter untersuchte. Geoffreys Mutter Helen war eine geborene Ballard. Der Nachname Ballard war und ist in Nordamerika nicht ungewöhnlich und kommt recht häufig vor. Oberflächlich betrachtet wäre die Namensgleichheit zwischen ihrer Freundin Katherine und Geoffreys Mutter Helen vielleicht noch rein zufällig gewesen, aber Joan suchte weiter. Helen war die Tochter von Albert und Christine Ballard aus Columbus, Georgia – einer Stadt an der Grenze zum Nachbarstaat Alabama. Helen hatte einen Bruder, Oscar, der wiederum mit einer Frau namens Anne Sheperd verheiratet war. So langsam braute sich in Joans Hirn etwas zusammen. Ihre Freundin Katherine hieß mit zweitem Namen Anne, benannt nach ihrer Großmutter und Joan wusste, dass Katherines Großvater Oscar hieß. Beide lebten noch und waren in Opelika, Alabama gemeldet. Anne und Oscar Ballard hatten einen Sohn, Theodore, welcher wiederum mit einer Eve Alyeshanee, einer Frau mit indianischen Wurzeln, verheiratet war. Theodore und Eve waren Katherines Eltern. Verfolgte man nun die Linie der Verwandtschaft wieder zurück, ergab sich für Joan, dass Siobhan und Katherine verwandt waren. Sie waren entfernte Cousinen und im gleichen Alter! Bisher hatte Joan nur von Katherines Cousine Claire gewusst, einer Tochter von Eves Schwester Nira. Claire war zwölf Jahre jünger als Katherine.
Joan saß einige Sekunden mit offenem Mund vor dem Bildschirm. Mit zitternden Händen griff sie zum Raumkommunikator des Hotelzimmers und rief ihren Kollegen Lloyd im Nebenzimmer an. Eine verschlafen klingende Stimme meldete sich. Mit trockenem Hals und kratziger Stimme fragte Joan: „Lloyd, sind Sie wach?“
„Jetzt ja, was gibt es denn so wichtiges, das nicht bis zum Frühstück warten kann?“, gab Lloyd unter Gähnen zurück. „Es ist fast halb drei! Warum in drei Teufels Namen schlafen Sie nicht?“
„Kommen Sie mal rüber, Lloyd. Ich habe etwas herausgefunden, das wird Sie umhauen! Siobhan hat ihre Cousine in ihrer Gewalt und ahnt es nicht einmal!“
„Und wer soll das bitteschön sein, Joan?“, knurrte Lloyd.
„Katherine.“ Joan hörte nur noch einen kurzen Fluch, bevor Lloyd auflegte.
Kapitel 9
„Hat der Kapitän gesagt, was er will?“, fragte Siobhan den älteren Mann.
„Er bittet um Treibstoff und Versorgungsgüter“, antwortete Cooder. „Allerdings hat er gesagt, dass er kein Geld hat, um zu bezahlen. Als Gegenleistung hat er angeboten, dass seine Partnerin ein Gesangskonzert geben würde. Er behauptet, dass sie ziemlich gut sei.“
„Ist ja mal was neues“, gab Siobhan trocken zurück und grinste. „Erteile ihm Landeerlaubnis und führe ihn und seine Partnerin in die Messe.“ Cooder nickte und wandte sich zum Gehen. „Ach, Cooder?“, rief Siobhan ihm nach, woraufhin der Mann sich wieder umdrehte. „Welches ist das größte, derzeit raumtaugliche Schiff, das wir haben?“
Cooder überlegte kurz und kratzte sich an seinem grauen, kurzgeschorenen Hinterkopf. „Die Andrasta. Wieso fragst du?“
Siobhan ging einen Schritt auf Cooder zu und antwortete: „Lass das Schiff auftanken, füll es bis oben hin mit Wasser und Nahrungsmitteln und programmiere einen Kurs mit ein paar Umwegen ins Sonnensystem. Achte darauf, dass der Startpunkt automatisch gelöscht wird.“
Cooder sah seine Chefin fragend an. „Mach ich, aber wozu soll das gut sein?“
„Ich will, dass du so schnell wie möglich alle Gefangenen auf die Andrasta schaffst und das Schiff in Marsch setzt. Wie lange brauchst du dafür?“, fragte Siobhan mit ernstem Unterton.
Cooder kratzte sich erneut an Hinterkopf. „Viertausend Gefangene? So drei, vier Stunden vielleicht“, brummte er. „Mit Auftanken und Versorgen insgesamt fünf Stunden. Aber nochmal: wozu soll das gut sein?“
„Frag nicht, mach einfach!“, gab Siobhan harsch zurück. „Die Gefangenen kosten uns zu viel Nahrungsmittel. Ich will sie loswerden!“
Cooder wusste als Siobhans Erster Offizier am besten, dass ihre Befehle besser nicht in Zweifel gezogen werden sollten, daher nickte er nur. „In Ordnung, ich kümmere mich drum. Verstehen muss ich das nicht, oder? Es sind doch unsere Arbeitskräfte. Dein Vater wird …“
„Mein Vater ist mir im Moment scheißegal!“, brüllte Siobhan Cooder an und wies zur Tür. „Setz deinen Arsch in Bewegung, Cooder und stiehl mir nicht meine Zeit! Und schaff Jeff Rollins her.“
Cooder salutierte knapp und ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hinaus. Siobhan drehte sich zu ihren Gästen um und breitete lächelnd die Arme aus. An Tyra gewandt sagte sie: „So, deinen Jeff kannst du gleich wieder in den Arm nehmen.“ Dann drehte Siobhan sich zu Katherine um und sah ihr fest in die Augen. „Okay, Kat. Ich halte meinen Teil der Vereinbarung ein. Jetzt seid ihr dran.“
Mit Anspannung betrat Curtis das Deck der Raumstation, wo er, „Laura“ und Grag von vier schwerbewaffneten und übellaunig aussehenden Piraten in Empfang genommen wurde. Simon war an Bord geblieben, um die Comet für einen Alarmstart bereit zu halten. Ein fünfter Pirat, es war Cooder, trat hinzu und begrüßte Curtis mit argwöhnischem Blick. „Nennen Sie mir Ihren Namen, Captain“, forderte er Curtis grantig auf und hängte seine Daumen in seinen Waffengurt.
Curtis setzte ein unverbindliches Lächeln auf und antwortete: „Ich bin Ivan Mudras, Ehemann und Manager meiner wunderbaren Gattin Laura. Wir kommen von einer Tournee und waren auf dem Rückweg zur Erde, als wir bemerkt haben, dass wir Treibstoff verlieren. Das Leck konnten wir abdichten, nur leider reicht uns der Sprit nicht mehr für einen Weiterflug, Sie verstehen?“
„Sicher“, brummte Cooder. „Sagten Sie nicht beim Anflug, dass Sie pleite sind? Nach einer Tournee müssten Sie doch die Taschen voller Geld haben, oder?“ Der ältere Mann war gewieft und ließ sich augenscheinlich nichts vormachen. „Wenn Sie kein Geld haben, können Sie uns den Goldjungen da überlassen“, meinte Cooder und deutete gierig grinsend auf den golden lackierten Grag, was von dem als Frau verkleideten Otho mit einer Grimasse in Richtung des Roboters quittiert wurde.
Curtis hob abwehrend die Hände und sagte mit einer entschuldigenden Miene: „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Elvis ist unser Pilot und gleichzeitig der Servicedroide meiner Frau. Sie wird nur ungern auf ihn verzichten wollen.“ Curtis warf einen hämischen Blick über die Schulter zu Otho.
„Wie Sie meinen“, gab Cooder knapp zurück. „Ich entscheide das ohnehin nicht. Kommen Sie mit, meine Kommandantin erwartet Sie.“
Curtis gab sich überrascht. „Oh? Eine Kommandantin? Eine Frau an der Spitze dieses Piratennests? Ungewöhnlich.“
Cooder lachte bellend auf. „Ungewöhnlich? Ja, da mögen Sie Recht haben. Das ist Siobhan wirklich, Sie werden schon sehen …“ Er sah Curtis eindringlich an und hob mahnend den Zeigefinger. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Mudras. Hüten Sie vor Siobhan Ihre Zunge, widersprechen Sie ihr nicht und vor allem: lügen Sie sie nicht an, wenn Ihnen Ihre Gesundheit was wert ist. Und ganz wichtig: reden Sie sie um jeden Preis mit ‚Lady‘ Siobhan an. Das könnte Ihre Chancen steigern, diese Station lebend wieder zu verlassen.“
Curtis blinzelte einmal kurz und nickte wortlos. Flankiert von den Bewachern setzte sich die Gruppe in Bewegung.
Mit einem Freudenschrei sprang Tyra auf und ihrem Verlobten Jeff in die Arme, während sie den jungen Mann mit Küssen nur so eindeckte. „Jeff!“, rief sie, „geht es dir gut? Bist du in Ordnung?“
Nachdem Tyra von Jeff wieder abgelassen hatte und er einmal durchatmen konnte, antwortete er: „Ja, Schatz, mir geht es gut.“ Dann warf er hasserfüllt einen Blick auf Siobhan und wollte auf sie losgehen. „Aber diese Hexe“, schnaubte er und ballte die Faust, „hat mich missbraucht! Sie hat mich als ihren Sexsklaven gehalten. Ich sollte ihr …“
„Es ist gut, Jeff“, mischte sich Katherine ein und hatte sichtlich Mühe, den Mann mit dem strubbeligen, schwarzen Haar zu beruhigen. „Ich glaube, Siobhan hat dir etwas zu sagen“, sagte sie laut und verständlich und warf der Piratin einen aufmunternden Blick zu, die mit gesenktem Haupt auf ihre Stiefelspitzen schaute.
„Jeff“, begann sie mit leiser Stimme. „Ich weiß, dass das, was ich dir angetan habe, mit nichts zu entschuldigen ist, aber ich möchte, dass du weißt, dass es mir unsagbar leid tut.“ Siobhan sah den Frachterpiloten mit wässerigen blauen Augen an. „Ich wünschte, ich könnte das alles ungeschehen machen …“ Siobhan stockte und sah zu Katherine herüber und dann zu Tyra. Beide nickten ihr zu und forderten sie damit auf, weiter zu sprechen. „… wie viele andere Dinge auch, die ich in der Vergangenheit getan habe. Ich … ich erwarte nicht, dass du meine Entschuldigung annimmst …“
„Worauf du dich verlassen kannst!“, grollte Jeff und ballte erneut die Faust, woraufhin Katherine besänftigend eine Hand auf Jeffs Arm legte. Katherines freundliche Geste ließ den Mann etwas milder werden.
„Es … es gehörte alles zu einem Plan“, fuhr die schöne Piratin fort. „Bitte lass es mich erklären.“
Jeff begann wie ein Irrer zu lachen, während John von seinem Platz aufstand, zur Bar ging und eine neue Flasche Whiskey sowie ein neues Glas für Jeff holte. Mit einem gefüllten Glas ging er auf Jeff zu und hielt es ihm hin. „Mit mir hat sie es auch gemacht, Jeff. Ich bin John“, sagte er und grinste schief. „Katherine hier war auch nicht sonderlich begeistert, aber wie du siehst, lebe ich noch und Siobhan ebenfalls. Und ich kann dir sagen, wie eifersüchtig Katherine sein kann.“
Katherine warf ihrem Mann einen wütenden Blick zu, sagte aber nichts. Jeff nahm den Whiskey und stürzte ihn in einem Zug herunter. „Was für ein bescheuerter Plan soll das gewesen sein, Siobhan?“, fragte er und hielt John das leere Glas hin. Er wirkte nun etwas gelöster und weniger aufgebracht.
Man konnte Siobhan förmlich ansehen, wie sie allen Mut zusammen nahm, um den Anwesenden ihre Geschichte zu erzählen. „Ich habe Katherine vorhin im Nebenraum schon einiges über mich erzählt“, begann sie und warf der Polizeipsychologin einen dankbaren Blick zu. „Ich will es euch allen gerne noch einmal erzählen …“
„Das glaube ich einfach nicht!“, entfuhr es Joan. Sie sah gleichermaßen geschockt wie überrascht auf den Bildschirm ihres Computers, während sie an dem kleinen Schreibtisch in ihrem karg eingerichteten Hotelzimmer saß. Es war mittlerweile nach zwei Uhr in der Nacht und Joan konnte einfach nicht schlafen, jetzt erst recht nicht mehr. Sie hatte in der letzten Stunde Recherchen über Siobhans Familie betrieben, sich in Meldedatenregistern eingeloggt und hunderte Datenbanken durchforstet, darunter auch deutsche und österreichische. Joan hatte versucht, zurück zu verfolgen, wie ein amerikanischer Staatsbürger an eine österreichische Ehefrau gekommen war, dabei hatte sie herausgefunden, dass Geoffrey Kelly selbst in Österreich geboren und aufgewachsen war. Sein Vater, Charles Kelly, war zu Lebzeiten als Bauingenieur international tätig gewesen und hatte mit seiner Frau Helen beruflich fast den ganzen Globus bereist. Bei einem Projekt in Österreich war Helen mit Geoffrey schwanger gewesen und hatte ihren Sohn in Wien zur Welt gebracht. Da es Geoffreys Eltern in Österreich gefallen hatte, waren sie dort sesshaft geworden. Geoffrey wuchs in Wien auf, studierte an diversen Universitäten in Europa Maschinenbau, kehrte nach Wien zurück, lernte Antonia Hirschenreuter kennen und heiratete sie. Nach drei Jahren Ehe kam dann die kleine Siobhan zur Welt. Eines Tages zog es die Familie Kelly beruflich auf die andere Seite des Atlantischen Ozeans – ähnlich wie Geoffreys Eltern zuvor in Österreich, ließ sich die junge Familie dann in Kalifornien nieder, wo Siobhan aufwuchs und zur Schule ging. Ihr schauspielerisches Talent wurde entdeckt, woraufhin Geoffrey seinen Job aufgegeben hatte und der Manager seiner Tochter wurde. Bis hierhin, befand Joan, war die Familiengeschichte der Kellys relativ unspektakulär. Interessant wurde es für Joan, als sie die Historie von Geoffreys Eltern weiter untersuchte. Geoffreys Mutter Helen war eine geborene Ballard. Der Nachname Ballard war und ist in Nordamerika nicht ungewöhnlich und kommt recht häufig vor. Oberflächlich betrachtet wäre die Namensgleichheit zwischen ihrer Freundin Katherine und Geoffreys Mutter Helen vielleicht noch rein zufällig gewesen, aber Joan suchte weiter. Helen war die Tochter von Albert und Christine Ballard aus Columbus, Georgia – einer Stadt an der Grenze zum Nachbarstaat Alabama. Helen hatte einen Bruder, Oscar, der wiederum mit einer Frau namens Anne Sheperd verheiratet war. So langsam braute sich in Joans Hirn etwas zusammen. Ihre Freundin Katherine hieß mit zweitem Namen Anne, benannt nach ihrer Großmutter und Joan wusste, dass Katherines Großvater Oscar hieß. Beide lebten noch und waren in Opelika, Alabama gemeldet. Anne und Oscar Ballard hatten einen Sohn, Theodore, welcher wiederum mit einer Eve Alyeshanee, einer Frau mit indianischen Wurzeln, verheiratet war. Theodore und Eve waren Katherines Eltern. Verfolgte man nun die Linie der Verwandtschaft wieder zurück, ergab sich für Joan, dass Siobhan und Katherine verwandt waren. Sie waren entfernte Cousinen und im gleichen Alter! Bisher hatte Joan nur von Katherines Cousine Claire gewusst, einer Tochter von Eves Schwester Nira. Claire war zwölf Jahre jünger als Katherine.
Joan saß einige Sekunden mit offenem Mund vor dem Bildschirm. Mit zitternden Händen griff sie zum Raumkommunikator des Hotelzimmers und rief ihren Kollegen Lloyd im Nebenzimmer an. Eine verschlafen klingende Stimme meldete sich. Mit trockenem Hals und kratziger Stimme fragte Joan: „Lloyd, sind Sie wach?“
„Jetzt ja, was gibt es denn so wichtiges, das nicht bis zum Frühstück warten kann?“, gab Lloyd unter Gähnen zurück. „Es ist fast halb drei! Warum in drei Teufels Namen schlafen Sie nicht?“
„Kommen Sie mal rüber, Lloyd. Ich habe etwas herausgefunden, das wird Sie umhauen! Siobhan hat ihre Cousine in ihrer Gewalt und ahnt es nicht einmal!“
„Und wer soll das bitteschön sein, Joan?“, knurrte Lloyd.
„Katherine.“ Joan hörte nur noch einen kurzen Fluch, bevor Lloyd auflegte.
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