Zitat von KennerderEpisoden
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Das US-Modell funktioniert auch nicht gerade mustergültig.
Auf der Ebene der Praxis oder Realität sind die demokratischen Systeme sicherlich noch weniger perfekt als in der Theorie und man kann dort vieles kritisieren. Auf dieser Ebene würde ich dir aber dann entgegenhalten, dass das polit. System der USA jetzt seit über 200 Jahren existiert und damit zumindest einen gewissen Beweis für seine Handlungsfähigkeit erbracht hat, während das für dein Los-Modell nicht gilt.
Was wir also sowieso nur tun können, ist die Modelle der Theorie nach miteinander zu vergleichen und bereits da sind die Schwächen des Los-Modells weitaus größer als die der demokratischen Modelle, und zwar sowohl was die Legitimation als auch was die Handlungsfähigkeit betrifft. Zumindest wurden hierfür von anderen und auch von mir eine Reihe von Argumenten vorgebracht, warum das so sein dürfte.
Wenn du also weiter oben sinngemäß vom „idealisierten Bild von Wahlen“ sprichst, was auch sicher nicht unrichtig ist, dann solltest du dabei nicht ganz vergessen, dass im Grunde dein komplettes Los-Modell erst mal nichts weiter als ein idealisiertes Bild ist.
Alles sehr seltene Fälle, die man auch unter Härtefallreglungen packen kann.
Jetzt haben wir auch noch gar nicht von den vielen Familien gesprochen, die entweder aufgrund staatlicher Anordnung auseinandergerissen werden, weil Mama oder Papa nach Berlin umziehen müssen oder bei denen die Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld herausfallen (Schulklasse, Freunde, Aufgabe der Wohnung usw.).
(Die erwähnten Ordnungsgelder sind übrigens entweder so niedrig, dass wir auch gleich die Freiwilligkeit einführen können oder so hoch, dass der Zwang nur noch für die sozial Schwachen gilt, während sich die Reichen von ihrer Pflicht loskaufen können).
Ich kann nicht nachvollziehen, dass du diese Bedenken einfach so als „seltene Fälle“ wegwischst. Du sprichst ja an anderer Stelle gerade von der Mündigkeit, die du den Leuten zutraust und dass du ihnen größere Entscheidungsmöglichkeiten zugestehen willst. Gleichzeitig hast du aber keinerlei Problem damit, mal eben über deren Köpfe hinweg in existentielle Lebensbereiche hinein entscheiden zu wollen, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Nein, an diesem Punkt kommen wir definitiv nicht näher zusammen.
Habe ich den Vorabschnitt falsch verstanden, oder stellst du dort nicht ebenfalls eine Beziehung von Konsens und Legitimation her?
Noch nicht mal hier im Thread kannst du einen Konsens zur Einführung des Losverfahrens erreichen, ich würde fast meinen, du erhältst noch nicht mal eine einfache Mehrheit dafür.
Worauf du aber wohl eher hinauswolltest war ja der Begriff der „Repräsentation“ durch Auslosung eines Bevölkerungsquerschnitts. Diese Form der Repräsentation wäre nach deiner Vorstellung konsensualer als die Repräsentation durch gewählte Parlamente.
Und hier könnte vlt wirklich der grundsätzliche Denkfehler bei deinem Modell liegen. Admiral Ahmose hat auch schon ein wenig in diese Richtung argumentiert: Wenn man einfach nur einen Querschnitt auslost ist das nicht automatisch gleichbedeutend mit Repräsentation. Diese Leute repräsentieren nämlich erst mal niemanden außer sich selbst (und vlt ihre Familien).
Eine entscheidende Idee der Repräsentation ist doch, das jemand (sei es eine Person oder eine Partei) öffentlich und _im Vorhinein_ Ziele formuliert für die er/sie einzutreten gedenkt. Er/sie bündelt damit Interessen und ist dann beauftragt, diese zu vertreten. Erst durch den Auftrag der Repräsentierten wird jemand zum Repräsentanten.
All das entfällt beim Los. Nur wenn die Gruppe klein und homogen genug wäre (und hier sind wir wieder beim Thema Komplexität moderner Gesellschaften), so dass _vorab_ sowieso schon fast alle die gleichen Interessen und Ziele haben, wäre echte Repräsentation ohne die Formulierung von Zielen möglich.
Und ein zweiter wichtiger Punkt kommt hinzu: Die Güte der Repräsentation muss im Nachhinein beurteilt werden können! Ohne eine Form der Rückkopplung ist Repräsentation sinnlos und wird zur puren Willkür.
In demokratischen Systemen erfolgt diese Rückkopplung in Gestalt der nächsten Wahl. Bei einem Losverfahren entfällt auch dieser zweite Punkt komplett.
Wenn andere Verfahren scheitern, ist das Los gut genug. Wahlen als politischer Selektionsprozess scheitern regelmäßig, ergo ist das Los gut genug. Oder um die Fußballanalogie aufzugreifen: das Publikum zieht Elfmeterschießen einer zeitlich nicht begrenzten Verlängerung, in der sich beide Mannschaft irgendwann nur noch über Platz schleifen, vor
Nebenbei: Das Elfmeterschießen ist gerade _kein_ Losentscheid! Es wurde ja überhaupt erst eingeführt, weil man den Münzwurf am Ende eines KO-Spiels als unzulänglich und ungerecht empfand. Es dürfte also im Publikum insgesamt nur sehr wenige geben, die diese Entwicklung wieder würden rückgängig machen wollen.
Das Vertrauen in die eigene Bevölkerung ist nicht sehr groß, wenn man davon ausgeht, dass diese größtenteils von faulen Äpfeln gebildet wird.
Beim Russischen Roulette gibt es fünf leere Kammern und nur eine gefüllte. Dennoch würde kein vernünftiger Mensch ohne Zwang an einem solchen Spiel teilnehmen.
Weniger dramatisch könnten wir sagen: niemand würde bei existentiellen Entscheidungen also z.B. bzgl. Berufswahl, Lebenspartnerschaften, Freundschaft, Hobbies usw. auch nur ansatzweise auf die Idee kommen, das Los für sich entscheiden zu lassen, selbst diejenigen Hirnforscher, die Freiheit für eine Schimäre halten, würden das nicht tun.
Fast ebenso intuitiv sollte es einleuchten, dass das Los für die Auswahl von Entscheidungsträgern ungeeignet ist, behaupte ich.
Wie gesagt, wenn es um mehr Partizipation geht, gibt es andere Möglichkeiten. Das Los braucht es dazu nicht.
Grüße FL
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