Die Immunität von natürlichen Personen im Völkerrecht ist nichts ungewöhnliches und hat gerade in der Europäischen Rechtstradition seit Jahrhunderten Geltung (und wurde von hier aus faktisch weltweit übertragen). Siehe hierzu etwa das Wiener übereinkommen über diplomatische Beziehungen, das bis dahin geltendes Gewohnheitsrechts quasi-kodifiziert hat.
Als Jurist hält sich daher meine Aufregung über die Immunität der Mitglieder des Gouverneursrats (Art 35) grundsätzlich in Grenzen, bahnbrechend Neues steht da nicht drin. Insbesondere sollten sich die Mitglieder des ESM bei der Ausübung ihrer Tätigkeit keine Gedanken um Strafrechtliche Belange machen müssen, das finde ich einfach wenig aufregend.
Das Problem ist ja eher, dass es bei den Mitgliedern des Gouverneursrats bzw. des Direktoriums gem. Art. 5 I S.3 um Mitglieder der Regierung handelt, etwa also etwa Staatssekretäre oder gar ein Finanzminister, der die tägliche Arbeit lediglich von seinem Stellvertreter beim ESM durchführen lässt. Hierin liegt dann natürlich ein wesentlicher Unterschied zum Diplomatenrecht, denn individuelle Diplomanten im täglichen Kontakt mit anderen Nationen und Institutionen sind regelmässig nicht formales Mitglied ihrer Regierung - und, vor allem, kann die eigene Regierung sie ja sehr wohl immernoch zur Rechenschaft ziehen, was der Art 35 I de facto ausschliesst, wenngleich ich nicht der Meinung bin, der 35 I garantiere lebenslange Immunität auch nach Ende der Amtszeit.
Die Situation jedenfalls, dass ein Bundesfinanzminister wegen ESM-Aktivitäten vor einen Untersuchungsausschuss zitiert werden soll und dann den Stinkefinger zeigt, ist natürlich schwer zu ertragen.
Edit: O, und achso:
Dass der ESM keine Bankenlizenz habe, erscheint mir auch zweifelhaft, denn Art. 32 IX besagt, dass der ESM von einer Zulassungs -und Lizensierungspflicht für Kreditinsitute befreit ist. Wieso muss das explizit erwähnt werden, wenn er angeblich nicht wie eine Bank tätig werden soll? Eine Befreiung ist eine Vergünstigung, und eine Vergünstigung nimmt man nur bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit in Anspruch. Mag sein, dass der ESM keine Bank im Sinne der EZB ist, weil er die Eigenkapitalanforderungen nicht erfüllt, aber das kann die EZB ja jederzeit ändern, wenn sie will (s. weiter oben). Aber vielleicht habe ich hier ja auch einen Denkfehler.
Aber um eines klar zu sagen: Völkerrechtlich muss Deutschland sich an diese Vorgaben halten, sobald der Vertrag ratifiziert ist. Welche Sonderrechte sich Deutschland intern heraus nimmt, spielt für Deutschlands Verpflichtungen dann keinerlei(!) Rolle mehr.
In der Praxis sieht das natürlich oft anders aus, einfach, weil Deutschland mächtig genug ist, die anderen seine Sonderregeln erdulden zu lassen. Intern hat Deutschland allerdings traditionell ein dualistisches System, d.h. völkerrechtliche Verträge entfalten ohne Begleitgesetz keine unmittelbare Wirkung gegenüber Einzelpersonen und Behörden; aber ein solches Umsetzungs - bzw. Begleitgesetz ist mittlerweile durch das BVerfG quasi obligatorisch vorzunehmen.
Das letzte Beispiel, das mir dazu einfiele, sind etwa die massiven Sonderrechte, die das BVerfG Deutschland im Rahmen seines Lissabon-Urteils eingeräumt hat (bzw, die es dem Bundestag zugestanden hat).
Hier wurden wesentliche Teile des Vertragstextes in einer Weise einfach missachtet, dass der Verwahrer des Lissabonvertrages (Portugal) die Ratifizierungsurkunde Deutschlands eigentlich hätte zurückweisen müssen. Das hätte aber wieder (faktisch) den gesamten Vertrag gekillt, von daher ist das natürlich nicht passiert.
Als Jurist hält sich daher meine Aufregung über die Immunität der Mitglieder des Gouverneursrats (Art 35) grundsätzlich in Grenzen, bahnbrechend Neues steht da nicht drin. Insbesondere sollten sich die Mitglieder des ESM bei der Ausübung ihrer Tätigkeit keine Gedanken um Strafrechtliche Belange machen müssen, das finde ich einfach wenig aufregend.
Das Problem ist ja eher, dass es bei den Mitgliedern des Gouverneursrats bzw. des Direktoriums gem. Art. 5 I S.3 um Mitglieder der Regierung handelt, etwa also etwa Staatssekretäre oder gar ein Finanzminister, der die tägliche Arbeit lediglich von seinem Stellvertreter beim ESM durchführen lässt. Hierin liegt dann natürlich ein wesentlicher Unterschied zum Diplomatenrecht, denn individuelle Diplomanten im täglichen Kontakt mit anderen Nationen und Institutionen sind regelmässig nicht formales Mitglied ihrer Regierung - und, vor allem, kann die eigene Regierung sie ja sehr wohl immernoch zur Rechenschaft ziehen, was der Art 35 I de facto ausschliesst, wenngleich ich nicht der Meinung bin, der 35 I garantiere lebenslange Immunität auch nach Ende der Amtszeit.
Die Situation jedenfalls, dass ein Bundesfinanzminister wegen ESM-Aktivitäten vor einen Untersuchungsausschuss zitiert werden soll und dann den Stinkefinger zeigt, ist natürlich schwer zu ertragen.
Edit: O, und achso:
Dass der ESM keine Bankenlizenz habe, erscheint mir auch zweifelhaft, denn Art. 32 IX besagt, dass der ESM von einer Zulassungs -und Lizensierungspflicht für Kreditinsitute befreit ist. Wieso muss das explizit erwähnt werden, wenn er angeblich nicht wie eine Bank tätig werden soll? Eine Befreiung ist eine Vergünstigung, und eine Vergünstigung nimmt man nur bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit in Anspruch. Mag sein, dass der ESM keine Bank im Sinne der EZB ist, weil er die Eigenkapitalanforderungen nicht erfüllt, aber das kann die EZB ja jederzeit ändern, wenn sie will (s. weiter oben). Aber vielleicht habe ich hier ja auch einen Denkfehler.
Aber um eines klar zu sagen: Völkerrechtlich muss Deutschland sich an diese Vorgaben halten, sobald der Vertrag ratifiziert ist. Welche Sonderrechte sich Deutschland intern heraus nimmt, spielt für Deutschlands Verpflichtungen dann keinerlei(!) Rolle mehr.
In der Praxis sieht das natürlich oft anders aus, einfach, weil Deutschland mächtig genug ist, die anderen seine Sonderregeln erdulden zu lassen. Intern hat Deutschland allerdings traditionell ein dualistisches System, d.h. völkerrechtliche Verträge entfalten ohne Begleitgesetz keine unmittelbare Wirkung gegenüber Einzelpersonen und Behörden; aber ein solches Umsetzungs - bzw. Begleitgesetz ist mittlerweile durch das BVerfG quasi obligatorisch vorzunehmen.
Das letzte Beispiel, das mir dazu einfiele, sind etwa die massiven Sonderrechte, die das BVerfG Deutschland im Rahmen seines Lissabon-Urteils eingeräumt hat (bzw, die es dem Bundestag zugestanden hat).
Hier wurden wesentliche Teile des Vertragstextes in einer Weise einfach missachtet, dass der Verwahrer des Lissabonvertrages (Portugal) die Ratifizierungsurkunde Deutschlands eigentlich hätte zurückweisen müssen. Das hätte aber wieder (faktisch) den gesamten Vertrag gekillt, von daher ist das natürlich nicht passiert.
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