Wie gesagt: wie wollen den die, die behaupten, die Kirche wäre verfolgt worden, erklären, dass die katholische Kirche im Gegenteil eine der wenigen unabhängigen Organisationen war, die während der Nazi-Herrschaft existierten und eben nicht zwangsweise gleichgeschaltet wurden?
Da kann doch wohl was nicht stimmen.
Zwischen glühender Anhängerschaft einerseits und heldenhaftem Vernichtetwerden im offenen Widerstand andererseits gibt es noch unzählige Nuancen, wie man seinen Umgang mit einem Regime gestalten könnte.
"Verfolgt werden" heißt eben nicht automatisch KZ. Was Pius XI. im Jahre 1937 (also weit vor jeder Niederlage der Nazis, von nachträglichem Verdrehen der Tatsachen, nachdem die Nazis verloren hatten, kann also überhaupt gar nicht die Rede sein) in seiner Enzyklika beklagt hat, war ja wohl eindeutig Verfolgung.
Oder als was würdest Du diese Enzyklika bezeichnen, wenn nicht als die Klage, verfolgt zu werden? Mir fällt wirklich nichts anderes dazu ein, Dir?
Also, falls die Kirche nicht verfolgt worden sein sollte, so hat es ihr Oberhaupt doch zumindest im Jahre 1937 so empfunden und auch formuliert.
Ich tendiere in diesem Falle dazu, der Wahrnehmung Pius XI. Glauben zu schenken...
Auch in der DDR und in Polen wurden die Kirchen verfolgt. Zwar hatten sie ihre Nischen, in denen sie wirken durften, aber sie durften ihre Nischen nicht verlassen und wurden auch auf vielen Ebenen offen und verdeckt kontrolliert und schikaniert.
Sie waren natürlich in das Gesamtgesellschaftsgefüge integriert - aber frei agieren konnten sie dennoch nicht.
Aber gerade diese Reste von Unabhängigkeit wurde sowohl den Regimen in Polen als auch in der DDR zum Verhängnis. Der Erfolg der Solidarnosc wäre ohne die massive logistische Unterstützung des Regimegegners Karol Woytila, der von Rom aus seine Organisation leitete, kaum denkbar gewesen.
Und der Umbruch in der DDR fand in der Nicolaikirche seine ersten Höhepunkte, und auch hier waren es kirchliche Organisationsstrukturen (die einzigen Organisationsstrukturen, die nicht zu 100% unter staatlicher Vollkontrolle standen), ohne die die Geschichte so nicht hätte verlaufen können.
Eine gewisse Unabhängigkeit (sicher nur gewiss, denn beide Kirchen hätten niemals jahrelang offenen Widerstand ausüben können) scheint für Religionen erstaunlicherweise oft möglich zu sein.
Insofern haben Religionen möglicherweise einen Sonderstatus, der sie lange Zeit davor bewahrt - trotz Verfolgung und bei gleichzeitigem Fortbestand - gleichgeschaltet zu werden.
Dennoch haben sie jeweils wichtige Rollen beim Sturz der Regime gespielt, weshalb man ihnen kaum vorwerfen kann, die Regime in Ost-Berlin und Warschau unterstützt zu haben.
Und so ähnlich könnte ich mir auch das Verhältnis zu den Nazis vorstellen - verfolgt und in Nischen zurückgedrängt, aber innerhalb derer konnte man sich, trotz Kontrolle noch immer eine gewisse Eigenständigkeit bewahren.
Die Kehrseite war eben auch eine gewisse Anpassung. Aber das war ja in anderen Regimen, zu deren Sturz die Kirchen dann schließlich beitrugen, auch nicht anders.
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